Ein Tag im Priesterseminar: Gott, die Kirche und 38 Männer
Christo ist wie jeder andere 24-Jährige. Ein richtiger „Gen Z“, sagt er. Und Kinoliebhaber. „Kung Fu Panda 4“ hat er vor kurzem gesehen, bald kommt im Gasometer ein Film aus Indien, seiner Heimat, den er gerne schauen möchte. Zuhause hat Christo einen Bruder, seine Familie ist gläubig, Teil der syro-malabarischen Katholischen Kirche. Mit dem Essen in Österreich musste er sich erst anfreunden, das hat ihm anfangs „gar nicht geschmeckt“.
Ja, Christo ist wie jeder andere 24-Jährige, bis auf eine Sache: Er möchte Priester werden. Seit mittlerweile gut einem Jahr lebt er deswegen im Priesterseminar der Diözesen Wien, St. Pölten und Eisenstadt. Strudlhofgasse, Bezirk Alsergrund, gleich neben einem Studierendenheim, rund zehn Minuten vom Campus der Universität Wien entfernt. Zusammen mit 37 anderen Männern absolviert er hier seine Ausbildung. „Als Kind konnte ich während der heiligen Messe nie den Altar sehen. Das ging nur, wenn alle um mich herum auf die Knie gegangen sind. Da habe ich zum ersten Mal einen Priester wahrgenommen und meine Mutter gefragt: Wer ist das? Was macht der? Was trägt der für eine komische Kleidung? Sie hat es mir dann erklärt und gesagt: Du kannst auch Priester werden. Das war meine erste Motivation.“
Christo sitzt in einem der Arbeitsräume des Priesterseminars – hohe, orange Wände, helle Holzmöbel. Hinter ihm hängt ein Bild der Muttergottes, es ist nicht sonderlich groß, springt einem aber trotzdem sofort ins Auge. Die Maria darauf schaut ein wenig skeptisch. Christo beachtet sie nicht sonderlich lange. Er kennt den Raum, schließlich wohnt er hier.
„Alleine zu leben ist nicht für jeden eine Schwierigkeit. Wenn mich Menschen fragen, ob ich nicht gerne heiraten würde, erkläre ich meine Entscheidung, Priester zu werden, meistens so: Dieser Lebensstand ist ein Opfer. Erst wer keine Augen hat, versteht, wie wichtig Augen sind“, sagt Christo.
Die Sache mit dem Zölibat beschäftigt hier wohl so manchen. Regens Richard Tatzreiter, Leiter des Seminars, sagt: „Priester zu werden ist eine Entscheidung für ein Leben. Das macht diesen Beruf anders, das muss für einen passen, als Mensch und als Christ.“ Schon seit 2006 arbeitet Tatzreiter in der Priesterausbildung, vor rund sieben Jahren übernahm er die Verantwortung für die Priesterseminare von Wien, Eisenstadt und St. Pölten. „2012 wurden die drei Seminare dann zusammengelegt. Das bringt die gleichen Schwierigkeiten mit sich, wie wenn man Pfarren miteinander vereint – unterschiedliche Traditionen und Vorstellungen treffen aufeinander“, sagt Tatzreiter.
Willkommen ist in der Strudlhofgasse grundsätzlich einmal jeder. „In norddeutschen Bistümern wurden teilweise Altersgrenzen eingezogen. Wir denken uns aber: Warum dem heiligen Geist Grenzen setzen?“, sagt Tatzreiter, „Natürlich schauen wir uns bei jedem einzelnen Bewerber genau an, wie die Biografie aussieht. Aber wir hatten eben auch schon Weihen von über 60-Jährigen oder Personen, die sich zeitweise ganz von dem Geheimnis, das wir Gott nennen, abgewandt haben.“
Die größte Herausforderung im Seminar sei derzeit das Diversitätsmanagement. 20 der 38 Seminaristen kommen aus dem Ausland, elf haben eine andere Muttersprache als deutsch. „Gerechtigkeit bedeutet nicht, alle gleich zu machen, sondern zu versuchen, jedem gerecht zu werden. Natürlich gibt es generelle Standards, aber wir müssen die Individualität und persönliche Berufung der Seminaristen ernst nehmen“, so Tatzreiter.
Walter Heck vom Jesuitenorden kommt ursprünglich aus Deutschland. Aus Bayern, um genau zu sein. Seit letztem Herbst arbeitet er im Wiener Priesterseminar als Spiritual. „Das ist ein seltsames Wort. Es bedeutet, dass ich zuständig für die geistliche Ausbildung bin“, sagt er. Dabei setzt Heck geistliche Impulse, hält Exerzitien, eine Art geistliche Übung und führt Einzelgespräche. „Die Seminaristen können mit mir über alles sprechen, was für sie von Bedeutung ist. Das sind oft nicht nur spirituelle Sachen. Wenn jemand in einer Krise steckt oder sich verliebt hat, zum Beispiel, kann er auch darüber reden“, sagt Heck.
Als Manuel die Tür zum Arbeitsraum öffnet, schaut die Muttergottes am Bild immer noch recht verzweifelt. Manuel ist wie jeder andere 23-Jährige. Er studiert an der Universität Wien, kommt gerade aus einer Kirchenrechtsvorlesung. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof in Niederösterreich, in der Schule war Religion immer sein Lieblingsfach, früher hat er sogar ministriert. Ja, Manuel ist wie jeder andere 23-Jährige, bis auf eine Sache: Er möchte Priester werden.
Seine Freunde haben das schon kommen sehen, finden das sogar gut, schließlich hat er sich immer für das Ordensleben und das Priestertum interessiert. Seine Eltern waren anfangs nicht sonderlich begeistert, dem Vater wäre Rechtswissenschaften lieber gewesen, irgendwas mit mehr Gehalt, der Mutter etwas ohne Zölibat. Was war also ausschlaggebend? 2016 besucht er den Weltjugendtag in Krakau, der Papst ist auch dort. „Da habe ich zum ersten Mal Priester und Ordensfrauen getroffen, die nicht alt oder komisch oder beides waren und mir gedacht: richtig cool”, sagt er.
Das Priesterseminar in der Strudlhofgasse ist für ihn vielleicht auch deshalb „ein bisschen wie ein Studentenwohnheim mit Zusatzprogramm.“ Später, wenn er fertig ist, möchte er wieder zurück aufs Land, dort in einer Pfarre arbeiten. Manuel sagt: „Ich hab mir gedacht: Scheißdrauf, ich probier es aus. Wenn mir die Ausbildung nicht passt, kann ich ja jederzeit aufhören. Und Theologie hätt’ ich sowieso studiert.“