Ein Shake mit … Eva Glawischnig
Eva Glawischnig möchte nichts essen, und das ist total verständlich, denn es ist erstens 14 Uhr, und zweitens gibt die Karte nicht sehr viel her: Panini mit Mozzarella, Panini mit Salami, Panini mit Schinken, jeweils mit Chips, als Alternative einen Schinken-Käse-Toast. Aber gut, wir sitzen hier auch nicht im Steirereck, sondern in einer Eisdiele.
„Gehen wir ins Amirado in Laxenburg“, hatte Eva Glawischnig vorgeschlagen, „wie wär’s mit 14 Uhr?“ Interessanter Ort und interessante Zeit für einen Business-Lunch, hatte ich mir noch gedacht, aber keine Einwände erhoben, und jetzt hocken wir tatsächlich hier, und Glawischnig sagt: „Ich werd nur einen Cappuccino nehmen.“ Schwierig, antworte ich, in der Kolumne geht es ums Essen, wir müssen also irgendwas bestellen. Glawischnig schaut überrascht, nimmt dann aber doch die Karte, und es beginnt diese lange, unangenehme Phase des Schweigens, die immer dann einsetzt, wenn man als Veganer die Speisekarte anschaut und feststellt: Verdammt, im Steakhouse gibt es wirklich nur Steaks.
Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ist sie tatsächlich ihre eigene Chefin, eine Frau, die tun und lassen kann, was sie will. Und wenn sie sich zum Essen in einer Eisdiele verabreden will, dann verabredet sie sich zum Essen in einer Eisdiele. Auch wenn sie dann gar nichts isst.
Eva Glawischnig hat in den vergangenen Jahrzehnten einen weiten Weg zurückgelegt, sehr viel weiter als von ihrem Geburtsort Seeboden am Millstätter See nach Münchendorf bei Gramatneusiedl, wo sie heute lebt. Jahrzehntelang stand sie in der Öffentlichkeit, hat vor allem funktioniert und das gemacht, was sie dachte, dass von ihr erwartet wird. Mittlerweile hat sie aber die Politik hinter sich gelassen und auch dieses Missverständnis namens Novomatic, den Glücksspielkonzern, für den sie schließlich gearbeitet hat, als sie nach ihrem Rücktritt als Grünen-Chefin einen Job brauchte und lange keinen fand. Ihre beiden Söhne sind aus dem Gröbsten raus und außerdem während der Woche im Internat, zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ist sie also tatsächlich ihre eigene Chefin, eine Frau, die tun und lassen kann, was sie will. Und wenn sie sich zum Essen in einer Eisdiele verabreden will, dann verabredet sie sich zum Essen in einer Eisdiele.
Auch wenn sie dann gar nichts isst.
Knapp sechs Jahre ist es her, dass Glawischnig zurückgetreten ist, nachdem ein Burnout sie niedergestreckt hatte. „Ich war so fertig und hatte einen allergischen Schock. Die Ärzte im AKH erkannten mich nur an meinem Namen. Mein Körper hat für mich einen Schlussstrich gezogen“, sagt sie. Heute ist sie Coach und Consulterin, erklärt Firmen, wie man in Zukunft Nachhaltigkeitsberichte erstellen muss, was weniger trivial ist, als es klingt, und gibt daneben Coachings für weibliche Führungskräfte. „Machiavellismus für Frauen“, nennt sie das, und darin kann man von ihr wirklich einiges lernen. Peter Pilz und seine Kumpels können das bestätigen. Außerdem ist sie seit einiger Zeit wieder häufiger im Fernsehen zu sehen. Glawischnig diskutiert auf Puls24 und streitet auf KroneTV mit Andreas Mölzer, dem früheren Chefideologen der FPÖ. In dieser Sendung hat sie letztens erzählt, dass sie als Jugendliche mit FPÖ-Chef Herbert Kickl beim Flaschendrehen geschmust hat. Warum sie das erzählt hat, das weiß wohl nicht einmal sie selbst. Tun und lassen können, was man will, oder nicht?
Die Eisdiele füllt sich allmählich. „Einen Shake vielleicht, der ist hier ganz gut“, sagt Glawischnig jetzt. Wir bestellen also einen sehr eigenartigen Drink (4,50) für sie, und irgendwas mit Erdbeeren und Kirschen (7,50) für mich. Glawischnig nimmt noch einen Cappuccino dazu, man kann nie wissen.
Auch wenn sie heute keine Funktion mehr hat: Eva Glawischnig ist ein politischer Mensch. Mag sein, dass sie bei den Grünen durch die Novomatic-Episode einige Freunde verloren hat, das ist aber umgekehrt durch die ÖVP-Episode auch so. „Einen Wahlkampf rund um das Thema ‚Saubere Politik‘ können die Grünen heute nicht mehr machen. Offenbar verliert man, sobald man an der Macht ist, ein bisschen die Unschuld.“ Das sei vor allem in der Flüchtlingspolitik so: „Als Grüne Kinderabschiebungen oder so etwas wie das Flüchtlingslager auf Lesbos zu sehen, das muss man erst einmal verkraften. Da gab es schon Momente, in denen ich zum Telefon gegriffen und Menschen gefragt habe, was denn mit ihnen los ist.“ Wen, das will sie nicht sagen, aber so viele ihrer ehemaligen Abgeordneten sind heute nicht Klubobfrau im Nationalrat.
Eva Glawischnig ist ein politischer Mensch. Mag sein, dass sie bei den Grünen durch die Novomatic-Episode einige Freunde verloren hat, das ist aber umgekehrt durch die ÖVP-Episode auch so.
Wenn man Eva Glawischnig dabei zusieht, wie sie ein Zuckersäckchen in ihren Cappuccino schüttet und dann ganz langsam den Milchschaum löffelt, hier in dieser absurd bunten Gelateria, in der nur die Vespa-Attrappe und das Sophia-Loren-Foto fehlen, dann kann man gar nicht anders, als ein bisschen wehmütig zu werden. Es ist auch ungerecht: Während sie für ein paar Euro im Nachtprogramm von Minisendern mit Mölzer oder Wolfgang Rosam über irgendetwas streiten muss, das spätestens am nächsten Morgen alle vergessen haben (wenn sie nicht gerade Absurditäten aus ihrem präpubertären Liebesleben ausgepackt hat), fliegen Politikerinnen, die in ihrem Windschatten groß geworden sind, zu EU-Gipfeln, verdienen 18.000 Euro im Monat und machen echte Politik, ausgestattet übrigens mit einem Stab von Dutzenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die ihnen alles abnehmen, vom Vordenken bis zum Aufladen des E-Bikes.
„Auf 18 Löchern erkennst du, ob jemand empathisch ist, ein Zornbinkerl, oder ob er sein Teufelchen noch in der Kiste hat.“
Hat sie zu früh aufgehört? Hätte sie noch ein bisschen durchhalten und dann zumindest Ministerin werden sollen? „Nein“, sagt Eva Glawischnig, „auf gar keinen Fall. Ich habe nicht zu früh aufgehört, sondern zu spät.“ Der Sieg bei der Bundespräsidentschaft, der wäre das Aufhören am Höhepunkt gewesen: „Es war anstrengend und teuer, wir mussten alles runterfahren. Viele meiner Mitarbeiter gingen mit Sascha in die Hofburg. Ich blieb. Es war ein bisschen Eva allein zu Hause.“ Dazu kommt, dass Politik auch ziemlich anstrengend ist – und verlogen. „Man sagt das als Politikerin, aber es ist nicht leicht, Kind und Karriere zu vereinbaren. Natürlich schafft man es irgendwie, ein Neugeborenes, einen Dreijährigen, dazu auch noch eine Partei, aber das ist nicht nachhaltig. Da gab es schon bittere Momente. Ich hatte oft das Gefühl, nur eine halbe Parteichefin und eine schlechte Mutter zu sein. Es gibt viele Schubladen, in die man gesteckt wird. Du gehst dann irgendwann einkaufen mit deinen Kindern und hörst, wie eine Passantin zur anderen sagt: ‚Die ist ja eh zu ihren Kindern gar nicht so böse.‘ Offenbar waren Menschen der Meinung: Jemand, der hart im Fernsehen ist, kann offenbar nicht nett zu den eigenen Kindern sein.“
Heute muss sie nicht mehr so viel darauf geben, was die Leute von ihr denken. Woran man das merkt? An ihrem Hobby. Nach ihrem Rücktritt begann Glawischnig nämlich zu golfen. Es entspannt sie, sagt sie, außerdem würde man beim Golfen sehen, wie Menschen wirklich sind. „Auf 18 Löchern erkennst du, ob jemand empathisch ist, ein Zornbinkerl, oder ob er sein Teufelchen noch in der Kiste hat.“
Mittlerweile steht sie zwei bis drei Mal die Woche am Platz, anders würde sie ihr Handicap von 23 auch nicht halten. Manchmal spielt sie in Sigi Wolfs Fontana („Der ist gut, aber teuer.“), wohler fühlt sie sich aber im Golfklub Ebreichsdorf, einem Verein, in dem traditionell auch die meisten männlichen Mitglieder Doppelnamen tragen, und zwar schon sehr viel länger als das bei den Grünen üblich ist. Es war wirklich ein weiter Weg aus Spittal.
Der Shake, den sie bestellt hat, hörte übrigens auf den Namen „Sanfter Engel“. Sie hat ihn ausgetrunken.