Ein Gang mit … Stefanie Sargnagel
Unser Gespräch beginnt damit, dass Richard Lugner nebenan in einem Dessous-Laden verschwindet und nicht und nicht herauskommt. Was erstens generell ein bisschen seltsam ist, und zweitens das Gespräch erschwert, weil wir natürlich wissen wollen: Kauft er wirklich etwas oder wollte er nur schauen?
Ich sitze mit Stefanie Sargnagel in der Lugner City in etwas, das sich „Odysseus Gyros Bar“ nennt, mit einer Bar aber noch weniger zu tun hat, als es Richard Lugner mit Dessous haben sollte. Der Mann ist schließlich schon lange keine 80 mehr. Es gibt nur Gyros, Softdrinks und griechisches Bier. Sargnagel hatte das Lokal ausgewählt. Sie schreibt gerade an ihrem neuen Roman, wie immer im Café Weidinger, gleich nebenan. Weil man dort „das Essen wirklich nicht empfehlen kann“, hat sie die Lugner City vorgeschlagen, doch da ist die Restaurant-Auswahl gar nicht so einfach. In der „Yu-Go-Grillage“ sitzen nämlich „alle, da kann man nicht in Ruhe reden“ (wobei unklar bleibt, wer diese „alle“ sind, die unser Gespräch belauschen könnten, und vor allem: warum?). Am „All-You-Can-Eat“-Chinesen hat sie sich satt gegessen, „außerdem ist er echt nicht mehr gut“. Gleiches gilt für das „Running Sushi“. Der Mexikaner wäre eine Alternative, „aber da sind nie Leute, das ist kein gutes Zeichen“. Also bleibt nur dieser Grieche, in dem sie aber noch nie war – die Odysseus Gyros Bar. Hier muss man sich zumindest nicht groß mit der Speisekarte beschäftigen, weil der Mann mit dem Kebab-Messer sagt: „Alles außer Gyros ist aus.“ Wir nehmen also zweimal Gyros mit Pommes und Pita (9,90 Euro), und es schmeckt genauso wie damals auf Ios. Allerdings gab es damals auf Ios traditionell erst nach dem letzten Bier Gyros, und wer sich Jahrzehnte später auch nur an irgendwas von seinen Ios-Trips erinnern kann, der war dort genauso falsch wie Richard Lugner im Dessousgeschäft. Wir kämpfen uns durch unsere Teller, und Stefanie Sargnagel tut so, als würde es ihr schmecken. Eine beachtliche schauspielerische Leistung. Stefanie Sargnagel ist Schriftstellerin, Illustratorin, Kabarettistin, Künstlerin und, wie sie selbst sagt, „Social-Media-Phänomen“ aus einer Zeit, als es eigentlich noch gar keine Social Media gab. Seit gut 15 Jahren gehört sie zum Wiener Kulturbetrieb als die immer bissige, ein bisschen pöbelnde Frau. In ihren Cartoons und Alltagsbeobachtungen ist sie brillant und lustig und auch ziemlich schlau. Aber es ist bei ihr wie bei vielen, die mal als Subkulturphänomen begonnen haben und dann in den Mainstream gespült wurden, egal ob sie das wollten oder nicht: Jetzt, mit 36, bringt Sargnagel ihre Bücher im selben deutschen Verlag heraus wie Daniel Kehlmann oder Philip Roth. Wie fühlt es sich also an, wenn man plötzlich zum Establishment gehört?
Stefanie Sargnagel stochert in den nicht mehr sehr knusprigen Pommes, schaut verstohlen in Richtung Dessous-Laden, nein, Richard Lugner ist noch immer nicht zu sehen.
„Dass ich nicht mehr Subkultur bin, ist auf jeden Fall gut für meinen Kontostand“, sagt sie: „Wahrscheinlich hat mich der Rowohlt-Vertrag zum Mainstream gemacht.“ Sie nimmt einen großen Schluck Cola aus der Plastikflasche. Ganz unabhängig vom Finanziellen sei das gar nicht schlecht: „Mainstream sein heißt, auch andere Zielgruppen zu erreichen und seine Message auch außerhalb der eigenen Blase anzubringen.“ Okay, bei „Was gibt es Neues?“ würde sie nicht auftreten, sagt sie: „Diese gespielte gute Laune schaffe ich nicht.“ Aber das zwangslustige ORF-Rateteam hat auch noch gar nicht angefragt. Und falls sich irgendwann mal „Dancing Stars“ melden würde? „Dann bin ich sofort dabei.“ Na gut, wir halten bei Staffel 15, die „Stars“ sind Menschen wie Alexander Pointner, der ehemalige Skisprungtrainer, Corinna Kamper, die ehemalige Rennfahrerin, und Lucas Fendrich, der Immer-noch-Sohn.
Es kann sich eigentlich nur um ein Versehen handeln, dass der arme Tropf, der seine Prominenten mittlerweile wohl schon bei irgendwelchen niederösterreichischen Theatersommern einfangen muss, nicht schon vor einigen Staffeln bei ihr angerufen hat. Aber was, wenn es demnächst wirklich läutet?
Stefanie Sargnagel stochert in den nicht mehr sehr knusprigen Pommes, schaut verstohlen in Richtung Dessous-Laden, nein, Richard Lugner ist noch immer nicht zu sehen. Man merkt ihr an, dass sie über dieses Mainstream-Sein schon ein paar Mal nachgedacht hat. „Zu Lesungen kommt mittlerweile ein anderes Publikum“, sagt sie und erzählt dann von einer Solidaritätslesung im Ernst-Kirchweger-Haus, „bei der mich Freunde gefragt haben, ob ich jetzt auch das EKH gentrifizieren will“. Eine ähnliche Szene hat sie mal für die Serie „Meine schlimmste Lesung“ der „Süddeutschen Zeitung“ beschrieben und zusammengefasst, was bei Auftritten in deklariert linken Kultureinrichtungen oft passiert: „Auf eine nette Begrüßung wartet man vergeblich. Zuerst werde ich gemustert und böse angeschaut, weil ich gepflegte Haare und Erfolg habe. Wenn ich nach dem verunsicherten Eintritt in die Location endlich so was wie Veranstalter finde, beschweren die sich erst mal darüber, dass man viele Leute anlockt. Ein ‚Oida, so viele scheiß Hipster waren noch nie bei uns‘ ersetzt das fröhliche Hallo.“ Leidet sie darunter?
Dass ich nicht mehr Subkultur bin, ist auf jeden Fall gut für meinen Kontostand.
Irgendwie wirkt Stefanie Sargnagel nicht so, als würde sie besonders gern darüber reden. In den vergangenen Jahren hat sie jedenfalls ihr Social-Media-Verhalten geändert. Sie postet auf Facebook deutlich weniger und hält sich auf Twitter zurück. Wenn es dann doch mal mit ihr durchgeht, weil sie sich über irgendwelche pseudolinken oder pseudowoken oder pseudonachhaltigen Pseudos (mit real zu viel Geld) aufregt oder über Influencerinnen, die alles vermarkten, ganz egal ob ihre Neugeborenen oder ihre Depressionen, dann löscht sie das recht schnell wieder. Weil: Was bringt’s? Stattdessen hängt sie lieber auf Instagram herum und postet ihre Cartoons. Überhaupt würde sie eigentlich am liebsten nur zeichnen: „Bei einem Cartoon ist es einfach: Wenn es jemand nicht versteht, dann versteht er es halt nicht.“ Lange Texte sind da sehr viel komplizierter.
Und noch etwas hat Steffi Sargnagel in den vergangenen Jahren festgestellt. „Es sind heute andere Leute, die mich erkennen“, sagt sie. „Meistens die älteren und nicht mehr die jungen, queeren, also die Leute, die ich gut finde. Und wenn mich dann doch mal jemand von denen erkennt und ein Selfie will, dann sagt er danach: Das is für die Mama, die is ein großer Fan.“ Wirklich schade, dass Richard Lugner nicht mehr rechtzeitig aus dem Dessous-Geschäft kommt. Das wäre ein tolles Selfie geworden.