Gerichtsurteil

Ein Besuch bei Joseph Brot und Öfferl: Wien sieht Brot!

Bäckereien als Lifestyle-Tempel: Frühstücken bei Joseph Brot und Öfferl.

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Vorweg eine Offenlegung: Ich habe meine Kindheit in Kärnten verbracht, neben zwei Bauernhöfen am Berg. Frisches Brot war da eine Selbstverständlichkeit und kam direkt aus den Backstuben der umliegenden Bauern auf die Jausenbretter. Auch wenn die Nachbarn, damals wie auch heute, wahre Schätze kreierten, hätten sie die Idee, einen aufgeblasenen Vermarktungsapparat um ein Grundnahrungsmittel zu errichten, etwas befremdlich gefunden. In Wien hingegen funktioniert der Zauber hervorragend. Vor den Brotboutiquen stehen Menschen geduldig Schlange. Ein Lokalaugenschein.

Das Brot Josephs

An einem geheimen Ort befindet sich die Joseph-Brot-Filiale in der Landstraßer Hauptstraße nicht gerade, man könnte trotzdem dran vorbeilaufen: Von außen deutet nur eine Glasfront darauf hin, dass sich dahinter eine angesagte Bäckerei befindet. Der Brot-Sepp verwechselt schicken Minimalismus mit karger Atmosphäre; die roten Tische wackeln leicht (unserer zumindest), und die braunen Stühle erzeugen eine Stimmung wie einst beim Frühstück in der Jugendherberge. Was die Präsentation betrifft, wäre mehr drin gewesen. Am Geschmack scheitert das „Joseph Frühstück“ (Bild oben) um 17,20 Euro hingegen nicht. Das Angebot besteht aus einem Joseph Brot aus Weizenmehl, Weizenvollkornmehl und Roggenvollkornsauerteig. Die Rinde ist knusprig, das Innenleben von weicher Beschaffenheit. Der Kaiserin-Semmel sieht man an, dass sie von Hand geformt wurde – das ist ausschließlich positiv gemeint. Dasselbe gilt für das Wiener Mürbkipferl. Der Rest setzt dann auf qualitatives Namedropping: Der Beinschinken kommt von der Schinkenmanufaktur Thum aus dem 23. Wiener Gemeindebezirk, das ist eine sichere Bank. Ergänzend dazu gibt es drei verschiedene Käsesorten: würzigen Bergkäse von der Käserei Hilkater aus Vorarlberg, einen milden Francine-Weichkäse von Jumi (in Wien auch im 8. Bezirk erhältlich) und einen gut gewürzten Frischkäse. Das Ei ist wachsweich und warm geblieben, Marillenmarmelade und Honig dazu. Frühstücks-Fazit: Eine runde Angelegenheit, aber die spartanische Sachlichkeit der Atmosphäre reduziert den Wohlfühlfaktor.

Stimmung: Wien-Woche mit guter Herbergsküche
Empfehlung: Google-Maps verwenden
Preisverhältnis: Das Gebotene ist teurer als am Land!
Joseph Brot Bistro, Landstraßer Hauptstraße 4
1030 Wien, joseph.co.at

Der Laib Öfferls

Ein paar Schritte weiter in der Landstraßer Hauptstraße, in der Bäckerei Öfferl, scheint der Herr am Nebentisch wie in Trance: „Es ist einfach kein Vergleich zu einem normalen Brot, einfach kein Vergleich!“ Was er unter „normalem Brot“ versteht, hat er nicht dazugesagt. Er dürfte aber von der arg blumigen Marketingtextierung der ursprünglich aus dem niederösterreichischen Gaubitsch kommenden Familienbäckerei nicht ganz unbeeinflusst sein. Im Rahmen des „Bio-Bäckerfrühstücks“ um 17,50 Euro wird jedenfalls ein „Madame Crousto“ aufgetischt, und die Beschreibung dieses Brotes lautet in der romantischen Öfferl-Diktion folgendermaßen: „Es gibt diese Schönheit. (…) Du schmeckst sie. Sanft säuerlich, und zart ihre Süße. Du siehst sie. Siehst du?“ Das ist wahrscheinlich ernst gemeint, die Madame schmeckt trotzdem hervorragend. Die Weizenbrotmischung hat eine knusprige Rinde, ist innen sanft säuerlich und zart in der Süße. Genauso verhält es sich auch bei der Handsemmel und dem Kipferl: beides perfekt goldbraun gebacken. Das weiche Ei ist hingegen gerade noch lauwarm. Auf dem Teller drapiert: Ein paar Schnitten Bergkäse und süße Marillenmarmelade; der selbst gemachte Topfenaufstrich schmeckt wie aus dem Topfenaufstrichhimmel und wurde mit vielen frischen Kräutern versetzt. Über den Teller wurde eine Portion Rucola verteilt, leider dominiert dessen Marinade alle anderen Ingredienzien geschmacklich. Sonst gibt es an dieser Frühstücksvariante nichts zu meckern. Die stylishe Betonoptik des Lokals mitsamt geschickter Lichtröhreninszenierung verstärkt den Eindruck, man hätte es nicht mit normalem Brot zu tun.

Stimmung: Etwas wärmer als das weiche Ei
Empfehlung: Wenn Sie dran glauben, schmeckt’s noch besser
Preisverhältnis: Nicht gerade günstig!
Öfferl Bistro, Landstraßer Hauptstraße 19
1030 Wien, oefferl.bio

Stephan   Graschitz

Stephan Graschitz

ist als Chef vom Dienst bei profil tätig.