Ein Gang mit … Martin Thür
Von Markus Huber
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„Verspäte mich zehn Minuten, sorry“, schreibt Martin Thür. Es ist sieben Minuten vor unserer Verabredung, ich bin selbst gerade erst im Pumpui angekommen, einem netten und gemessen an der Coolness von Essen und Personal wenig gehypten Streetfood-Thai im 3. Bezirk. „Kein Ding“, schreibe ich also zurück, und während ich noch überlege, warum Thür ausgerechnet ein Lokal hinter dem Rechnungshof vorschlägt und wen er da wohl sonst so trifft, braust er auch schon herbei, überpünktlich. Er sitzt übrigens auf einer Vespa, neu, braun, der Helm ist farblich auf das Moped abgestimmt, und als ich darüber fertiggelacht habe, fällt mir der Aufnäher auf: „Held“ steht auf dem Helm, klein, aber doch nicht zu übersehen, und ich hoffe, dass wenigstens das Zufall ist. Wobei, wer weiß?
Martin Thür, man kann das wohl neidlos sagen, ist einer der besten Politik-Journalisten Österreichs. Er moderiert nicht nur die „ZIB 2“, er macht für die Sendung auch Beiträge und gilt dabei als besonders akribischer Rechercheur. Besonders deutlich wurde das zum Beispiel beim SPÖ-Parteitag 2023 in Linz: Da fiel Thür als Einzigem auf, dass mit den Ergebnissen etwas nicht stimmen konnte. Wenn man so will, dann ist er also dafür verantwortlich, dass Andreas Babler nicht mehr nur Bürgermeister von Traiskirchen, sondern SPÖ-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl ist. Das hat ihn gleich zwei Mal zum Helden gemacht, einmal für den Andreas-Babler-Fanclub auf Twitter, vor allem aber auch für die Wahlkampfstrategen von ÖVP und FPÖ. Aber dass er sich diesen Erfolg auf den Helm sticken würde? Unwahrscheinlich, Thür ist schließlich nicht „Falter“-Chefredakteur, außerdem hat er den Helm schon länger, sagt er, und wer bin ich, um einem Faktenprofi wie Thür nicht zu vertrauen?
Als wir uns treffen, ist es Ende Juni, der letzte Mittwoch vor den großen Ferien, und ohne lange zu zögern, bestellt er Pad Kra Pao, das traditionelle Reis-Basilikum-Gericht mit Rind und Spiegelei (16,70 Euro), das er dann fast schneller isst, als er es bestellt hat. Thür ist im Stress, vor unserem Gespräch hat er schon neun Interviews gegeben („Die größte Überraschung war, dass doch unterschiedliche Fragen kamen“), und er muss danach auch gleich weiter. Er steckt gerade mitten in den Vorbereitungen für die ORF-Sommergespräche, die er dieses Jahr führen darf. Oder sollte man besser sagen: muss? Diese Gespräche bringen für die Interviewer zwar ein bisschen Ruhm (neun Interviews!), sind aber abgesehen davon schon in normalen Jahren nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, weil der journalistische Output gemessen am Aufwand, der darum betrieben wird, eher gering ist. In einem Wahljahr wird es dann noch schwieriger, sagt Thür: „Wenn wir ehrlich sind, dann ist nicht viel Gespräch möglich, jedenfalls kein zurückgelehntes Nachdenken, die Politikerinnen und Politiker haben daran nämlich gar kein Interesse. In einem Wahljahr wollen sie in einem Sommergespräch in erster Linie Fehler vermeiden und dann ihre Botschaften loswerden, ihre Phrasen platzieren und vielleicht ein bisschen Formulierungen probieren. Nachdenken, über den Tellerrand blicken und über andere Themen sprechen will da niemand.“ Nachsatz: „Meine Fragen stören nur, das weiß ich schon. Außerdem, und das möchte er auch mal sagen, beliebt macht man sich als Interviewer bei Sommergesprächen sowieso nicht: „In der Regel finden einen alle schlecht. Die Fans des Interviewten, für die hat man immer zu kritisch gefragt, und die Sympathisanten der anderen Parteien genauso, weil man immer zu sanft war.“
Was nicht heißt, dass er es nicht trotzdem probieren wird. Aber wie? Er will mit Recherchen punkten, sagt Thür: „Man muss recherchieren, alte Interviews und Pläne nachlesen und dann versuchen, mit konkreten Zitaten und Fakten vielleicht auf Ungenauigkeiten in den Positionen hinzuweisen. Und vielleicht kann ich auch den einen oder anderen überraschen.“
Die Sommergespräche 2024 werden also ein großer Faktencheck am lebenden Objekt Spitzenkandidat und Spitzenkandidatin. Und wenn man Interviews so anlegt, dann ist Martin Thür der richtige Mann für diesen Job. Er kann sich mit Akribie und Ausdauer selbst in die langweiligsten Zahlen, Daten und Fakten vertiefen, und zwar so lange, bis er irgendwas findet, das zumindest ihm sonderbar erscheint. Das weiß jeder, der ihm auf Twitter folgt, man muss dafür gar nicht SPÖ-Parteitage organisieren.
Doch dann ist da noch was, und das wird mir immer klarer, je länger wir im Pumpui sitzen und je weiter der offizielle Teil unseres Termins hinter uns liegt (der übrigens sehr kurz ist, weil mir nicht sehr viele Fragen einfallen, die die neun Kollegen vor mir noch nicht gestellt haben, Anm.): Thür interessiert sich wirklich für Politik und vor allem die Menschen, die sie machen. Es macht ihm Spaß, Politiker zu interviewen. Er hat eine fast kindliche Freude daran, dass er fast immer die für den jeweiligen Tag wichtigsten Akteure des Politzirkus vors Mikro bekommt. Er weiß die Tage, an denen Sebastian Kurz bei ihm im Studio war, und was der dann gesagt hat. Er weiß, wann er Karl Nehammer interviewt und wie sich das angefühlt hat, er weiß jede Liveschaltung, jedes Zitat, das bei ihm in der Sendung gefallen ist, und auch die wenigen Fälle, in denen jemand doch nicht mit ihm reden wollte. Vielleicht liegt das daran, dass Thür mit seinen 42 Jahren zwar schon fast 25 Jahre Journalist ist, die ersten 20 Jahre davon aber eher auf den Nebenbühnen (St. Pöltner Lokal-TV, ATV, Puls4, „Addendum“) unterwegs war und erst seit seinem Wechsel zum ORF im Jahr 2018 weiß, wie es ist, wenn die Politiker des Tages nicht mit dir reden, weil sie wollen – sondern weil sie müssen.
Vielleicht hat es auch andere Gründe, am Ende ist es aber egal: Wahrscheinlich gibt es niemanden in diesem Land, der so gerne Innenpolitik-Journalist ist wie Martin Thür, und vor allem der dabei so begeistert, so neugierig und so unzynisch bleibt. Denn das stimmt wohl auch: Thür ist eine unglaubliche Neugiersnase, er weiß alles und kennt vor allem jeden Tratsch, der durch die österreichische Politik wabert. Wer wissen will, wer im österreichischen Politik-Betrieb mit wem gut ist, mit wem und vor allem warum nicht mehr, der ist bei Thür an der richtigen Adresse. Dieses Interesse fürs Menschelnde an der Politik macht ihn auch selbst immer wieder zum Gegenstand von Tratsch. Unverschuldet, wie er findet.
Thür kann jedenfalls stundenlang Geschichten erzählen, er ist dabei hellwach, deutlich wacher, als wenn er Werner Kogler interviewen muss. („Werner Kogler ist einer der Schwierigsten. Du weißt oft nicht, wo er mit seinen Sätzen hinwill, und hast es dementsprechend schwer, ihn fürs Publikum einzufangen.“) Seine Hände sind dabei dauernd in Bewegung, fast noch mehr, als wenn Sebastian Kurz mit Armin Wolf „Schere, Stein, Papier“ spielen will. Gut, dass er sein Pad Kra Pao so schnell gegessen hat, es war angeblich genauso hervorragend wie mein Pad Mee (13,50 Euro). Er redet dann auch nicht mehr wie der professionelle „ZIB 2“-Moderator, sondern wie ein Schülerzeitungsredakteur, und um das sympathisch zu finden, muss man selbst gar kein Schülerzeitungsredakteur gewesen sein. Aber es hilft.
Wir trinken Kaffee, und als ich, wie bei dieser Kolumne üblich, bezahlen will, legt Thür ein Veto ein. Ich glaube zwar nicht, dass ein Mittagessen um unter 20 Euro bereits den Tatbestand der Anfütterung erfüllt – und vor allem: Wenn doch, dann würde ich mir Sorgen um den ORF machen –, aber Thür bleibt eisern. Wir splitten die Rechnung, sehr zur Freude der Kellner, und fahren beide auf unseren Vespas davon. „Held“, das sollte ich danach via Twitter erfahren, ist übrigens eine Motorradbekleidungsmarke.
Markus Huber
ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.