Müller und Schweinsteiger sagen "Au Revoir"!
EM-Tagebuch: Deutsche Handarbeit

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Es war ein flottes Spiel mit vielen Toren, das die Zuseher gut unterhielt. Schon in der zweiten Minute gingen die Gäste per Kopfballtreffer in Führung, 25 Minuten später erhöhten sie auf 2:0. Am Schluss musste sich der Gastgeber verdient mit 2:3 geschlagen geben. „Die Mannschaft hat vieles richtig gemacht, einen guten Auftritt hingelegt“, bilanzierte der Trainer des Siegerteams hochzufrieden.

Das war jetzt nicht die Kurzfassung einer EM-Partie in Frankreich. Fußball gespielt wurde in der Vorwoche auch noch woanders, und zwar in der westslowakischen Kleinstadt Myjava. Dort gewann Admira Wacker Mödling, Viertplatzierter in der österreichischen Bundesliga, am Donnerstag in der ersten Runde der Europa-League-Qualifikation gegen den slowakischen Tabellendritten Spartak Myjava. Die Mödlinger sind damit eine Runde weiter und treffen am kommenden Donnerstag zu Hause auf den FC Kapaz aus Aserbaidschan. Ebenfalls am Donnerstag spielt Austria Wien gegen den albanischen Klub FK Kukesi.

Es gibt also ein Fußballfanleben nach der Europa­meisterschaft. Wir müssen vorübergehend nur ein wenig genügsamer werden. Die Stars der Branche machen erst einmal Urlaub, Beine im Versicherungswert von Dutzenden Millionen Euro gibt es bis auf Weiteres nicht zu sehen. Auch die Austragungsorte und Stadien sind weniger mondän als zuletzt. Aber ein paar Klassen unterhalb des EM-Niveaus wird auch ganz nett gekickt. Manchmal sind diese Spiele sogar unterhaltsamer als die taktisch durchgestylten ­Partien der Elite.

Dass die Gesamtleistung den Einzug ins Finale eher nicht rechtfertigte, ist sogar dem portugiesischen Trainer Fernando Santos bewusst.

Die EURO 2016 ist nach dem Finale am Sonntagabend Geschichte. Das Turnier hatte mit einer ziemlich matten Gruppenphase begonnen, aus der vor allem unerschütterliche Defensivreihen in Erinnerung bleiben werden. Danach wurde es besser, die K.-o-Spiele waren großteils sehenswert – außer Portugal stand auf dem Platz, was sich leider bis ins Finale nicht verhindern ließ. Cristiano Ronaldo und Kollegen bemühten sich so redlich um die Zertrümmerung der Spielidee, dass sie auch noch sämtliche Gegner um deren Kreativität brachten. Ihren letzten Auftritt vor profil-Redaktionsschluss hatten die Portugiesen im Halbfinale gegen das Überraschungsteam aus Wales. Und Überraschung: Die bis dahin sehr flotten Waliser verloren ebenfalls den Zug zum Tor. Im Gegensatz zu den vorherigen Partien gelang den Portugiesen diesmal wenigstens ein Sieg in der regulären Spielzeit. Erst traf Ronaldo, drei Minuten später Nani. Damit war das Tagwerk effizient erledigt.

Dass die Gesamtleistung den Einzug ins Finale eher nicht rechtfertigte, ist sogar dem portugiesischen Trainer Fernando Santos bewusst. „Manchmal war es schöner, uns zuzusehen, manchmal nicht“, erklärte er: „Wir sind vielleicht nicht das beste Team der Welt, aber wir wissen, dass es schwer ist, uns zu schlagen.“

Das eigentliche Finale der EM fand diesmal ausnahmsweise schon drei Tage vor dem Ende statt. Mit Frankreich und Deutschland traten die besten Mannschaften des Bewerbs im Halbfinale gegeneinander an – der Zufall und die UEFA bestimmten es so. Frankreich sei „leichter Favorit“, hatte Oliver Bierhoff, Teammanager der Deutschen, im Vorfeld erklärt. So etwas sagt man halt vor einem wichtigen Spiel, wenn man nicht überheblich klingen will. Aber wirklich geglaubt hat das in Deutschland kaum wer. Neun Mal war die Nationalelf bisher bei Welt- und Europameisterschaften auf den Gastgeber getroffen. Ergebnis: Der Gastgeber flog neun Mal raus. „Deutschland ist das Maß aller Dinge“, titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am Donnerstag und erläuterte diese Einschätzung mit dem überragenden taktischen Konzept von Bundestrainer Jogi Löw. Auf „Spiegel online“ wurde zeitgleich optimistisch ums Eck gedacht: „Wenn Deutschland Europameister wird, ist Toni Kroos endgültig der eigentliche Superstar der Mannschaft.“ Tja, wenn.

Wer weiß, wahrscheinlich planen ein paar deutsche Kicker auch einen Urlaub in Italien und wollten deshalb mit der EM früher fertig werden.

Am Abend half weder die Statistik noch die Taktik, und auch Toni Kroos musste passen. Deutschland spielte gut, phasenweise besser als der Gegner. Aber die Franzosen trafen zwei Mal ins Tor, während die Deutschen ein Mal ans Lattenkreuz, einige Male in die Handschuhe des gegnerischen Keepers und diverse Male einfach vorbei ballerten. Vorrangig sollte sich die DFB-Psychologieabteilung demnächst mit der Frage beschäftigen, warum zwei Leistungsträger der Weltmeistermannschaft von 2014 im Stress (und im eigenen Strafraum) plötzlich die Sportart verwechselten. Jérôme Boateng war gegen Italien mit beiden Händen in Richtung Ball gesprungen, Bastian Schweinsteiger gegen Frankreich zwar nur mit einer Hand, aber auch das ist bekanntlich verboten. Der Elfmeter in der Nachspielzeit der ersten Hälfte markierte den Anfang vom Ende. In der 72. Minute hielt es Paul Pogba dann auch noch für notwendig, die deutsche Abwehr zu demütigen, ehe Antoine Griezmann zum 2:0 traf.

Die italienische Presse demonstrierte anschließend, wie man bei einem Halbfinale den Ton angibt, obwohl man im Viertelfinale ausgeschieden ist: „Deutschland, Italien hat dich zerstört“, schrieb die „Gazzetta dello Sport“. Die Reporter des „Corriere dello Sport“ kamen beim Analysieren zu einem ähnlichen Ergebnis: „Die Deutschen waren nicht in Form, vielleicht waren sie nach der Schlacht gegen Italien müde.“ Wer weiß, wahrscheinlich planen ein paar deutsche Kicker auch einen Urlaub in Italien und wollten deshalb mit der EM früher fertig werden. Ganz ohne italienisches Zutun ist so ein Match jedenfalls nicht vorstellbar, da haben die Kollegen im Süden schon recht.

Ohne die Isländer scheint es neuerdings auch nicht mehr zu laufen. Die groß gewachsenen Fußballzwerge waren zwar im Viertelfinale auf der Strecke geblieben, hinterließen aber ihre eigenwillige Art von Fanfolklore. Das kollektive „Huh“ mit Klatschen wird nun von den Franzosen betrieben. Echte Isländer beschwerten sich umgehend auf Twitter über diese billigen Kopien. Tatsächlich sieht die Wikinger-Inszenierung in der Performance durch das Multikulti-Team Frankreichs etwas seltsam aus. „Allez, les Bleus!“ und die Marseillaise passen irgendwie besser.

Für das österreichische Fußballnationalteam ging in der Zwischenzeit ebenfalls das Leben weiter.

Vom Diebstahl ihres Schlachtrufs einmal abgesehen, hat sich der Frankreich-Ausflug für niemanden so sehr gelohnt wie für die Isländer. Ganz Europa liebt jetzt die robusten jungen Männer aus dem Nordatlantik. Das wird mindestens den Tourismus beflügeln, eventuell gibt es ab sofort auch mehr Verständnis für den umstrittenen Geschäftszweig des Walfangs. Ein gutes Image hilft bekanntlich bei vielem. Vor lauter Begeisterung über das isländische Fußballwunder fiel kein böses Wort über die Tatsache, dass die meisten Inselkicker reichlich ungraziös ans Werk gingen und diverse ­Ballannahmen an die Bräuche in der österreichischen Regionalliga erinnerten. Alles egal, Hauptsache, es gewann wieder einmal der krasse Außenseiter ein paar Spiele. Fußballfans mögen sich gelegentlich nicht so benehmen, aber tief im Herzen sind sie Romantiker.

Für das österreichische Fußballnationalteam ging in der Zwischenzeit ebenfalls das Leben weiter. Erfreulicher wurden die Nachrichten allerdings nicht: Christian Fuchs hat seine Karriere im Team beendet, Martin Harnik war knapp davor. Jedenfalls verhandelte Harnik intensiv mit Shandong Luneng Taishan, aktuell Tabellenletzter in der chinesischen Super League. Von dort hätte wohl kein Weg mehr in die Nationalelf geführt. Der Transfer platzte im letzten Moment doch noch, weshalb Harnik weiterhin auf der Suche nach einem neuen Verein ist. Ernst gemacht hat dagegen Rubin Okotie. Der 29-Jährige wird zum chinesischen Zweitligisten Beijing Enterprises Group FC wechseln. Für Teamchef Marcel Koller verschärft sich damit der Personalmangel im Angriff.

Was genau beim EM-Auftritt der Österreicher so alles schiefging, ist nach wie vor nicht geklärt. Gerüchte über interne Streitereien machen die Runde, die Rede ist von Eifersüchteleien und unguter Lagerbildung. Einmal sollen im Teamcamp sogar Teller geflogen sein, wurde berichtet. Der Spieler Aleksandar Dragovic hat diesen Eklat dementiert, behauptet aber auch nicht, dass alles super war. Sonderlich harmonisch dürfte der Kurzausflug nach Mallemort nicht verlaufen sein. Kollers viel gepriesene „Wohlfühloase“ hat offenbar Betriebsurlaub.

Und Frankreich ist Europameister. Hoffentlich. Die Portugiesen verdienen den Titel wirklich nicht.

Rosemarie Schwaiger