"Wenn man abkassieren will, ist das hier die richtige Adresse."
Fußball

Ein Österreicher in der Saudi-Liga: „Am Ende des Tages zählt, wie viel Geld du verdient hast“

Srđan Spiridonović kickt seit Kurzem als erster Österreicher in Saudi-Arabien – wo die Millionen regieren und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Ist das ein modernes Fußballerabenteuer oder ein moralisches No-Go?

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Ein Wiener im Fußballer-Schlaraffenland, dort, wo das Geld sprudelt wie nirgendwo anders: Srđan Spiridonović, 29, einst U-21-Teamspieler, ist der erste österreichische Fußballprofi in Saudi-Arabien, dem Königreich und Schurkenstaat, in dem regimekritische Journalisten verschwinden und Frauen unterdrückt werden, wo gefoltert und hingerichtet wird. Für Fußballer ist es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wöchentlich werden neue Kaliber wie Zirkuspferde präsentiert: Ronaldo, Benzema, Mané. Der Brasilianer Neymar wurde auf einem goldenen Thron in der Luxusboeing eines saudischen Prinzen eingeflogen, kassiert 100 Millionen Euro pro Jahr und lebt in einem 25-Zimmer-Palast mit eigenen Bediensteten. Saudi-Arabien wird in Kickerkreisen gerade zur beliebten Altersvorsorge. Auch für Srđan Spiridonović. Vor wenigen Wochen hat er beim saudischen Zweitligisten Hajer FC unterschrieben – und verdient (laut eigenen Angaben) so gut wie nie zuvor. Gerne wäre er bei einem österreichischen Klub untergekommen, dann aber wälzte er mit seinen Beratern eine andere Frage: Was wäre das Beste für einen, der im Oktober 30 Jahre alt wird? Die Männer mussten nicht lange überlegen. Ende Juli saß Spiridonović im Flugzeug nach Saudi-Arabien. Nun schwitzt er bei knapp 50 Grad Tagestemperatur in der Wüste.

Von Ottakring nach Al Hofuf

Der saudische Kronprinz und Premierminister Mohammed bin Salman verfolgt einen großen Masterplan: Er will das Image seines Landes aufpolieren. Weg vom Ruf des brutalen Regimes, hin zu einem Staat, der als schillernd und prosperierend wahrgenommen wird, in dem man Spaß haben, Urlaub oder gute Geschäfte machen kann. Internationale Sportstars sollen fleißig dabei mithelfen. Neymar kassiert angeblich für jeden Social-Media-Post, in dem er Saudi-Arabien bewirbt, 500.000 Euro. Spiridonović sagt kurz und knapp: „Wenn man abkassieren will, ist das hier die richtige Adresse.“ In Europa werden die Kicker dafür kritisiert: Sie würden dabei helfen, einen Brutalo-Staat reinzuwaschen, heißt es. Doch so einfach ist es nicht (jedenfalls nicht immer).

Der saudische Kronprinz und Premierminister Mohammed bin Salman verfolgt einen großen Masterplan: Er will das Image seines Landes aufpolieren. Weg vom Ruf des brutalen Regimes, hin zu einem Staat, der als schillernd und prosperierend wahrgenommen wird, in dem man Spaß haben, Urlaub oder gute Geschäfte machen kann. Internationale Sportstars sollen fleißig dabei mithelfen.

Der Ottakringer Spiridonović ist ein freundlicher Mann, knapp über 1,70 Meter groß, braune Knopfaugen, ansonsten klassische Fußballeroptik: an den Seiten abrasierte Haare, tätowiert, tiefengebräunt, Goldketterl. Seit einem Monat lebt er im Fußballerparadies, das sich für ihn noch reichlich irdisch anfühlt. Er kam auf keinem goldenen Thron angeflogen (sondern im Linienflugzeug), bewohnt keinen Palast – und Diener schwirren auch keine um ihn herum. Beim Telefongespräch mit profil sitzt er allein in seiner Wohnung in der Stadt Al Hofuf. Es ist kurz vor Mitternacht, Spiridonović kommt gerade vom Training, das hitzebedingt erst nach Sonnenuntergang stattfindet, und einem Abendessen mit Mannschaftskollegen. Nun könne man sich ausführlich unterhalten, sagt er, zu Bett gehe er hier ohnehin spät – meistens erst zwischen sechs und acht Uhr morgens. Tagsüber sei es „brutal heiß“, weshalb er bis 16 Uhr schläft. Sein derzeitiger Tagesablauf: schlafen, essen, chillen, trainieren, fernschauen, nach Hause telefonieren. „Es ist ziemlich langweilig“, betont er. Die größte Aufregung des heutigen Abends: Es klingelte an der Tür, ein Mann stand davor und sprach aufgebracht in Arabisch. Es ging wohl um die Vorhangstange, die letzte Nacht in seiner Wohnung zu Boden gekracht ist, glaubt Spiridonović, aber so genau kann man das nicht wissen: „Ehrlich gesagt habe ich kein Wort verstanden.“

Seine Wohnung, die der Klub finanziert, sei schön, betont er, aber außergewöhnlichen Luxusschnickschnack gebe es keinen. Die Topstars bekommen dicke Rolex-Uhren oder Sportflitzer geschenkt. Auch im Fußballgeschäft herrscht eine Klassengesellschaft. Es gibt Leute wie Ronaldo und Neymar, die wie Könige behandelt werden, weil sie dem Land mit ihrem Werbewert Publicity verschaffen. Und dann gibt es Tausende Burschen wie Spiridonović; Normalos um die 30, die keine Fantasiesummen verdienen und für jeden Vertrag, den sie ergattern, dankbar sind.

Andere Länder, andere Sitten

„Es herrscht hier eine andere Mentalität“, sagt er, „und an das alles muss man sich erst einmal gewöhnen.“ Es gibt viele Verbote: Alkohol trinken zum Beispiel oder mit einer Frau Hand in Hand auf der Straße gehen. Eine Freundin hat er ohnehin nicht. Und eine Frau kennenzulernen, sei hier „sicher schwer“, glaubt er. „Ich denke, das sollte man eher nicht riskieren.“ Ein Regelbuch saudischer Gepflogenheiten hat er im Vorfeld nicht studiert. „Aber ich habe viele muslimische Freunde, und im Groben wusste ich, wie es hier sein wird.“ Zwei Dinge hat er schnell bemerkt: „Es gibt viele Regeln.“ Und: „Sie sind sehr streng.“

In seiner Jugend galt Spiridonović als großes Talent. Er war ein wieselflinker Ballzauberer bei Austria Wien. Einer, dem man gerne beim Spielen zusieht. Sein Spitzname: Speedy. Doch er konnte sich in Wien nicht durchsetzen. In der Branche hat er den Ruf eines Bad Boy, seinen Körper zieren Tattoos, auf Instagram zeigt er sich gerne in Checker-Pose oder mit schnellen Autos. Er kam zu spät zum Training, wurde aus dem Kader gestrichen und legte sich mit seinen Trainern an. „Mir wurden immer Steine in den Weg gelegt“, sagt er heute. „Ich bin ein normaler und bodenständiger Junge, aber wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, dann schlucke ich es nicht hinunter.“ Viele seien „mit meiner direkten und ehrlichen Art nicht zurechtgekommen“, erklärt er und klagt über ehemalige Trainer bei der Austria. „Hätte man mich so forciert, wie es sich gehört, wäre mein Weg sicher ganz anders verlaufen.“ In Österreich spielte er noch für Admira Wacker, doch heimische Vereine ließen bald die Finger von ihm.

Ein verlockendes Angebot

Spiridonović hat keine höhere Schule abgeschlossen und nichts anderes gelernt als das Fußballspielen. Er musste irgendwie weitermachen, ging ins Ausland und suchte sich fast jedes Jahr einen neuen Verein: in Italien, Griechenland, Polen, Serbien, der Türkei – zuletzt in Litauen. Wie ein Schausteller tingelt er seit seiner Jugend durch die Welt, führt ein paar Tricks vor und zieht weiter. Und das immer ein bisschen unter Zeitdruck: Fußballprofis haben bloß zehn bis 15 Jahre, um Geld zu verdienen. Bis heute spielt Spiridonović mit einem Ziel: „Ich wollte für mich und meine Familie ein besseres Leben“, sagt er.

Aufgewachsen ist er in bescheidenen Verhältnissen in Wien-Ottakring. Mit seinen Eltern, Einwanderern aus Serbien, und zwei Geschwistern lebte er in einer „sehr kleinen Wohnung“. Sein Vater arbeitete als Busfahrer, seine Mutter kümmerte sich um die drei Kinder zu Hause. „Wir waren sehr arm, hatten im Grunde nichts“, erzählt er. Schon als Bub spielte er ständig Fußball, in der Schule, im Park, auf der Straße. Mit 16 war klar, „dass ich genügend Talent habe, um Profi zu werden“. Im Fußballgeschäft ist für talentierte Burschen vieles möglich.

In seinen Erzählungen klingt die Fußballwelt aber wenig glamourös. Man sei oft allein in fremden Ländern. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren Protz-Kicker, die auf Yachten goldene Steaks verspeisen. Seine Realität sei härter. Als Sportler habe man „nicht so ein gutes Leben, wie jeder glaubt. Ich musste mein Zuhause auf Jahre hinweg verlassen und mich allein durchschlagen“, erzählt er. Oft habe er überlegt, aufzugeben, und dann doch weitergemacht. Man müsse „mental sehr stark sein“. Ende 2022 sah es nicht gut aus, er war fünf Monate lang vereinslos – und kam nur mehr bei Kauno Žalgiris in Litauen unter, im Fußballniemandsland. Aber dann kam die Wüste ins Spiel.

Vor seinem Wechsel nach Saudi-Arabien habe er sich mit seiner Familie und Freunden beratschlagt. Der Tenor: Es ist das Beste. Zu verlockend sind die Gehälter, die selbst in der zweiten saudi-arabischen Liga gezahlt werden. In Österreichs zweiter Klasse verdienen Spieler im Schnitt nicht mehr als fleißige Kellner. Spiridonović kassiert beim Hajer FC pro Jahr 500.000 Dollar, wie er sagt. Das ist viel Geld für einen, der nicht mehr viele Möglichkeiten hatte.

Wie ein Schausteller tingelt er seit seiner Jugend durch die Welt, führt ein paar Tricks vor und zieht weiter. Und das immer ein bisschen unter Zeitdruck: Fußballprofis haben bloß zehn bis 15 Jahre, um Geld zu verdienen. Bis heute spielt Spiridonović mit einem Ziel: „Ich wollte für mich und meine Familie ein besseres Leben“, sagt er.

Dafür muss der orthodoxe Christ schnell in eine fremde Welt eintauchen. Im Gespräch klingt es so, als sei ihm dabei noch ein wenig mulmig. „Es herrscht hier eine andere Mentalität“, sagt er, „und an das alles muss man sich erst einmal gewöhnen.“ Es gibt viele Verbote: Alkohol trinken zum Beispiel oder mit einer Frau Hand in Hand auf der Straße gehen. Eine Freundin hat er ohnehin nicht. Und eine Frau kennenzulernen, sei hier „sicher schwer“, glaubt er. „Ich denke, das sollte man eher nicht riskieren.“ Ein Regelbuch saudischer Gepflogenheiten hat er im Vorfeld nicht studiert. „Aber ich habe viele muslimische Freunde, und im Groben wusste ich, wie es hier sein wird.“ Zwei Dinge hat er schnell bemerkt: „Es gibt viele Regeln.“ Und: „Sie sind sehr streng.“

Im Jahr 2022 wurden in Saudi-Arabien (laut Amnesty International) 196 Menschen hingerichtet, dreimal so viele wie im Jahr davor. Es gibt keine Meinungsfreiheit, Regimegegner werden inhaftiert und gefoltert, die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ wirft Saudi-Arabien vor, Flüchtlinge aus Äthiopien an der Grenze zu erschießen. Machen sich Fußballer, die im Wüstenstaat gutes Geld verdienen, mitschuldig an solchen Gräueltaten? Spiridonović muss bei der Frage ein wenig durchatmen. Dann sagt er: „Jeder würde hierherkommen, weil man später keine Zukunftssorgen haben will.“ Die Kritiker hätten leicht reden, sie würden aber „niemandem zu Hilfe kommen, der nach der Karriere mit Problemen und ohne Geld dasteht“. Er habe deshalb für jeden Verständnis, „der irgendwohin geht, um sich und seiner Familie das Leben zu erleichtern“. Vielleicht mit einer kleinen Ausnahme. Über Cristiano Ronaldo, der schon in Europa Hunderte Millionen verdient hat und nun trotzdem in der Wüste abcasht, sagt er: „An seiner Stelle wäre ich nicht nach Saudi-Arabien gegangen. Er hat so viel Geld verdient und will trotzdem noch mehr und mehr. Irgendwo verstehe ich das nicht.“

Er selbst brauche keinen „übertriebenen Luxus“ – auch wenn ihm schnelle Autos viel bedeuten. Aber: „Ob ich einen Sportwagen habe oder zehn, spielt für mich keine Rolle.“ Sein Erspartes hat er in Immobilien angelegt. „Später will ich davon leben können“, sagt er. Ein bisschen Arbeit ist dafür noch nötig. Mit seinem Klub, dem Hajer FC, hat er bislang drei von vier Spielen verloren. Auf dem Spielfeld ist der flinke Mann aber immer noch ein Blickfang. Zuletzt hat er mit einem Tempodribbling ein Tor eingeleitet, sein Team gewann 2:0. Tags darauf kamen Scheichs aufs Gelände und gratulierten den Kickern. Ob er länger in der Wüste bleiben wolle? „Schwer zu sagen“, sagt Srđan Spiridonović .

Immer wieder klingt Wehmut nach der Heimat durch, nach Wien, wo er geboren und aufgewachsen ist. In Wien sei er „der glücklichste Mensch der Welt. Dort ist meine Familie, dort sind meine Freunde.“ Kurz träumt er im profil-Gespräch von einem Karriereende bei der Wiener Austria, wo damals alles begann, aber nicht zu seiner Zufriedenheit endete. „Ich liebe diesen Verein. Ein Wechsel dorthin würde mich sehr stolz machen.“ Doch der Gedanke verfliegt schnell. Eines hat er in seiner Karriere gelernt: Träumereien bleiben meistens Träumereien. Als Jugendlicher erhoffte er Trophäen, Torschützentitel und die Fußball-Glamourwelt. „Ich habe mich in einer der Top-4-Ligen gesehen.“ Der sportliche Ehrgeiz relativiert sich auf den letzten Metern der Karriere. Nun geht es um die Altersvorsorge. Als Fußballer sei man eben auch nur „ein normaler Arbeiter“, sagt er, „und am Ende des Tages zählt nicht, welche Trophäe man gewonnen hat, sondern wie viel Geld du verdient hast.“

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.