Fußball-EM

ÖFB-Team: Endlich ohne Handbremse

Österreichs Fußballnationalteam steht erstmals in einem EM-Achtelfinale – weil es endlich tun durfte, was es am besten kann: giftigen Angriffsfußball spielen. Die Spieler nötigten den Teamchef öffentlich fast dazu.

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Die Ukrainer waren sichtlich überrascht. Das österreichische Nationalteam attackierte früh, hoch und giftig. Und tat damit das, was man am besten kann – aber doch so selten tun darf. Zuletzt spielte man behäbig und feige. Nun überrumpelte mutiger Angriffsfußball den verblüfften Gegner, der Österreich wohl gänzlich anders erwartet hatte. Die Auftritte gegen Nordmazedonien und Holland ließen auf ein zögerliches Team schließen, das äußerst selten torgefährlich wird. Nun folgte ein fast perfektes Spiel, das dem ÖFB erstmals den Einzug in ein EM-Achtelfinale bescherte. In der Heimat wurde Teamchef Franco Foda für seine traditionell angezogene Handbremse bereits zärtlich kritisiert. Im Ausland fiel die Schelte nach den ersten beiden Auftritten vernichtend aus. Österreich zähle zu den drei schlechtesten Teams der EM, urteilte das italienische Fachblatt „Gazetto dello Sport“, das „in allen Belangen inferior“ agiere – technisch, körperlich und vor allem taktisch. Von einer „grindigen Ödnis“ schrieb „The Atheltic“, das ÖFB-Team sei „deutlich schlechter als seine Einzelteile“, urteilte der britische „Guardian“.

In Österreich orakelte man, ob die hochgelobte Spieler-Generation tatsächlich eine goldene sei. Öffentlich an den Pranger gestellt, versuchten sich die Teamkicker ungewöhnlich heftig zu verteidigen – oft klang dabei Kritik an der Strategie des Teamchefs durch. Man erarbeitete bislang „ein paar gute Umschaltmomente“, erklärte Marcel Sabitzer von RB Leipzig gegenüber dem ORF, „wir hatten aber zu wenig Personal vorne drinnen“. Er sei „immer ein Fan davon, nach vorne zu spielen“, äußerte Konrad Laimer fast einen Wunsch an den Teamchef. Martin Hinteregger von Eintracht Frankfurt wurde besonders deutlich, als er erklärte, dass ein variables Offensivspiel „zu wenig einstudiert“ worden wäre. Und der Toptorschütze des VfB Stuttgart Sasa Kalajdzic bemängelte, dass er als Stürmer zwar dorthin gehen könne, wo es dem Gegner weh tue, sein Vorhaben aber wenig Wirkung erziele, da zu wenige Spieler nachrücken. ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel konterte fast patzig: „Der Teamchef verbietet niemandem, dass er in die Tiefe geht.“

Schon vor der EM war Kritik an der zögerlichen Strategie des Teamchefs durchgedrungen. „Die Spieler kommen zu uns zurück und sind verwundert, wie sie im Nationalteam spielen sollen“, betonte ein Trainer der Deutschen Bundesliga gegenüber profil. „Sie suchen meinen Rat, zweifeln am Spielstil und fahren mit einer gedämpften Euphorie zur Europameisterschaft.“

Nun schien der Konflikt trotz eines öffentlich demonstrierten Zusammenrückens der Zweckgemeinschaft ausgerechnet bei der Europameisterschaft zu eskalieren. Österreichs Nationalteam überzeugte seit vielen Monaten nicht mehr. Und der Teamchef ließ sein Team beharrlich nicht von der Leine.

Die große Bühne Europameisterschaft wurde für Foda immer mehr zum Schicksalsmoment: Nicht nur der Aufstieg einer hochkarätigen österreichischen Mannschaft schien in Gefahr, sondern auch sein Teamchef-Posten. Während der Europameisterschaft begann Foda endlich, aber immer noch zögerlich, altbekannte Forderungen Stück für Stück umzusetzen. In der ersten Partie spielte David Alaba unerwartet nicht den viel kritisierten Taktgeber im Mittelfeld, sondern arrangierte sich mit seiner angestammten Position in der Abwehr – und wurde prompt von der UEFA zum „Man of the Match“ gekürt. Doch die Handbremse im Spiel hielt Foda weiterhin fest in der Hand. Er schickte sein Team gegen Nordmazedonien und Holland mit einer Fünfer-Abwehrkette aufs Feld – und bremste den Offensivdrang schon damit gehörig ein. Das Wehklagen der Spieler wurde lauter und deutlicher. Erst der darauffolgende Rambazamba-Auftritt im letzten Gruppenspiel gegen die Ukraine brachte den Achtelfinal-Aufstieg. Das muss dem Teamchef bewusst sein.

Die österreichische Truppe hat einen großen Vorteil: Sie beherrscht das hohe Angreifen. Diese Spielweise bringt für die derzeitige Verfasstheit des Nationalteams viele Vorteile. Denn: Hat man den Ball, fehlt es zumeist an Esprit aufgrund fehlender Ideen und Automatismen. Je weiter hinten auf dem Feld die Spieler den Ball erkämpfen, desto länger ist der Weg zum gegnerischen Tor. Je höher sie ihn aber in der gegnerischen Hälfte ergattern, desto kürzer ist dieser.

Gegen die Ukraine lieferte die österreichische Nationalmannschaft den Beweis, dass ihr hohes Pressing und Angriffsfußball am besten steht. Fast eine ganze Halbzeit lang setzte Fodas Team seinen Gegner gehörig unter Druck. Die Österreicher, die noch in den Spielen davor als öde und farblos verrissen wurden, erstrahlten auf einmal in einem gänzlich anderen Licht. Sie erschienen auf der europäischen Bühne nicht mehr wie feige Memmen, sondern wie mutige Stiere. Für den ÖFB bedeutet die gelockerte Handbremse eine gewaltige Imageumkehr.

Im Achtelfinale wartet am Samstag nun mit Italien ein richtiger Brocken. Anders als gegen Nordmazedonien und die Ukraine hat Österreich gegen den Gegner von Weltformat nichts zu verlieren. Man könnte es erneut mutig und angriffig probieren – und sich auf großer Bühne der Welt als Draufgänger präsentieren, so wie es dem Naturell der Spieler entspräche. Dass das Spiel mit einer angezogenen Handbremse gegen einen stärkeren Gegner mit Sicherheit nicht zum Erfolg führt, hat das österreichische Nationalteam schließlich bei der 0:2-Niederlage gegen Holland bereits erprobt.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.