Arsenals Arsène Wenger: The long goodbye
Dies ist keine Grabrede auf Arsène Wenger - was in erster Linie damit zu tun hat, dass Arsène Wenger nicht tot ist, ganz im Gegenteil: In seinem beruflichen Leben spürt er sich derzeit so sehr wie vielleicht niemals zuvor. Der Mann muss im Moment sehr viel aushalten: Häme, Spott und Beleidigungen der übelsten Sorte. Und da reden wir zunächst nur über die Anhänger des eigenen Vereins. Arsène Wenger ist Trainer des FC Arsenal. Ihn schlicht Trainer zu nennen, wäre jedoch eine Beleidigung. Manager ist seine eigentliche Berufsbezeichnung, wobei auch das nur einen Teilbereich seines Tuns abdeckt. Arsène Wenger ist in Wahrheit der FC Arsenal, und zwar seit über 20 Jahren. Er hat den Club zu einem stilbildenden Modell im Weltfußball entwickelt. Er formte seit 1996 aus einem äußerst durchschnittlichen Verein eine Marke. Henry, Bergkamp, Overmars, Petit, Anelka, Fabregas, Viera wurden unter ihm zu Weltstars. Er kreierte einen Fußball mit hohem Wiedererkennungseffekt: ein bisschen Barcelona, ein bisschen Ajax und ansonsten eine Wengersche Eigenkreation. Aus boring Arsenal machte er scoring Arsenal.
Der Unvollendete
Er spannte ein weltweites Scoutingnetz und erkannte schon früh, dass Highbury zwar ein altehrwürdiges Schmuckkästchen war, aber eben eher ein Museum, und den Ansprüchen einer Fußballarena im 21. Jahrhundert nicht mehr annähernd genügte. So wirkte er an der Architektur des neuen Emirates-Stadiums mit. Alle sollten gut sehen, alle sollten es bequem haben und sich erfreuen am Fußball Marke Arsenal. Wenn sich Investoren für den Verein interessierten, saß er mit am Tisch. Wenn auf dem Trainingsgelände ein Nebenplatz Unebenheiten aufwies, versetzte er die Greenkeeper in Alarmbereitschaft. Wenn es darum ging, einen hochbegabten Nachwuchsspieler vom Arsenal Football Club zu überzeugen, flog er hin und besuchte er den Jungen und dessen Eltern zu Hause. Seine Erfolgsbilanz weist drei englische Meisterschaften aus, sechs FA-Cupsiege und zwei Europapokalfinals - beide verloren: In Europa ist er der Unvollendete geblieben.
Als Arsène who? war er angetreten. Als Arsène knows wurde er 1998 zum ersten Mal englischer Meister. Als Arsène knows best gelang ihm 2003/2004 eine Saison ohne Niederlage, und 2006 zog er in das Champions-League-Finale ein. In den vergangenen Jahren ist die Kritik an ihm immer lauter geworden. Gerade sind die Gunners zum siebten Mal in Folge im Champions-League-Achtelfinale gescheitert. Das ist die Wahrheit, das ist die Grenze. Mittlerweile heißt es nur noch: Arsène out!
Spritzig, spielfreudig, schnell, spektakulär
Ich war beim Achtelfinal-Rückspiel in London. 5:1 hatten die Gunners das Hinspiel in München verloren. Im Emirates sah man 20 Minuten das gute alte Arsenal: spritzig, spielfreudig, schnell, spektakulär. Dann machten die Bayern kurzzeitig ernst, und Arsenal bekam auch im Rückspiel ein 5:1-Paket. Bei Abpfiff war das Stadion fast leer. Es wirkte befremdlich, Wenger, diesen eleganten Elsässer, Gentleman der alten Schule, auf der Bank sitzen zu sehen, ratlos, desillusioniert, der Verzweiflung nahe. Es spricht vieles dafür, dass dies sein letztes Europacupspiel für und mit Arsenal war.
Doch er wird selbst darüber entscheiden. Der Verein ist Wenger, und Wenger ist der Verein, und deshalb hat sich an der Vereinsspitze auch kein Bedenkenträgerkonsortium formiert. Denn so sehr Arsenal in den vergangenen Jahren Titeln hinterherlief - die Champions-League-Teilnahme wurde unter Wenger immer geschafft. Aber selbst diese erscheint aktuell gefährdet. Die Angst vor einer Post-Wenger-Ära ist groß. Manchester United hat das gerade durchlebt. Dreieinhalb Jahre sind seit dem Rücktritt von Alex Ferguson vergangen. Als Meister abgetreten, blieben sie danach zwei Jahre der Königsklasse fern. In diesem Jahr könnte die Qualifikation wieder klappen.
Arsène knows
Die Zeit zum Durchlüften dürfte nun bei Arsenal gekommen sein. Arsène knows. Er wird dem Spitzenfußball erhalten bleiben, ob beim FC Barcelona oder bei Paris Saint-Germain oder als Wiedergeburtshelfer in Mailand. Aber Arsenal ohne ihn wird ganz sicher ein anderes sein.
Wolff-Christoph Fuss kommentiert wöchentlich die Topspiele der deutschen Bundesliga und der UEFA Champions League live auf Sky.