Essay

Faul und fragil? Eine Pflichtverteidigung der Generation Z

Ist die Generation Z wirklich fauler als alle anderen? Oder glorifiziert sie Selbstausbeutung einfach nicht mehr so schamlos wie ihre Vorgänger? Und, ganz generell: Wer braucht diese Generationenkonflikte eigentlich?
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Ja, genau, das ist jetzt dieser Text. Er musste früher oder später ja irgendwo auftauchen – bei so einer demografischen Lage, bei so einer gesamtgesellschaftlichen Debatte. Generationenkonflikte eignen sich schließlich großartig für Essays, man kann dann PDF-Konvertierungswitze über Boomer machen oder allen unter 30-Jährigen universal eine Laktoseintoleranz diagnostizieren, die irgendwie mit der grundsätzlichen Verweichlichung der Bevölkerung zusammenhängt. Noch mehr wohlfeile Polemik? Gerne. „Meinen Kaffee trinke ich nur mit Hafermilch und Agavendicksaft.“ „Ich habe das Internet gelöscht.“ „Ich kann heute leider nur drei Stunden arbeiten, ich muss danach zum Innere-Mitte-Matcha-Tee-Plenum.“ „Wenn Armin Wolf in der ‚ZIB 2‘ noch einmal gendert, überfahr ich den Fernseher mit meinem Benziner.“

Nun können wir uns aber ruhig eingestehen, dass die Art und Weise, wie wir diese Diskussion derzeit führen – in unzähligen Glossen und nicht enden wollenden Podcast-Folgen von „Lanz und Precht“ –, genau niemandem hilft, genau gar nichts löst. Generationenkonflikte sind auch kein neues Phänomen, schon immer forderte die Jugend herrschende Moralvorstellungen und Gesellschaftsstrukturen heraus. Und schon immer endete das sehr oft in Scheindebatten und mit einem Haufen von Vorurteilen.
Aktuell trifft es eben die Generation Z. Die Jahrgänge zwischen 1995 und 2010 haben sich einen Ruf eingefangen, den sie nur mehr schwer wieder loswerden: faul und autoritätsverweigernd und gleichzeitig zu frech und zu soft. Niemand von ihnen will mehr arbeiten, ständig sind sie auf der Suche nach irgendwas und dabei auch noch dauernd getriggert. Aber welche Realität steckt hinter diesem Image? Gehen wir dem doch einfach einmal auf den Grund, hoffentlich ein letztes Mal – und ohne Boomer- oder Hafermilch-Witze.

„Keinen Bock!“

Stichwort Work-Life-Balance. Die ist „den Jungen“ bekanntlich besonders wichtig. Laut der Ö3-Jugendstudie 2023 muss den 16- bis 25-Jährigen neben der Arbeit genug Zeit für „andere Dinge“ bleiben, für die Mehrzahl sind flexible Arbeitszeiten deshalb unerlässlich. Kein Wunder, dass es in den sozialen Medien unzählige Clips und Sketches gibt, die sich darüber lustig machen, dass die Generation Z bei der Arbeit nur mehr für das Nötigste zu haben ist. Keine Überstunden mehr, keine Extraarbeit – „Quiet Quitting“ ist angesagt. Übersetzt bedeutet das so viel wie „still kündigen“, sprich: „Dienst nach Vorschrift“. Keine Eigeninitiative mehr, ausschließlich das machen, wofür man bezahlt wird. Auf der Plattform TikTok gibt es ein Video mit dem Titel „Gen Z, wenn es 17.00 Uhr ist“; ein paar Personen sitzen um einen Tisch herum und arbeiten auf ihren Laptops, dann ist Feierabend. Sie packen zusammen und gehen nach Hause. Und das ist auch schon der Witz: dass sie nach Hause gehen. Dass sie nicht länger bleiben, als sie müssen. 

Wenn Arbeitsmoral zwangsläufig damit verknüpft wird, unaufgefordert und demütig unbezahlte Arbeit zu verrichten, stimmt nicht etwa mit der Generation Z was nicht, sondern mit ebendieser Arbeitsmoral.

Nach Hause gehen, wie im Vertrag vereinbart? Keine All-in-Mentalität? Ein absoluter Alptraum für alle Start-up-Elon-Musks, deren Geschäftsmodell darauf beruht, drei unterbezahlte BWL-Studenten so lange kreativ auszuquetschen, bis auf ein paar mittelmäßige „Family Guy“-Zitate nichts mehr von ihnen übrig ist. Wahrscheinlich ist es spätestens jetzt wichtig, einmal über Arbeitsmoral im gesamtgesellschaftlichen Diskurs nachzudenken. Wenn die nämlich zwangsläufig damit verknüpft wird, unaufgefordert und demütig unbezahlte Arbeit zu verrichten, stimmt nicht etwa mit der Generation Z was nicht, sondern mit ebendieser Arbeitsmoral. Es ist nicht unverschämt, anständig entlohnt werden zu wollen. Eine ganze Generation als arbeitsscheu zu framen, weil Fleiß scheinbar nur wertgeschätzt werden kann, wenn man ihn nicht ausbezahlen muss, weil er in Prekarität entsteht, ist doch eine sehr einseitige Perspektive. Schließlich ist Selbstausbeutung kein Maßstab für Stärke. Sie macht einen nicht besser, in den seltensten Fällen ist sie ein Weg zur eigenen Selbstverwirklichung, und meistens, wenn wir ehrlich sind, auch noch sehr nervig für alle um einen herum. Wenn zum Beispiel Sabine trotz eitriger Angina und kürzlich verstorbenem Zwergpudel weinend in die Arbeit wankt oder Martin trotz eines Urlaubstags den Obstkorb im Büro und die Ein-Apfel-pro-Person-Regel überwacht. Da würde ein bisschen „Quiet Quitting“ wirklich allen guttun.
Wir beobachten also einen Wertewandel. Das liegt zum einen daran, dass wir das „Life“ in der Work-Life-Balance stärker wertschätzen, dass die Generation Z die Gegenwart der Zukunft vorzieht. Zum anderen hat sich unsere demografische Lage insgesamt stark verändert. Hatten Babyboomer noch einiges an Konkurrenz am Arbeitsmarkt zu befürchten, herrscht heute in vielen Branchen ein akuter Arbeitskräftemangel. Unternehmen müssen sich also zwangsläufig darauf einlassen, dass sich die gesellschaftliche Vorstellung von Lohnarbeit im Lauf der Zeit verändert. 

„Keine Zukunft!“

Dazu kommt die Sache mit dem Zukunftspessimismus. Klimakrise, Gesundheitskrise, Teuerungskrise. Natürlich ist die Generation Z nicht die erste, die in eine gebeutelte Zeit geboren wurde. Wenn man so darüber nachdenkt, gibt es eigentlich keine Zeit, die nicht gebeutelt war. Trotzdem blickt die Jugend in mittel- und westeuropäischen Ländern laut einer Studie der TUI Stiftung zunehmend pessimistisch auf die eigene Zukunft. Im Vergleich mit den eigenen Eltern werde es ihnen später sicher schlechter gehen, glaubt die Mehrheit. In Österreich ist das nicht anders. In der Trendstudie „Jugend in Österreich – Sommer 2022“ heißt es: „Jeder Dritte zwischen 14 und 29 Jahren ist unzufrieden mit dem eigenen Leben.“
Für was also schuften, wenn am Ende sowieso nichts dabei herausschaut? Zukunftsszenarien, die Klimaforscherinnen und Klimaforscher derzeit liefern, sind ernüchternd; auch was die spätere Pension, die Pläne für ein eigenes Haus oder den Wohnungskauf betrifft, sieht es düster aus. Kein Wunder, dass man die Gegenwart bewusster erleben möchte, wenn alles, was danach kommt, derart unsicher wirkt.

Für was also schuften, wenn am Ende sowieso nichts dabei herausschaut? 

Das konnte man sehr gut in diesem Sommer spüren, als ein „Aging-Filter“ auf TikTok an Popularität gewann, eine Art virtuelle Maske, die einen digital altern lässt. Junge Nutzerinnen und Nutzer fingen an, Persiflagen auf ihr späteres Leben als Omas und Opas zu drehen. „Hey guys, get ready with me to go pick up my weekly water rations.“ (Übersetzt: „Hey Leute, macht euch mit mir fertig, meine wöchentliche Wasserration abzuholen.“) Der TikToker Benton McClintock, so nennt er sich zumindest online, wandelt in seinen Videos regelmäßig mit gealtertem Gesicht durch New York City, gibt sich als Influencer aus dem Jahr 2049 aus, einer ultrakapitalistischen Dystopie. Florida steht unter Wasser, die Luft ist verschmutzt, und so ziemlich alles wird von Megakonzernen beherrscht. „Leben noch Menschen am Land oder in Wäldern?“, fragt jemand unter einem Video. Nein: „Das Landleben ist 2039 ausgestorben, nachdem Amazon jedes Gebiet aufgekauft hatte, das auf der Erde existierte.“ 

Natürlich soll das in erster Linie witzig sein. Aber wie alle Darstellungen von Zukunft oder Vergangenheit, satirisch oder nicht, sagt es doch viel über unsere Verfassung in der Gegenwart aus. Und die ist wohl nicht besonders optimistisch, wenn der Gedanke an ein gealtertes Ich für junge Menschen zwangsläufig mit einer zerstörten und lebensfeindlichen Umwelt einhergeht. Das sprüht vor Resignation. So wie eben auch „Quiet Quitting“. Es geht dabei nicht mehr um eine große Gesellschaftsanalyse, um den Umsturz des Systems. Es ist ein stiller, individualisierter Protest, der sich manchmal fast schon wie aufgeben anfühlt. „Quiet Quitter grenzen sich ab, statt zu verändern“, schrieb die deutsche Autorin und Journalistin Şeyda Kurt. „Es ist kein lauter, gemeinschaftlicher Widerstand, der bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für alle fordert. Und sich etwa gewerkschaftlich organisiert.“

„Kein Konflikt?“

Noch einmal zurück zum Anfang, zu der „faulen Generation Z“. Ist das denn nun wirklich ein tiefschürfender Generationenkonflikt? Oder eher so etwas wie eine normale Familienstreiterei? Kann man der Generation Z vorwerfen, dass sie in ihrem Pessimismus aufs Arbeiten vergisst? Oder fußt die ganze Debatte auf einem großen Trugschluss?
Alter allein ist für die hier verhandelten Fragen nicht zwangsläufig die passende Kategorie. Eine 19-jährige Milliardenerbin wird der Zukunft anders entgegenblicken als ein 70-jähriger Mindestpensionsbezieher. Findet man seinen Job erfüllend, wird man eine andere Einstellung an den Tag legen als jemand, der das nicht von sich behaupten kann. Faktoren wie soziale Herkunft, Bildungsgrad, politische Einstellung beeinflussen uns genauso, wenn nicht stärker als unser Geburtsdatum. Aber ein Generationenkonflikt lässt sich eben einfacher erklären. „Die faule Generation Z“ ist insofern das Ergebnis von purem Populismus, schließlich lässt sich diese Erzählung einfacher debattieren, als sich ernsthaft mit Klimakrise, Teuerungswelle oder Pensionssystem auseinanderzusetzen. Und natürlich machen plumpe Vorurteile gegenüber „den Jungen“ oder „den Alten“ um einiges mehr Spaß. „Alle jungen Menschen sind faul“, sagt sich leichter als: „Ups, das 1,5-Grad-Ziel ist nicht mehr plausibel.“

Beenden wir diesen Text also so, wie ihr ihn angefangen haben – mit billiger Polemik: „Das wird man wohl noch sagen dürfen.“ „Ich kann heute leider nicht, ich muss auf meinen Hot-Girl-Mental-Health-Walk.“ „Hallo, wollte nur kurz anrufen und Bescheid geben, dass ich dir ein E-Mail gesendet habe.“ „Meine Bildschirmzeit beträgt zwölf Stunden, also ganz normal.“ Okay, und jetzt zu den wirklichen Problemen. 

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.