"Es ist verdammt schön, ein Rind zu sein"
profil: Es gibt Tiergattungen sonder Zahl. Warum ausgerechnet Kühe? Lampert: Die Kuh stand am Beginn der menschlichen Zivilisation. Unser Sesshaftwerden hat viel mit der Domestikation von Rindern zu tun. Mit dem Rind kam auch erstmals Eigentum in die Geschichte der Menschen.
profil: Die Kuh stand am Beginn des Kapitalismus? Lampert: In "Kapitalismus" steckt das lateinische "caput" für Kopf - die Größe des Vermögens wurde durch das Zählen der Kuhschädel in der Herde ermittelt.
profil: Ihr Buch porträtiert Kühe rund um den Globus. Haben Sie eine Lieblingsrasse? Lampert: Das Tier meiner Kindheit war das Montafoner Rind, ein wirkliches Seelentier, mit dem eine unglaubliche Nähe möglich ist. Das Pinzgauer Rind ist von faszinierender Schönheit. Auf der ganzen Welt gibt es schöne Rinder. Meine Faszination gehört nicht einer Rasse, sondern der Kuh an sich.
profil: Kühe rülpsen und furzen - und stoßen dabei Methan aus. "Klimakiller Kuh" war unlängst in einer Radiosendung zu hören. Lampert: Ein Effekt unserer Essgewohnheiten. Wir müssen Rinderherden von enormer Größe halten und artfremd mit Soja und Mais mästen, um unsere Fleischeslust zu befriedigen. Hielte man die Tiere auf Weiden oder Almen und in Mengen, die Sinn machten, wäre das Problem erledigt. So hätten Wiederkäuer sogar das Potenzial, Kohlenstoffdioxid in den Böden der Grasländer zu binden.
Wir werden unseren Fleischkonsum von Grund auf ändern müssen. Darüber lässt sich nicht mehr diskutieren.
profil: Lebensmittelgrossisten veräußern das Kilo Rindfleisch unter fünf Euro. Blutet Ihnen da das Herz? Lampert: Und wie! Wir werden unseren Fleischkonsum von Grund auf ändern müssen. Darüber lässt sich nicht mehr diskutieren. Das wird so sein müssen.
profil: Sie glauben an die Lernfähigkeit des Homo sapiens? Lampert: In der Not ist er sogar massiv lernfähig.
profil: Schweine müssen wieder Schweine sein dürfen, Hühner Hühner. Liegt die Zukunft der Landwirtschaft in der Vergangenheit? Lampert: Natürlich gibt es noch immer himmelschreiendes Tierelend an allen Ecken und Enden. Die verstärkte Aufmerksamkeit für das Thema wird längerfristig aber nicht ohne Folgen für die Massentierhaltung bleiben.
profil: Klimawandelwarner haben Hochkonjunktur. Ist manches davon nicht auch übertrieben? Lampert: Die Mahnungen sind mehr als berechtigt. Die Frage ist, ob Mahnungen viel bewirken. Menschen ändern ihr Verhalten erst, wenn sie persönlich von etwas betroffen sind. Die Warnungen bezüglich des Klimawandels sind ohnehin die verharmloste Ausgabe dessen, was uns bevorstehen wird. Die unglaubliche Trägheit, die wir diesem sicheren Wissen gegenüber an den Tag legen, ist erstaunlich bis gruselig.
profil: Was befürchten Sie? Lampert: Die Klimaveränderung wird das Leben im Allgemeinen und das der Nationen im Besonderen massiv verändern. In weiten Gebieten Afrikas werden keine Menschen mehr überlebensfähig sein, weil dort alles tot sein wird. Migrationsströme werden unterwegs sein, Hunger wird zu einem massiven Problem werden: Der globale Handel mit Lebensmitteln, der gegenwärtig wunderbar funktioniert, wird zusammenbrechen.
profil: Unsere Vorfahren durften ihr Leben wenigstens noch so genießen, als gäbe es kein Morgen. Lampert: Das ist vorbei. Für uns Menschen ist es unwürdig, so weiterzuleben, als sähen wir nicht, was wir alles anrichten. Außerdem besitzen wir das Ethos und das Vermögen, Dinge zu ändern.
profil: Werden wir zukünftig mehr Verbote und Regeln im Umgang mit der Umwelt brauchen? Lampert: Erkenntnis und Wissen wirken stärker als Verbote. Dennoch wird in naher Zukunft nicht nur auf dem Ernährungssektor vieles durchorganisiert und strukturiert, die menschlichen Freiheiten wohl radikal eingeschränkt werden. Es wird kein Leben mehr sein, wo Milch und Honig fließen.
profil: Die Meere mit Plastik zugemüllt, die Urwälder abgeholzt, die Bienen kurz vor dem Aussterben: Soll man noch Apfelbäumchen pflanzen? Lampert: Ich bin von der Genialität des menschlichen Geistes überzeugt. Wenn der Mensch mit dem Rücken zur Wand steht, ist er zu unglaublichen Dingen fähig. Selbstverständlich muss man viele Bäume pflanzen.
Die einzige Macht, die wirklich etwas verändern kann, ist der Wille der Konsumenten.
profil: Kann der einzelne Konsument am großen Ganzen überhaupt etwas verändern? Lampert: Seit 1994 arbeite ich auf dem Sektor der Lebensmittelproduktion und des Nahrungsmittelverkaufs. Die einzige Macht, die wirklich etwas verändern kann, ist der Wille der Konsumenten.
profil: Egal, was man tut, man macht etwas falsch: Fleisch essen, Avocados kaufen, Auto fahren. Jeder Einkauf wird zum moralischen Grenzgang. Lampert: Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Das Schlimmste ist, wenn wir im Umgang mit Lebensmitteln in pseudo-priesterliches Getue abdriften.
profil: Sinkende Ertragszuwächse und Umweltprobleme weisen die konventionelle Landwirtschaft seit Langem darauf hin, dass sie an ihre Grenzen stößt. Was also tun? Lampert: Die konventionelle Landwirtschaft steht vor gewaltigen Problemen. Irgendwann wird sie handeln müssen, weil sich die Konsumenten vieles nicht mehr gefallen lassen werden. Die biologische Landwirtschaft ist in Österreich die Landwirtschaft der Stunde. Viele Umweltprobleme wären mit einem Schlag gelöst. Bio-Landwirtschaft bringt kein Gift hinein, tötet nicht, vernichtet nicht.
profil: 2016 erschien in den USA der Bestseller "Das wunderbare Schweinsein der Schweine". Kuhsein muss, folgt man Ihrem Buch, auch ziemlich wunderbar sein. Lampert: Wenn ein Rind so leben darf, wie es seinem Wesen entspricht, ist es verdammt schön, ein Rindviech zu sein. Beobachten Sie mal eine Herde auf der Alm: Dieser Gleichklang, diese Harmonie, man hört fast eine Melodie, die innerhalb der Herde klingt. Wahre Schönheit!
profil: Wie viele Menschen verträgt die Welt? Und wie viele Kühe? Lampert: Geschätzt leben derzeit 1,5 Milliarden Kühe auf der Erde - 70 Prozent zu viel. Erst wenn Kühe keine Produktionsgegenstände mehr sein müssen, kommen wir mit viel weniger Tieren aus. Bei zehn Milliarden Menschen ist Schluss.
profil: Würden Sie in 100 Jahren noch gern leben wollen? Lampert: Meine Neugier ist grenzenlos.
Werner Lampert, 72, ist Österreichs Bio-Pionier der ersten Stunde. Seit den 1970er-Jahren beschäftigt sich der gebürtige Vorarlberger mit biologischem Anbau und nachhaltigem Konsum; mit den Bio-Eigenmarken "Zurück zum Ursprung" und "Ja Natürlich!" der heimischen Discounter Hofer und Rewe hat Lampert zwei der erfolgreichsten Bio-Marken im deutschsprachigen Raum erfunden.