Ein Gang mit … Natascha Strobl
Natascha Strobl kommt zehn Minuten zu spät, und sie kommt nicht allein, das sollte ich aber erst später erfahren. Sie kommt ins Lokal, bleibt stehen, sieht sich um, ein Kontrollblick, dann setzt sie sich. Alles gut, es ist niemand da, der sie erkennen könnte: Es ist Freitagmittag, mag sein, dass in der Innenstadt gerade der Bär steppt, aber hier im Concordia Schlössl beim Wiener Zentralfriedhof sind wir allein.
Aber wer könnte Natascha Strobl überhaupt erkennen? Ganz einfach: Alle, die in Österreich einen Twitter-Account haben – und alle, die bei den Identitären herumhängen. Für den großen Rest sollte man es vielleicht erklären: Strobl ist eine 38-jährige Politologin, Autorin und Vortragsreisende in Sachen Rechtsextremismus. Ihr erfolgreichstes Buch „Radikaler Konservativismus“ erschien bei Suhrkamp und hat mehr als 40.000 Exemplare verkauft. Strobl ist aber vor allem auch eine der lautesten linken Stimmen im deutschsprachigen Twitter. Sie hat 176.000 Follower, und die hat sie, weil sie sehr viel Meinung und Erklärungskraft hat. Oft analysiert sie schneller, als der Analysierte sprechen kann. Das hat sie zu einer Heldin der Szene gemacht – und zu einem Feindbild der Rechten. Wenn man heute über die Gewalt in und aus dem Netz spricht, dann spielt Strobl oft eine zentrale Rolle. „Ich weiß, dass ich ein Reibebaum für viele Rechte bin“, sagt sie, „ich kann damit meistens auch umgehen, aber das Problem ist alles, was hinten nachkommt.“
Twitter verändert das Wesen. Ich bin froh über Leute, die mir einen Schuss vor den Bug geben und mir sagen, wenn es zu viel wird und ich das Ding mal weglegen soll.
Denn tatsächlich wird bei ihr die digitale Streiterei zu einer konkreten Bedrohung in der realen Welt. Strobl sagt, dass es eben nicht nur die dumpfen Direktnachrichten sind, an die habe sie sich gewöhnt. Sie bekommt Drohungen auch per Post, ohne Adresse, es werden Lesungen von ihr gestört, vor einigen Jahren wurden sogar Sticker aufgeklebt, auf denen Strobls Gesicht abgebildet war, verbunden mit dem Aufruf: „Linke Weiber ausknocken“. Irgendwas, sagt Strobl, ist da gröber aus dem Ruder gelaufen. Deswegen sammelt sie derzeit Spenden für den sogenannten „Gegenrechtsschutz“, der Menschen, die sich bedroht fühlen, helfen soll.
„Gehen wir ins Concordia Schlössl, ich mag das Lokal gern, ich hab hier geheiratet“, hatte sie gesagt. Ich fand das einen ungewöhnlichen Treffpunkt. Das Schlössl liegt nicht unbedingt zentral und wirkt mit seinem morbiden Art-déco-Charme seltsam aus der Zeit gefallen. Die in die Jahre gekommene Inneneinrichtung sieht aus wie direkt von der Mensa des Afro-Asiatischen Instituts übernommen, dafür ist die Speisekarte ein Papier gewordener Traum von Udo Landbauer: Es gibt tatsächlich doppelt so viele Schnitzelvariationen wie vegetarische Gerichte. Und dann ist da noch diese Uhr über der Tür, die immer 5 vor 12 anzeigt. Nein, das ist kein Fehler, sondern eine Metapher. Instinktiv suche ich nach der berühmt-berüchtigten Botschaft der Cree-Indianer, der mit „dem letzten Baum“ und „dem Geld, das man nicht essen kann“. Sie würde perfekt in dieses Ambiente passen, aber offenbar ist dem Aufkleber die Kraft ausgegangen. Oder Udo Landbauer hat ihn beim letzten Besuch abgezogen.