ÖFB-Teamkapitän Julian Baumgartlinger
Julian Baumgartlinger: "Es beschäftigt mich, was auf der Welt gerade passiert“

"Es beschäftigt mich, was auf der Welt gerade passiert"

ÖFB-Teamkapitän Julian Baumgartlinger (29) über Österreichs Chancen in der WM-Qualifikation, den Kommerz im Fußball und die integrative Funktion des Sports.

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INTERVIEW: CLEMENS ENGERT

profil: Am Freitag geht es mit dem Spiel gegen Moldawien wieder mit der WM-Qualifikation los. Müssen Sie als Kapitän nach dem doch ernüchterndem letzten Jahr besondere Motivationsarbeit leisten? Julian Baumgartlinger: Ich glaube, das muss ich nicht unbedingt. Ich bin mir sicher, dass wir seit dem letzten Herbst – nachdem es bei der EURO ja nicht nach Wunsch gelaufen ist – die Dinge sehr gut analysiert haben und auch versucht haben, intern neue Impulse zu setzen. Die Ergebnisse haben bisher zwar nicht unbedingt gepasst, aber wir werden unseren Weg weitergehen. Wir bleiben positiv.

profil: Wo muss man jetzt den Hebel konkret ansetzen, um doch noch den Turnaround zu schaffen? Baumgartlinger: Wir haben im Herbst intensiv an unserer taktischen Weiterentwicklung gearbeitet – sowohl im Spiel mit, als auch gegen den Ball. Außerdem nimmt die detaillierte Gegneranalyse im Zuge der Vorbereitung auf ein Match mittlerweile eine sehr große Rolle bei uns ein. Es geht heutzutage einfach nicht mehr, zu sagen „egal, welcher Gegner kommt – wir ziehen unser Spiel immer gleich durch“. Wenn wir weiter an diesen Punkten arbeiten, können wir das Ruder sicher noch herumreißen.

profil: Stimmt das Klischee, dass die Fußball-Fans in Österreich launischer sind als in anderen Ländern? Vor der EURO herrschte ja eine Riesen-Fußball-Euphorie – ein paar weniger erfolgreiche Spiele später ist wieder das große Jammern eingekehrt. Baumgartlinger: Nein, das ist nicht unbedingt ein rein österreichisches Phänomen. Der Fußball-Fan an sich ist einfach anspruchsvoll und, wenn man eine erfolgreiche Phase durchläuft, erzeugt man logischerweise auch eine gewisse Erwartungshaltung. Es ist einfach wichtig, zu lernen, mit Kritik richtig umzugehen. Das ist auch ein Teil unseres Entwicklungsprozesses.

profil: Zuletzt wurde intensiv über einen Stadionneubau in Wien beziehungsweise einen Umbau des Happel-Stadions diskutiert. Braucht Österreich eine neue Fußball-Arena? Baumgartlinger: Ich bin einerseits schon ein Fan des Happel-Stadions, andererseits wäre ein neues Stadion natürlich etwas Tolles. Gerade, was die Platzverhältnisse und die Trainingsmöglichkeiten betrifft, hinken wir derzeit im internationalen Vergleich hinterher. Wenn man an der Weltspitze mitmischen will, sollten natürlich auch die Rahmenbedingungen dementsprechend passen. Es wäre schön, wenn wir da einen Schritt vorwärts kommen würden.

Ich glaube, dass unsere Spielergeneration viel dazu beigetragen hat, dass sich unser sportlicher Ruf in Deutschland erheblich verbessert hat.

profil: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Politik in Österreich schwer tut, den Stellenwert des Fußballes in der Gesellschaft angemessen zu würdigen? Baumgartlinger: Es gibt derzeit halt wohl einfach wichtigere politische Themen. Man darf allerdings die gesellschaftliche Funktion, die der Fußball einnimmt, nicht unterschätzen: Man muss nur daran denken, welche Zuschauermassen uns bei der EM in Frankreich vor Ort unterstützt haben. Aber das läuft natürlich auf einer anderen Ebene ab als auf der existenziellen. Das muss man schon richtig einordnen.

profil: Ist in Deutschland in den letzten Jahren der Respekt gegenüber österreichischen Fußballern gestiegen? Immerhin spielen derzeit 43 Österreicher in der 1. und 2. Deutschen Bundesliga. Baumgartlinger: Ja, definitiv. Ich glaube, dass unsere Spielergeneration viel dazu beigetragen hat, dass sich unser sportlicher Ruf in Deutschland erheblich verbessert hat. Es wird natürlich auch registriert, dass in Österreich sehr gute Nachwuchsarbeit geleistet wird und viele junge Spieler nachkommen, bei denen auch die Einstellung stimmt. Deswegen sind österreichische Fußballer für deutsche Vereine wohl begehrter als je zuvor.

profil: Speziell in England, aber auch etwa bei Paris St. Germain sind Scheichs und Oligarchen als Investoren bei Vereinen tätig. Wie sehen Sie diese Entwicklung und sind Sie froh, dass es in Deutschland die „50+1“-Regel (Anm.: mehr als die Hälfte der Stimmenverteilung bei einem Klub muss beim Verein selbst liegen und nicht beim Kapitalanleger) gibt, die derartige Übernahmen verhindert? Baumgartlinger: Ich glaube prinzipiell, dass es in Deutschland ein Modell wie bei den angesprochenen Klubs aufgrund der gewachsenen Fankultur sehr schwer haben würde. Dass es aufgrund der Popularität des Fußballes international immer wieder zu solchen Vereinsübernahmen kommt, ist aber natürlich auch logisch. Ich meine jedoch, dass man gerade am Beispiel Deutschland sieht, dass es auch anders gehen kann. Die Bundesliga ist derzeit wirklich in allen Bereichen super aufgestellt.

profil: In China werden derzeit Spieler mit exorbitanten Gehältern angelockt. Was bedeutet das für die Entwicklung des Weltfußballes? Baumgartlinger: Ich denke, das ist nur eine vorübergehende Erscheinung, die von selbst wieder verschwinden wird. Die Japaner haben ja vor Jahren schon Ähnliches versucht. Das wird sich alles wieder von alleine regulieren. Die meisten Spieler haben ja Gott sei Dank genügend Ehrgeiz und spielen lieber in Europa Champions League, als nach China zu wechseln.

profil: Sie könnten sich selbst also nicht vorstellen, einmal dort hin zu wechseln? Baumgartlinger: Man kann ja nie etwas ausschließen, aber ich kann mir das nur sehr schwer vorstellen. Meine Lebensplanung sieht das jedenfalls derzeit nicht vor.

profil: RB Leipzig wird in Deutschland teilweise heftig angefeindet. Warum reagieren viele dermaßen empfindlich auf dieses Projekt? Baumgartlinger: Das hängt wieder mit dem Thema „50+1“-Regel und der Fankultur in Deutschland zusammen, die sehr auf Tradition bedacht ist und reinen Kommerz ablehnt. Man muss Red Bull allerdings zu Gute halten, dass es nicht ihr vorrangiges Ziel ist, für viel Geld einen Profi-Kader mit Weltklassespielern zusammenzukaufen, sondern sie auch Infrastruktur und Ausbildungsmöglichkeiten schaffen. Sie leisten schon etwas Nachhaltiges für die ganze Region.

Ich lese natürlich Zeitung und nehme wahr, was in der Welt derzeit so alles passiert.

profil: Bei Bayer Leverkusen ist ja auch die Bayer AG alleinige Gesellschafterin. Ist das so etwas komplett anderes als bei Leipzig? Baumgartlinger: Das ist im Prinzip schon vergleichbar. Natürlich wird das bei Leverkusen nicht mehr in dieser Form wahrgenommen, weil das in einer komplett anderen Zeit seinen Ursprung hatte. Heutzutage verbreiten sich durch die sozialen Netzwerke natürlich auch schneller extreme Standpunkte zu einem bestimmten Thema.

profil: Apropos: Sie selbst haben sich ganz bewusst aus den diversen Social Media-Kanälen zurückgezogen. Welche Motive stecken hinter dieser Aktion? Baumgartlinger: Vorrangig ist es einmal eine Riesen-Zeitersparnis. Es taugt mir, dass ich nicht die ganze Zeit auf´s Handy schauen muss. Darüber hinaus habe ich nicht viel Nutzen darin gesehen, wirklich auf diesen ganzen Kanälen präsent zu sein.

profil: Sie gelten als sehr intelligenter Sportler, der gerne auch einmal über den Tellerrand hinausblickt. Was beschäftigt Sie derzeit außerhalb des Fußballes? Baumgartlinger: Ich lese natürlich Zeitung und nehme wahr, was in der Welt derzeit so alles passiert. Das beschäftigt mich natürlich auch. Ich kann das nicht einfach wegschieben - auch, wenn ich derzeit sehr auf den Fußball fokussiert bin.

profil: In den USA haben sich im Zuge der Wahl von Donald Trump viele Sportler politisch zu Wort gemeldet bzw. engagiert. Warum sind politische Äußerungen von Sportlern bei uns noch immer ein großes Tabu? Baumgartlinger: Möglicherweise hat das mit dem radikalen Schwarz-Weiß-Denken in der heutigen Zeit zu tun: Man gehört entweder zu den Guten oder zu den Bösen. Ganz egal, auf welche Seite man sich stellt - man muss dann auf jeden Fall herbe Kritik von der Gegenseite einstecken. Deshalb halten sich wohl viele Sportler eher zurück und beziehen in der Öffentlichkeit keine Stellung zu gewissen Themen. Ich weiß aber, dass es viele gibt, die sehr wohl eine klare Meinung zu diesen Themen haben.

profil: Gerade im ÖFB-Team gibt es ja viele Spieler mit Migrationshintergrund. Ist das nicht ein Paradebeispiel für gelungene Integration? Baumgartlinger: Absolut. Das habe ich auch selbst schon oft betont. Wir Fußballer bekommen es ja tagtäglich mit, dass der Sport extrem verbindet und man dabei sehr schnell seine Vorurteile abbaut. Man setzt sich ja auch automatisch mit dem Background der Mitspieler auseinander. Ich spreche zum Beispiel mit meinen türkischstämmigen Kollegen ganz gerne einmal über die Situation in ihrer Heimat, weil es mich interessiert, wie sie diese Entwicklungen sehen.

profil: Sollte man diese integrative, verbindende Funktion des Fußballs nicht öfter hervorheben, um Politikern, die Ängste schüren den Wind aus den Segeln zu nehmen? Baumgartlinger: Ja, natürlich. Leider ist es aber auch ein Phänomen unserer Zeit, dass solche Aussagen dann schnell mit dem Begriff „Lügenpresse“ diffamiert werden. Insofern ist es schwierig. Es gibt aber Gott sei Dank noch genug Menschen, die diese integrative Funktion, die der Fußball hat, auch so wahrnehmen und verstehen.

profil: Es gibt ja das skurrile Phänomen, dass die selben Menschen, die jubelnd aufspringen, wenn Alaba oder Arnautovic für Österreich Tore schießen, im Alltag über Ausländer und Flüchtlinge herziehen. Baumgartlinger: Ja, das ist wirklich paradox. Aber jeder, der sich ein bisschen Zeit nimmt und darüber nachdenkt, kann anhand solcher Beispiele sicher sehr schnell seine Vorurteile abbauen.

ZUR PERSON:

Julian Baumgartlinger, 29, wurde in Salzburg geboren und spielte im Nachwuchs des USC Mattsee. 2001 wechselte er als Dreizehnjähriger in die Jugendabteilung des TSV 1860 München. Nach einem Intermezzo bei Austria Wien wurde Baumgartlinger im Sommer 2011 vom 1. FSV Mainz 05 verpflichtet und avancierte dort in der deutschen Bundesliga zum Führungsspieler. Zu Beginn dieser Saison folgte schließlich der Wechsel zu Bayer 04 Leverkusen. Für das ÖFB-Team bestritt Baumgartlinger bisher 53 Länderspiele – seit dem August 2016 ist er Teamkapitän.