Lukas Furtenbach

Expeditionsleiter Furtenbach: "Messner hat eine selektive Wahrnehmung"

Der Innsbrucker Lukas Furtenbach, 39, ist einer der führenden Berg-Expeditionsanbieter Europas - und der kompromissloseste. Bei ihm kann man Touren auf den Everest buchen, auf den K2 oder durch die Eiger Nordwand. Ein Gespräch über schwierige Kunden, stinkende Hochlager und den stets präsenten Tod.

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INTERVIEW: SEBASTIAN HOFER

profil: Sie arbeiten in einer ungewöhnlichen Branche: als Reiseanbieter, dessen Kunden nie wissen, ob sie das gebuchte Ziel auch wirklich erreichen, ob sie überhaupt wieder heil nach Hause kommen. Wer bucht so etwas? Lukas Furtenbach: Es ist tatsächlich ein sehr kleiner Markt. Wir müssen international nach unseren Kunden suchen. Denn ja, bei bestimmten Expeditionen besteht ein sehr hohes Risiko. Selbst wenn ich versuche, nach bestmöglichen Sicherheitsstandards zu arbeiten, bleibt ein unkalkulierbarer Rest: Wetter, Höhe, Gesundheit der Teilnehmer. Gerade erst hat uns eine Teilnehmerin während einer Expedition gefragt, ob es eh kein Problem ist, dass sie einen Herzfehler hat. Da ging es gerade auf einen 8000er.

profil: Was macht man mit einer derartigen Information? Furtenbach: Der Bergführer vor Ort hat entschieden, sie weiter mitzunehmen, nachdem er sie bei den Akklimatisationstouren beobachtet hat. Aber natürlich musste sie uns bestätigen, dass sie das auf eigenes Risiko macht. Letztendlich ist 8000er-Bergsteigen eine Tätigkeit, bei der immer etwas schiefgehen kann, auch wenn es noch so gut vorbereitet ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man einen Unfall hat. Langfristig wird etwas schiefgehen. Darauf muss man vorbereitet sein.

profil: Aber wie erklärt man einem Kunden, der 40.000 Euro für eine Reise bezahlt hat, dass das Wetter leider zu schlecht ist für einen Gipfelsieg? Furtenbach: Die gewachsenen Bergsteiger unter unseren Kunden wissen, dass es keine Gipfelgarantie geben kann. Dann gibt es aber noch die Quereinsteiger, die in der Regel den Traum "Everest" haben. Im Rahmen der Vorbereitung, die je nach Fitness ein bis drei Jahre dauern kann, können wir darauf hinweisen, dass es keine Gipfelgarantie gibt. Auch wenn ich 95.000 Euro zahle: keine Garantie. Wenn ich Pech habe, brauche ich drei Anläufe.

profil: Und das sieht jeder ein? Furtenbach: Im Vorfeld schon. Aber wenn der Bergführer im letzten Hochlager die Entscheidung trifft: Es ist zu gefährlich, wir können nicht weiter aufsteigen, dann führt das garantiert zu Diskussionen. Dann muss man die Härte haben, die Leute vor sich selbst zu schützen. Der droht mir womöglich mit einer Klage oder er möchte auf eigene Faust weitergehen. Dann heißt es, hart zu bleiben.

profil: Der Bergführer hat immer das letzte Wort? Furtenbach: Ja, auch das lassen wir uns von jedem Teilnehmer doppelt bestätigen. Es geht nicht nur um den Aufstieg. Den schafft einer vielleicht noch knapp, aber sobald sein Adrenalinspiegel absinkt, geht die Leistungskurve steil nach unten. Dann wird es wirklich gefährlich.

profil: Sind Sie am Berg selbst schon einmal an Ihre Grenzen gestoßen? Furtenbach: Ja, bei einer Expedition in Tibet am Cho Oyu, eigentlich ein recht leichter 8000er. Ich wollte mit Ski abfahren, bekam aber am Gipfeltag einen Infekt. Ich stand mit Fieber am Gipfel, hatte erfrorene Zehen und hätte den Abstieg fast nicht mehr geschafft. Meine damalige Bergpartnerin hat mich halb runtergetragen und -gezerrt. Das war grenzwertig.

profil: Hatten Sie sich selbst überschätzt? Furtenbach: Wenn dir am Berg so etwas passiert, hast du eine Situation falsch eingeschätzt. Ich dachte, das geht sich noch aus. Bis mich das Fieber zu sehr schwächt, komme ich mit Erfahrung und Härte hinauf und wieder runter. Ich habe mich getäuscht.

profil: Woran würde ich als Flachlandösterreicher am Mount Everest scheitern? Furtenbach: Den meisten Kunden, denen wir absagen müssen, fehlt es schlicht an der Bereitschaft, das Vorbereitungsprogramm zu absolvieren. Das ist aber keine Schikane, sondern es erhöht einfach ganz signifikant die Gipfelchance. Und daran werden wir als Veranstalter gemessen: Wie viel Prozent unserer Everest-Kunden bekommen wir auf den Gipfel?

Natürlich sind wir immer wieder mit den abstrusesten Wünschen konfrontiert.

profil: Das ist die Benchmark? Furtenbach: Das ist leider die einzige relevante Benchmark international. Dieses Jahr hatten wir übrigens 100 Prozent, letztes Jahr 85 Prozent.

profil: Es gibt in der Branche aber auch Unternehmen, denen die Erfolgsquote egal ist. Furtenbach: Es gibt in der Branche alles. Manchmal treffe ich Leute, denen ich abgesagt habe, im Basislager als Kunden eines anderen Unternehmens. Manche Anbieter nehmen auch Kunden im vollen Bewusstsein, dass sie nur bis Lager 1 oder Lager 2 kommen werden. Aber das will ich nicht. Weil es meine Quote kaputtmacht, und weil ich will, dass die Leute ein gutes Erlebnis haben. Und das heißt in der Regel: Gipfel erreicht.

profil: Ihr Angebot richtet sich, rein preislich, an Kunden, die ihre Wünsche gewöhnlich erfüllt bekommen. Wie domestiziert man egomane Millionäre? Furtenbach: Es sind teilweise tatsächlich spezielle Persönlichkeiten, die da zwei Monate lang auf engem Raum zusammenleben müssen. Und man hat immer einen besonders Schwierigen dabei, das ist einfach so. Man muss im Vorfeld versuchen, Leute, die sehr viel Aufmerksamkeit brauchen, auf ihre Bedürfnisse abzuchecken und zu klären, welche Wünsche wir erfüllen können. Am Everest ist schon sehr viel möglich. Wir können mit dem Helikopter fast alles einfliegen lassen. Am K2, wo ich zu Fuß 150 Kilometer über eine Gletschermuräne zum Basecamp gehe, ist das ein bisschen schwieriger. Aber natürlich sind wir immer wieder mit den abstrusesten Wünschen konfrontiert.

profil: Ich würde gern im Hochlager 2 mit Champagner anstoßen? Furtenbach: Es geht in die Richtung. Oder es wünscht sich jemand eine Frau im Basislager. Oder man will für ein gutes Abendessen nach Kathmandu fliegen.

profil: Auf einen Sprung? Furtenbach: Ja. Solche Sachen sind inzwischen auch möglich. Natürlich gibt es Leute, die das moralisch verteufeln. Aber wir sehen uns nicht als moralische Instanz, sondern versuchen, Kundenwünsche zu erfüllen. Wenn jemand nach einem Monat Basecamp-Essen, das natürlich irgendwann eintönig wird, für ein Hauben-Menü ins Hyatt Kathmandu fliegen will, dann kann er das machen.

profil: Reinhold Messner dreht sich jetzt der Magen um. Furtenbach: Ich habe mit ihm persönlich noch nie über das Thema gesprochen. Aber ich habe mich sehr lang und intensiv mit ihm und seinem Zugang zum Himalaya beschäftigt. Er ist ein großer Bergsteiger, aber er hat eine selektive Wahrnehmung. Er kritisiert jegliche Form der Everest-Vermarktung - sofern sie nicht von ihm selber kommt. Und wenn er sagt, dass heutige Expeditionen nichts mit Bergsteigen zu tun hätten und er so etwas nie machen würde, dann möchte ich schon auf den Expeditionsbericht seiner sauerstofflosen Begehung mit Peter Habeler 1978 verweisen: wie viele Meter Fixseil da verlegt wurden, wie viele Sherpas gearbeitet haben, wie die Hochlager eingerichtet wurden, und wie Messner und Habeler die Fixseilroute und die fertig eingerichtete Lagerkette benutzt haben - und das bis heute nicht erwähnen.

profil: Aber gerade am Everest kommt es inzwischen immer wieder zu regelrechten Staus in der Todeszone. Ist Messners Kritik am Everest-Tourismus nicht doch berechtigt? Furtenbach: Die Berge sind einer der letzten Freiräume in unserer Gesellschaft. Wenn man diesen Freiraum regulieren möchte, muss man es konsequent machen: In den Alpen sind solche Stausituationen Alltag. Am Großglockner habe ich 30.000 Personen im Jahr, am Everest 400. Wenn vernünftig gearbeitet wird, ist das unproblematisch. Aber wenn es noch mehr wird, kann es zum Problem werden. Und der Trend scheint dahin zu gehen. Die Mehrheit der Bergsteiger am Everest kommt inzwischen aus China und Indien. Die Nachfrage wird immer größer. Aber wer soll die Instanz sein, die Kriterien für den Zugang festlegt und exekutiert?

profil: Die lokalen Regierungen, die schon heute die Besteigungsbewilligungen ausstellen? Furtenbach: Diese sind aber sowohl von chinesischer als auch nepalesischer Seite in der Anzahl nicht limitiert. Vor allem in Nepal wird das Geld gebraucht. Ich maße mir nicht an, einem Inder zu erklären, er darf nicht hinauf, weil er nicht das Glück gehabt hat, in Österreich geboren und von Kindheit her am Berg gewesen zu sein - aber der Hans Hinterhuber aus Innsbruck darf schon, denn der war immer schon Bergsteiger und hat auch den Alpinkurs gemacht in der Alpinschule vom Reinhold Messner.

profil: Sie sind auch schon selbst am Everest im Stau gestanden - haben Sie sich denn gar nicht geärgert? Furtenbach: In der Saison 2016 gab es je eine Expedition der indischen Armee und der Armee der Vereinigten Arabischen Emirate. Die haben dort einen Wettkampf inszeniert, welche Gruppe mehr Teilnehmer auf den Gipfel bekommt. Das waren keine Bergsteiger, sondern Soldaten, die einfach auf Befehl marschiert sind. Zweifellos fit, zäh und leidensfähig - aber auch unerfahren und entsprechend langsam. Es gab in beiden Gruppen Todesfälle und schwere Erfrierungen. Und am Gipfeltag haben sie alle anderen aufgehalten. Die 19-köpfige indische Gruppe hat hinter sich 200 Leute gestaut.

Am Anfang ist es sicher für die meisten sehr interessant: exotisch, international. Das Basecamp wird zu einem kleinen Dorf mit seinen eigenen Geschichten und Gerüchten und Beziehungen.

profil: Es gibt dort oben wohl keine Überholspur? Furtenbach: Kaum. Aber wenn ich so etwas einkalkuliere - und zum Beispiel mehr Sauerstoff einplane, um auch bei einem verzögerten Aufstieg nicht in Not zu geraten - dann kann ich damit umgehen. Wir schreiben auch allen unseren Teilnehmern vor, Schuhheizungen zu verwenden. Damit kann ich einen Tag lang im Stau stehen und habe keine Erfrierungen. Eine einfache Lösung für ein wirklich großes Problem. Allein 2016 hatten am Everest 70 Personen schwere Erfrierungen - mit Amputationen von Zehen, Fingern oder Gesichtsteilen. Von 400 Leuten insgesamt. Leider waren durchgehend Inder und Chinesen betroffen, die bei nepalesischen Billiganbietern gebucht hatten. Ich glaube, dass es eher eine Reglementierung bei den Veranstaltern bräuchte als bei den Teilnehmern.

profil: Wer sind Ihre typischen Everest-Kunden? Furtenbach: Männlich, zwischen 40 und 60 Jahre alt und beruflich in einem Bereich angekommen, wo man es sich finanziell leisten kann und auch zeitlich. Für eine klassische Everest-Expedition brauche ich zwei Monate, plus die Zeit für die Vorbereitung. Der limitierende Faktor ist tatsächlich eher die Zeit als das Geld. Wir versuchen deshalb, die Expeditionsdauer zu verkürzen. Nächstes Jahr starten wir eine Everest-Flash-Expedition, die maximal vier Wochen dauert.

profil: Wie geht sich das aus? Furtenbach: Mit einem neuen Akklimatisations-System, einem neuen Sauerstoff-System, mit komplett redundanter Ausrüstung am Berg: doppelt so viel Sauerstoffflaschen, Sherpas, Sicherheitsausrüstung wie nötig. Acht Wochen lang wird im Höhenzelt zu Hause vorakklimatisiert. Die Mannschaft vor Ort richtet die Route und die Hochlager ein, und man selbst steigt erst ein, wenn alles bereit ist für den Gipfelversuch. Natürlich braucht man dann auch noch Glück mit dem Wetter, aber wir haben bei diesen vier Wochen auch noch genug Reserve für einen zweiten Gipfelversuch. Theoretisch wäre es sogar in zwei bis drei Wochen möglich. Wenn es funktioniert, wird das die ganze Everest-Industrie verändern.

profil: Wie gestaltet sich das Leben im Basislager? Furtenbach: Am Anfang ist es sicher für die meisten sehr interessant: exotisch, international. Das Basecamp wird zu einem kleinen Dorf mit seinen eigenen Geschichten und Gerüchten und Beziehungen. Außerdem hat man dort heute auch jeden Komfort, gute Unterhaltung, guten Wein. Ich kann Kinoabende machen, habe Internet zur Verfügung. Es lässt sich schon aushalten. Nach vier, fünf Wochen kann aber doch ein gewisser Lagerkoller einsetzen.

profil: Und was macht man am Gipfel des Mount Everest? Selfies? Furtenbach: Die meisten machen tatsächlich Bilder. Viele Leute lassen auch etwas am Gipfel. Ein Foto, irgendeinen Gegenstand, einen Socken. Viele rufen auch kurz mit dem Satellitentelefon zu Hause an. In der Regel hat man da oben ja nicht viel zu tun. Man schaut ein bisschen herum, sieht, ob man die Erdkrümmung erkennen kann und macht ein paar Fotos. Dann wird einem eh kalt.

profil: Man wird nicht philosophisch? Furtenbach: Das hätte ich noch nicht erlebt. Die Leute stehen eher unter Hormoneinfluss. Man merkt auch bei vielen, dass die Euphorie nach zehn Minuten abflaut, dass sie ganz ruhig werden. Dann muss man den Menschen schnell bei Konzentration halten, weil der Abstieg natürlich gefährlich ist. Da klinkst du dich falsch ins Fixseil ein und bist sofort weg.

profil: Was suchen Ihre Kunden am Mount Everest? Ihre Grenzen? Sich selbst? Furtenbach: Bei den meisten geht es ganz schlicht um den Gipfel. Das finde ich auch okay. Beim Everest geht es darum, am höchsten Punkt der Erde zu stehen. Sich selber muss man woanders finden. Im Nachhinein helfen mir diese Erfahrungen vielleicht, mich selbst besser kennenzulernen: die Gruppendynamik, das Durchhalten-Können. Messner hat sich auf den Gipfeln selber gefunden. Das wäre mir noch nicht passiert. Am Berg sollte man besser konzentriert bei der Sache bleiben.

profil: Apropos Durchhalten: Wie erkennt der Bergführer, wann für einen Teilnehmer körperlich das Limit erreicht ist? Furtenbach: Ab einer gewissen Höhe ist das relativ einfach zu entscheiden. Weil die Aufstiegsgeschwindigkeit dann drastisch abnimmt. Entweder er ist krank oder er entwickelt ein Höhenproblem, meistens ein Lungenödem. Wenn unerfahrene Leute, nur um Geld zu sparen, ohne Bergführer unterwegs sind, wird es saugefährlich. Weil niemand ihnen sagt, dass sie ihre Grenze erreicht haben. Der Sherpa wird es ihnen nicht sagen.

profil: Warum nicht? Furtenbach: Der Sherpa will den Gipfelbonus. Das ist ein wichtiger Teil seines Honorars. Er bekommt ein Grundgehalt, den Gipfelbonus und einen Load-Bonus, je nach transportiertem Gewicht. Wir müssen ja nicht nur die Ausrüstung nach oben, sondern auch unseren gesamten Müll wieder vom Berg runterbringen, inklusive Exkremente.

profil: Es gibt keine Sickergrube im Basecamp? Furtenbach: Nichts. Das wird auch streng kontrolliert und bei Nichteinhaltung drakonisch bestraft. Zusätzlich muss jede Expedition heute mehr Müll hinunterbringen, als sie selber produziert. Da geht es um den Müll aus Messners Zeiten. Im Expeditionsbericht von damals wird das genau beschrieben: Die österreichische Alpenvereins-Expedition hat sich aktiv dafür entschieden, den Müll am Berg zu lassen. Die heutigen kommerziellen Expeditionen haben den Berg eigentlich erst wieder sauber gemacht.

profil: Sie haben auch den K2 im Portfolio, einen der objektiv gefährlichsten Berge der Welt. Wie kann man so eine Tour anbieten und weiterhin gut schlafen? Furtenbach: Uns war klar: Wenn wir den K2 anbieten, muss es so sicher wie möglich sein. Und in dem Fall bedeutet das, so wenig wie möglich rauf und runter zu steigen. Klassisch K2 bedeutet: vier Rotationen am Berg zur Akklimatisation und um die Hochlager einzurichten. Wir haben gesagt, wir akklimatisieren gegenüber am Broad Peak. Schöner Berg, objektiv sehr sicher, und wenn man fertig ist, wechselt man rüber zum K2, wo ein Sherpateam schon die Route eingerichtet hat. Das wäre der Plan, den wir seit drei Jahren hegen. Im ersten Jahr kam uns der Terroranschlag im Nanga-Parbat-Basecamp dazwischen, wo eine IS-Splittergruppe mehrere Bergsteiger erschossen hat. Da habe ich gesagt: Das ist mir zu heiß. Ich bin in Pakistan ja selbst schon einmal fast mit einer Bombe in die Luft geflogen.

profil: Was ist passiert? Furtenbach: Wir sind mit dem Taxi an der dänischen Botschaft entlang gefahren, als davor eine Bombe detonierte. Im Taxi hat es die Rückscheibe zerrissen. Das war haarscharf. Jedenfalls haben wir beschlossen, abzuwarten, bis das politische Risiko wieder überschaubar ist. Heuer haben wir schließlich einen Versuch gestartet. Wir hatten auch eine super Gruppe, alles top-erfahrene Leute. Komplett andere Leute als am Everest. Alle mit 8000er-Erfahrung. Trotzdem habe ich schlecht geschlafen. Das Wetter war nicht günstig, viel Neuschnee, Lawinengefahr. Im Lager 2 hat unser Bergführer Rupert Hauer bei einem Meter Neuschnee und starkem Windeinfluss den Abbruch entschieden. Das gab es auch keine Diskussion, es war ganz objektiv die einzige richtige Entscheidung.

Es gibt zwei Szenarien: Gipfel erreicht, Gipfel nicht erreicht.

profil: Russell Brice, einer Ihrer großen Mitbewerber als Expeditionsanbieter, hat noch während derselben K2-Expedition angekündigt, sein Geschäft an den Nagel zu hängen. Warum? Furtenbach: Am K2 waren heuer drei Expeditionsveranstalter: Wir, Russell und ein nepalesischer Veranstalter. Russell und wir haben abgebrochen, der Nepalese ist weitergegangen und hat es am Ende auch geschafft. Er ist mit neun Sherpas und drei Kunden auf den Gipfel gekommen. Dafür gab es gerüchteweise 200.000 Dollar Gipfelprämie von der US-Unternehmerin und Bergsteigerin Vanessa O'Brien. Das kann natürlich für einen Nepalesen ein Anreiz sein, sein Leben und das von neun Sherpas zu riskieren. Daraufhin hat Russell gesagt: Nach diesen Regeln mag er nicht mehr mitspielen.

profil: Am Everest gilt angeblich: Wer will, der kann. Soll ich nun versuchen, den Everest zu besteigen? Kann ich es schaffen? Furtenbach: Wenn Sie gewisse körperliche Voraussetzungen mitbringen und eine gewisse Leidensfähigkeit, können Sie es schaffen. Sie werden Schmerzen haben, werden husten müssen, werden sich übergeben müssen, werden ständig frieren. Das müssen Sie über einen langen Zeitraum aushalten. Wenn das gegeben ist, kann man mit den heutigen Mitteln sagen: Ja, das kann fast jeder schaffen.

profil: Und wenn ich dann doch schwächle? Furtenbach: Viele der Leute, die vielleicht nicht auf den Gipfel kämen, schaffen es doch, weil sie von zwei Sherpas weitergezogen und gedrückt werden. Auch Doping ist ein großes Thema: Dexamethason, ein starkes Cortisonpräparat aus der Unfallmedizin, das man eigentlich im Fall eines Höhenödems gibt, wird vor allem von amerikanischen Gruppen seit ein paar Jahren auch zur Leistungssteigerung genommen - am Gipfeltag oft in Kombination mit Amphetaminen. Und dann noch Viagra, präventiv gegen das Lungenödem. Das ist heute der Everest-Cocktail - und bei uns ein Ausschlussgrund.

profil: Aber rein bergsteigerisch brauche ich mir keine Sorgen zu machen? Furtenbach: Die Route am Everest ist nicht ganz einfach. Man muss schwindelfrei sein, hat Kletterstellen zu bewältigen im Eis und im Fels, man hat einen Rucksack, die schweren Schuhe, muss am Seil raufklettern. Es braucht schon eine gewisse Technik. Aber die Kopfkomponente ist immer noch die eigentliche Krux. Es ist einfach mühsam. Die Gruppe ist mühsam, der Expeditionsleiter geht dir auf den Keks, das Essen geht dir auf den Keks, der Geruch in den Hochlagern geht dir auf den Keks, du hast keine gescheite Hygiene.

profil: Und am Ende der Expedition bricht dann die Gruppe mit lautem Krach auseinander? Furtenbach: Es gibt zwei Szenarien: Gipfel erreicht, Gipfel nicht erreicht. Im zweiten Fall herrscht natürlich eher miese Stimmung, aber wenn der Gipfel erreicht wurde, ist da nur noch Euphorie. Dann heißt es in der Regel: so schnell wie möglich feiern, Heli her, ab nach Kathmandu, egal, was es kostet. Und vorher wurde vielleicht noch um zehn Dollar mehr oder weniger Trinkgeld für die Sherpas gefeilscht. Das ist eigentlich ganz klassisch.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.