Enttäuschte ÖFB-Spieler wollen EM-Erfahrung nutzen
"Wir haben in den letzten Jahren eine gewisse Entwicklung genommen, auf die wir stolz sein können", betonte Fuchs nach dem Aus in der Gruppenphase. "Bei der EM sind wir unter unseren Möglichkeiten geblieben, wir haben leider unser Potenzial nicht abgerufen, warum auch immer." Das werde bis zum nächsten Team-Lehrgang Ende des Sommers aufgearbeitet und dann besprochen. Vorerst geht es für die Kicker in den Urlaub.
"Die EM ist nicht gut gelaufen, aber wir haben uns das erste Mal seit Jahren wieder für eine Endrunde qualifiziert, das muss man auch sehen", sagte Fuchs. "Wir haben immer betont, dass Ungarn und Island nicht zu unterschätzen sind." Die nach starker Qualifikation und günstiger Auslosung hohen Erwartungen hat das Team aber nicht erfüllt. Auch die eigenen nicht. Fuchs: "Ich fühle mich leer und bin enttäuscht."
Mittelfeldmotor Julian Baumgartlinger begab sich auf Ursachenforschung. "Fakt ist, dass einige direkt vor der EM aus Verletzungen rausgekommen sind, und dass einige in einer gewissen Unsicherheit stecken, dass das belastet und die EM als Bühne eine gewisse Nervosität hervorrufen kann, die zu Fehlern führen kann", analysierte der künftige Leverkusener. "Es hat teilweise von unserer Seite nicht gereicht."
Niemand sei enttäuschter als die Spieler selbst. "Wir sind selbstkritisch mit uns. Wir haben die Erwartung an uns selbst, Leistung und Ergebnisse zu bringen, wenn 35.000 Österreicher in Paris im Stadion sind." So viele ÖFB-Fans wie nie zuvor bei einem Turnierspiel im Ausland waren am Mittwoch gegen Island (1:2) ins Stade de France gekommen. "Denen etwas zurückzugeben ist unsere Verantwortung, und der sind wir nicht nachgekommen."
Baumgartlinger war noch einer der wenigen ÖFB-Akteure, der seine Form annähernd erreichte. "Ich hatte das Glück, dass ich eine verletzungsfreie Saison hatte, in Topform durchspielen konnte, dass ich viele Erfolgserlebnisse hatte", erklärte der Salzburger. Auch sein Wechsel nach Leverkusen sei bereits vor dem Turnier erledigt gewesen. "Ich hatte während der EM keine Baustellen in meiner Karriere, das war für mich absoluter Luxus."
Den hatte nicht jeder Spieler. Die halbe ÖFB-Startformation strebt im Sommer einen Clubwechsel an - oder steht zumindest vor einer ungewissen Zukunft. Florian Klein und Martin Harnik etwa sind mit Stuttgart abgestiegen. Mit dem Team folgte die nächste Enttäuschung. "Es ist extrem bitter, zu sehen, dass du nur drei Spiele hast", sagte Klein. "Wir haben nicht den Fußball gespielt, den wir drauf hätten."
Möglicherweise sei es auch an der fehlenden Turniererfahrung gelegen. "Das war für viele von uns die erste große EM. Es kann sein, dass die Form einmal nicht so passt, dass Verletzungen dazukommen. Und dann stehst du einfach enorm unter Druck", erklärte Klein. Daraus müsse man lernen. "Die Motivation wird extrem groß sein, dass wir uns wieder für so ein Ereignis qualifizieren."
Mit dem aktuellen Kader habe man gute Chancen, das in nächster Zeit auch zu schaffen, meinte Mittelfeldspieler Stefan Ilsanker. "Das Turnier ist ein Lernprozess. Wir haben Erfahrungen gesammelt, die extrem wichtig sind für die kommenden Jahre." Nur von Pech zu sprechen und nach Ausreden für das Scheitern zu suchen, entspreche nicht dem Naturell der Mannschaft. "Wir stehen dazu, wir haben es als Team verbockt."
Das Unheil nahm bereits mit dem Auftaktspiel gegen Ungarn (0:2) seinen Lauf. "Wir haben von Beginn weg nicht gezeigt, was wir draufhaben", sagte Torhüter Robert Almer, der mit einer Glanzleistung gegen Portugal (0:0) den einzigen Punkt der Österreicher festgehalten hatte. "Im Ganzen betrachtet ist es zu wenig, wenn du nur eine gute Hälfte in einem ganzen Turnier hast." Nämlich die abschließende gegen Island.
Das ÖFB-Team wirkte nicht wie die eingespielte Einheit, als die sie sich in der Qualifikation präsentiert hatte. "Jeder wollte das Besondere machen, dabei hätten wir die Gegner einfach nur laufen lassen müssen", meinte Almer. Ungarn und Island hätten aus ihren Möglichkeiten das Maximum gemacht. "Es muss für uns ein Lernprozess sein, dass man bei einem großen Turnier für die drei Spiele einfach zu tausend Prozent da sein muss." Das waren die Österreicher nicht. Als sie gegen Island in der Schlussphase ihre spielerischen Qualitäten aufblitzen ließen, war es bereits zu spät.
Im möglicherweise wichtigsten Spiel seiner viereinhalbjährigen Amtszeit hatte Teamchef Marcel Koller auf ein völlig neues Spielsystem gesetzt - und musste es nach der ersten Hälfte wieder über den Haufen werfen. Mit einer Dreierkette und David Alaba als verkapptem Mittelstürmer gelang am Mittwoch in St. Denis beim 1:2 gegen Island, das den EM-Abschied bedeutete, wenig bis gar nichts.
Erst die Umstellung auf das gewohnte 4-2-3-1 brachte Besserung, für eine Wende war es aber zu spät. Dennoch wollten die ÖFB-Internationalen die überraschende Systemänderung nicht als Grund für die Niederlage werten. So meinte etwa Florian Klein: "Man kann es auch positiv sehen. Wenn es einmal in den ersten Spielen spielerisch nicht so läuft, dann ist es vielleicht auch eine Stärke zu sagen, man stellt ein bisschen etwas um."
Im Nachhinein sei man immer klüger, so der Rechtsverteidiger. "Nach dem Spiel, wenn man ausgeschieden ist, kann man auch sagen, man hätte an dem Alten, Bewährten festhalten können. Aber die Umstellung war sicher nicht das Ausschlaggebende."
Eine ähnliche Ansicht vertrat Kapitän Fuchs. "System hin oder her - wir mussten zwei Tore schießen, eines ist uns gelungen." Die deutliche Steigerung nach dem Seitenwechsel sei nicht nur mit der Rückkehr zum bekannten System zu erklären, "sondern weil wir Gas geben wollten", sagte der Profi von Leicester City und ergänzte: "Man hat schon gesehen, dass wir auch in der ersten Hälfte unsere Chancen hatten und dass es schon funktioniert hat."
Möglichkeiten auf einen Sieg habe es unabhängig von der Aufstellungsvariante zur Genüge gegeben. "Wir haben wieder aus unseren Chancen nichts Zählbares herausgeholt, sogar einen Elfmeter verschossen. Viel größer werden die Chancen nicht", meinte Fuchs.
Julian Baumgartlinger begründete das Scheitern gegen Island ebenfalls eher mit der schlechten Abschlussquote vor dem gegnerischen Tor als mit dem Spielsystem. "Man kann es nicht grundsätzlich auf das System schieben. Dadurch, dass es prinzipiell funktioniert hat, war es nicht das Hauptproblem", vermutete der Deutschland-Legionär. "Es hat andere Probleme gegeben, und da muss man wieder auf die Effizienz kommen."
Dass es aber nach dem Comeback des 4-2-3-1 wieder besser lief, blieb auch Baumgartlinger nicht verborgen. "Natürlich fühlt man sich in dem System, das man vier Jahre lang spielt, sehr wohl. Das hat man auch in der zweiten Hälfte gesehen, dass da Automatismen drin waren", erklärte der Mittelfeldspieler.
Mit einer ähnlichen Variante wie zu Beginn gegen Island spielte das ÖFB-Team unter Koller nur einmal - beim 14:0 im Test gegen den Schweizer Sechstligisten Schluein im Mai. "Aber wir haben es nach dem Portugal-Spiel probiert und trainiert", erzählte Goalie Robert Almer.
Sinn der Systemänderung sei es unter anderem gewesen, auf das "Kick and Rush" des Gegners zu reagieren. "Wir haben gewusst, dass die Isländer mit vielen langen Bällen arbeiten und mit Einwürfen. Wir haben mit der Dreierkette versucht, die aus dem Spiel zu nehmen", erklärte Almer. Zumindest beim ersten Gegentor ging dieser Plan nicht auf.
Auf dem Weg zur WM 2018 nach Russland stellen sich nun ab Anfang September Wales, Serbien, Irland, Moldau und Georgien in den Weg. Nur der Gruppensieger hat sein WM-Ticket fix. "Wir werden die Quali angehen. Die Truppe ist gut, hat Qualität. Wir müssen uns das selbst beweisen", erklärte Verteidiger Sebastian Prödl. Davor heißt es für einige Zeit abschalten. Prödl: "Keiner will in den Urlaub, aber wir müssen jetzt in den Urlaub."