Mais-Maschine "Lenin"
Wenn das kein Zeichen ist. Aber was, wenn jetzt Herbert Kickl hereinkommt?
„Ich hab seit Tagen Lust auf Tacos“, sagt sie, „und das hier sind die besten in der Stadt. Das liegt am Mais, der hier irgendwie ganz speziell behandelt wird.“ Bitte nicht, denke ich mir, bitte nicht weiterreden. Was, wenn wir abgehört werden? Ich unterbreche sie, bevor sie sich unbewusst um Kopf und Kragen reden kann, und an dieser Stelle sollte ich vielleicht aus Transparenzgründen ergänzen, dass Milborn und ich seit 20 Jahren befreundet sind, seit wir uns bei einem mittlerweile eingestellten Nachrichtenmagazin mal den Schreibtisch geteilt haben. Milborn ist mittlerweile das Gesicht der Puls4-Gruppe, wenn es um Politik geht, seit mehr als zehn Jahren ist sie zuständig für die großen Interviews und moderiert die wichtigsten Diskussionssendungen. Sie macht das professionell, freundlich und deutlich journalistischer, als man es von den meisten anderen Privatsendern in diesem Land kennt.
Im vergangenen Herbst kam sie aber genau deswegen in die Schusslinie der FPÖ-Kommunikationsstrategie. Puls4 hatte nämlich zu einer Sendung eingeladen, bei der die Parteichefs der Parlamentsparteien mit mehr oder weniger normalen Bürger:innen diskutieren sollten, und Herbert Kickl boykottierte sehr publicityträchtig diese Veranstaltung. Kurz darauf startete er eine Tour durch Österreich, und immer wieder erzählte er dabei, dass er keine Lust darauf habe, „an einem Fake-Wirtshaustisch zu diskutieren“, weil nämlich „der Puls nicht auf Puls4 schlägt, sondern draußen, bei den echten Leuten“. Dass sich in einem FPÖ-Festzelt genauso wenig normale Österreicher aufhalten wie in einer gecasteten Fernsehshow, ist zwar logisch, Kickl machte aber dennoch Puls4 und damit Milborn zur Gegnerin in seiner Herbstkampagne.
„Ich hätte darauf einsteigen können“, sagt Milborn jetzt, „aber was hätte es mir gebracht? Wenn ich in diese Diskussion einsteige, dann hätte ich das Thema nur noch größer gemacht. Aber sonst? Sich zur Gegnerin der FPÖ aufzuspielen, bringt maximal der eigenen Eitelkeit etwas, aber es hat keinen Informationsgehalt für die Zuseher.“ Milborn sagt das sehr ruhig, sehr bestimmt, so, als hätte sie viel darüber nachgedacht. Es gebe Medien, die aus ihrer Oppositionsrolle zur FPÖ heraus Kapital schlagen könnten, meint sie, die damit Aufmerksamkeit und Abos generieren könnten, aber bei Puls4 sei das anders. „Wir sind nicht der ‚Falter‘. Wir haben eine Reichweite von mehreren Millionen Menschen, für die ist Fernsehen das wichtigste Informationsmedium, gerade vor Wahlen, und da haben wir auch eine Verantwortung. Wir wollen sie mit Informationen versorgen, da macht es keinen Sinn, auf Polarisierung und Konfrontation zu setzen.“ Was und wie es Milborn da sagt, klingt jetzt eigentlich nicht so, als könnte man mit der Frau nicht vor einer Live-Kamera diskutieren. Gut möglich, dass es Herbert Kickl also bei seiner Kampagne um etwas ganz anderes ging.
Die Tacos (Rind, Schwein und Veggie, drei Stück um 13 Euro) sind tatsächlich ausgezeichnet, vor allem die aufwendig hergestellten Maisfladen machen was her. Milborn hatte recht, das hatte ich aber auch nie bezweifelt. Das Maíz, vor drei Jahren von einer Österreicherin, die lange in den USA gelebt hat, gegründet, gilt nicht umsonst als eines der besten Streetfood-Lokale der Stadt. Es wurde bei der Eröffnung von so ziemlich allen Gastrokritikern gelobt und mit diversen Preisen überhäuft. Und außerdem kennt sich Corinna Milborn bei lateinamerikanischem Essen aus. Bevor sie Fernsehjournalistin wurde, arbeitete sie nicht nur bei „News“ und als Sprecherin des WWF, sondern lebte auch längere Zeit in Guatemala, erst für ihr Studium und dann als Wahlbeobachterin.
Wenn man so will, dann ist sie das heute immer noch.
Was sich in ihrem Job geändert hat? „Das Wahljahr 2024 wird schwierig“, sagt sie: „Wir sind es bei uns nicht gewohnt, dass Journalisten und Journalistinnen so im Fokus stehen, wie es derzeit ist. Politiker bauen Journalisten als Feindbilder auf, es ist ein bisschen so wie in den USA bei Donald Trump.“ Milborn beißt sich durch die letzten Reste ihrer dritten Maisflade: „Wir machen unseren Job mit vollem Einsatz und achten darauf, nicht hineingezogen zu werden.“ Tatsächlich bemerkt aber auch sie, dass Politiker immer stärker versuchen, ihre eigene Öffentlichkeit zu entwickeln, „und zwar längst nicht mehr nur die FPÖ“: Die ÖVP hat ihre eigenen Medien, die SPÖ entwickelt gerade eigene WhatsApp- und TikTok-Kanäle, über die sie mit ihren Fans und potenziellen Wählern direkt kommunizieren will. Am Ende sind auch Politiker nichts anderes mehr als Influencer, die an den traditionellen Medien vorbei direkt auf ihr Publikum zugehen, und zwar unterstützt mit sehr viel Werbebudget, das dann, so Milborn, „nicht bei österreichischen Medien für Arbeitsplätze sorgt, sondern direkt ins Ausland geht“.
Das sind die Passagen unseres Essens, in denen Milborn nicht nur wie die Info-Chefin der Puls4-Gruppe klingt, sondern auch wie eine Marketingverantwortliche des Konzerns, was aber gar nichts macht, denn tatsächlich probiert ihr Eigentümer einiges aus und stemmt sich ein bisschen gegen den Trend. Zu ihrem Verantwortungsbereich gehört auch der Nachrichtensender Puls24, von dem man zwar nie genau weiß, ob ihn mehr Menschen bewusst schauen als die Lebensabschnittspartner der dort in Dauerschleife diskutierenden Journalisten und PR-Berater, der aber unbestritten journalistischer ist als die gesamte Konkurrenz der Krawallsender. Dann hat die Gruppe mit Joyn auch noch ein tatsächlich gut funktionierendes Streamingportal aufgelegt. „Natürlich kommen da auch die Menschen vorbei, die ‚Bauer sucht Frau‘ suchen“, sagt Milborn, „aber wenn sie dort auf die Startseite gehen, dann sehen sie die wichtigsten News des Tages, sie bleiben informiert, auch wenn sie das gar nicht beabsichtigt haben, und zwar mit echten, journalistischen Nachrichten und nicht mit Fake News, die über die sozialen Medien herumgeistern.“ Und dafür zu sorgen, sei die wichtigste Aufgabe, die Journalisten heute haben.
Verschwörungstheorien gibt es schließlich genug.