Menschen im Schneidersitz bei einer Corona-Demo

Esoterischer Widerstand: Das Weltbild der Corona-Zweifler

Rudolf Steiner und das Virus: Welche Wege führen von der Anthroposophie zur Corona-Kritik?

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Zu den auffälligsten Teilgruppen innerhalb der Gemeinschaft der Corona-Maßnahmenkritiker zählt - neben den leider auch sehr auffälligen Neonazis - die Fraktion der Esoteriker. Wissenschafts- und Institutionenkritik gehen hier schon länger Hand in Hand mit einer mythischen Urwesenhaftigkeit, die sich ganz natürlich ins Andersdenken hineinargumentiert.

Aber warum wurde gerade die Corona-Pandemie für dieses Milieu zu einem derartigen Pulverfass? Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg und der Universität Basel - federführend von Oliver Nachtwey und Nadine Frei verfasst - versucht unter dem Titel "Quellen des Querdenkertums" eine Erklärung. Die Baseler Soziologen beobachteten ganz konkret die Corona-Kritikerbewegung im deutschen Bundesland Baden-Württemberg, wo die "Anthroposophie" aus historischen Gründen besonders tief verwurzelt ist. Tatsächlich finden sich bei deren Gründer Rudolf Steiner die wesentlichen Elemente der aktuellen Proteste vorgeprägt: Steiner misstraute den Naturwissenschaften und favorisierte eine geistig-übersinnliche Form der Welterkenntnis; die Weltordnung erschien ihm als eine Funktion geheimnisvoller Verschwörungen, Krankheit dagegen als eine Art metaphysisches "Zeichen". Auch die Impfkritik ist bei Steiner bereits formuliert. Vakzine würden dem Menschen seine naturgegebene Neigung zur Spiritualität austreiben.

"In der Corona-Protestbewegung fungiert Kritik als Eigenwert", schreiben Nachtwey und Frei: "Die Befragten verfügen über ein libertäres Freiheitsverständnis, in dem Individualität, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung nahezu absolut gesetzt werden. Ihr Widerstand richtet sich gegen institutionelle Regeln, die ihre individuelle Freiheit beschränken - nur Regeln, die sie selbst setzen, erachten sie als legitim." Die anthroposophische Weltsicht würde dieser Neigung ideale Nahrung geben, aber: "Es führt kein direkter Weg vom (ehemaligen) linksalternativen Milieu zum "Querdenkertum" im 21. Jahrhundert. Es handelt sich gerade um die Transformation dieses Milieus, in der von den linken Politikformen und linken Werten wie Solidarität und Gleichheit im Grunde nichts mehr übrig ist. Geblieben sind vor allem Lebensstile der Körperpolitik und der Selbstverwirklichung, die Idee der Ganzheitlichkeit, häufig (aber nicht immer) eine spirituelle und vor allem anthroposophische Überzeugung und ein libertäres Freiheitsverständnis." Der Schlaf der Vernunft gebiert Demos.

Oliver Nachtwey, Nadine Frei u. a.:Quellen des "Querdenkertums". Volltext zum Download unter: boell-bw.de

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.