Künstliche Intelligenz

Eine kurze Geschichte von Yuval Noah Harari

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari zählt zu den führenden Welterklärern der Gegenwart. In seinem neuen Buch „Nexus“ erläutert er, was die KI mit dem Homo sapiens anstellen könnte. Sebastian Hofer hat sich die „kurze Geschichte der Informationsnetzwerke“ im Schnelldurchgang angesehen.

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Am Dienstag dieser Woche erblickte der neue Harari das Licht der Welt beziehungsweise: Die Welt erblickt das Licht des neuen Harari. Das jüngste Buch des israelischen Bestseller-Intellektuellen steht unter dem Titel „Nexus“, was so viel heißt wie „Knotenpunkt“ und in der deutschen Übersetzung erstaunlicherweise erst auf Seite 311 erstmals vorkommt, dort freilich als Fachbegriff aus dem internationalen Steuerrecht und anlässlich der Frage, warum kalifornische und chinesische Digital-Unternehmen in Uruguay keine Abgaben zahlen.

Und schon haben wir das Problem: Bei der großflächigen Belichtung der Welt kann man offenbar auch einmal geblendet werden. Etwa wenn man vor lauter pfiffigen Beispielen bisweilen den Faden verliert und sich die Gegenargumente zur Eingangsthese verhalten wie Äpfel zu Birnen. Das ist insofern seltsam, als der Erfolg des Yuval Noah Harari genau darauf beruht: das ganz große Bild so genau und behutsam nachzuzeichnen, dass man beim Zuschauen nur Nicken kann.

Mit dem Welterfolg seines Bestsellers „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ (25 Millionen verkaufte Exemplare; deutsche Ausgabe laut Verlagsangaben seit 350 Wochen auf der „Spiegel“-Bestsellerliste und aktuell in der 43. Auflage, dazu Sondereditionen, Hörbücher und eine Comic-Fassung) hat sich Harari, dessen Spezialgebiet als Historiker die frühneuzeitliche Militärgeschichte ist, als global führender Menschheitserklärer etabliert. Dass der 48-Jährige dabei auch immer wieder einen Hang zur Untergangsprophezeiung beweist, hat seinem Erfolg keinen Abbruch getan, das Schaudern an der Zukunft scheint ein guter Gegenpol zur historischen Erleuchtung.

Also ja, ich will es wissen. Es folgt der Versuch, die Welt, den Menschen, die KI und deren gemeinsame Zukunft endlich wirklich zu verstehen – in einer Marathonlesung von Samstagnachmittag bis Montagabend.

Samstag, 16 Uhr. Einmal Weltuntergang und zurück

Der Autor druckst nicht lange herum, die Zeit drängt, und schon in den ersten Zeilen des Prologs von „Nexus“ ist deswegen von der „existenziellen Krise“ die Rede, die der Menschheit bevorstehe, sowie vom „ökologischen Zusammenbruch“ der Welt und der künstlichen Intelligenz, die das Potenzial habe, „uns zu versklaven oder gar zu vernichten“. Plus: „Ein neuer Weltkrieg scheint nicht mehr undenkbar.“

Ich bin mit meinen Zukunftssorgen offenbar in guter Gesellschaft, möglicherweise mache ich mir sogar noch zu wenig Sorgen, aber dafür gibt es „public intellectuals“ wie Harari, der die Apokalypse schon länger im Repertoire hat, aber meist auch ein paar beruhigende Gedanken obendrauf legt. Tatsächlich wirkt sein Beharren auf die Unerschütterlichkeit der Geschichte tröstlich: Die Zeiträume, von denen da die Rede ist, sind so groß, die Entwicklungen so gigantisch, dass der einzelne Leser vergleichsweise vernachlässigbar erscheint. Das ist, auf eine sehr buddhistische Art, auch beruhigend.

Leider reißt einen Harari immer wieder aus der Meditation, und zwar weniger mit den wiederkehrenden Cliffhangern, die seine Kapitel im bewährten Thrillerstil verknüpfen, sondern mit seinen seltsam hakenschlagenden Argumenten, die eine wohlige Verfolgung leider erschweren.

Noch im Prolog veranschaulicht Harari die KI-Revolution etwa mit dem Beispiel von Goethes „Zauberlehrling“, der die magischen Besen nicht mehr loswird, die er selbst rief – nur um nach einigen Seiten zu erläutern, dass der Vergleich gravierend hinke, weil die Menschheit eben kein egoistisch-kurzsichtiger Zauberlehrling sei, sondern ein vielfältiges verstricktes „Informationsnetzwerk“.

Der etwas unelegante Begriff wird uns leider noch begleiten, denn: „Die zentrale These dieses Buches ist, dass die Menschheit gewaltige Macht erwirbt, indem sie kooperative Netzwerke aufbaut, dass jedoch die Konstruktionsweise dieser Netze dem unklugen Gebrauch dieser Macht Vorschub leistet. Konkret handelt es sich um ein Informationsproblem.“

Und genau solche Informationsprobleme stehen, so eine zentrale These von „Nexus“, im Zeitalter der künstlichen Intelligenz vor der Eskalation. Wir hanteln uns also schon mit Ende des ersten Kapitels bis zum ultimativen Cliffhanger vor: „KI hat das Zeug, nicht nur den Lauf der Geschichte unserer Spezies zu verändern, sondern die Evolution des gesamten Lebens.“

Bei der großflächigen Belichtung der Welt kann man offenbar auch einmal geblendet werden. Etwa wenn man vor lauter pfiffigen Beispielen bisweilen den Faden verliert und sich die Gegenargumente zur Eingangsthese verhalten wie Äpfel zu Birnen. 

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.