Feminismus-Ikone Erica Jong: "Männer bleiben Sklaven ihres Penis“
INTERVIEW: SACHA VERNA
profil: Es fehlte nicht viel und Sie wären für eine Passage aus Ihrem neuen Roman "Angst vorm Sterben“ beinahe mit dem "Bad Sex in Fiction Award“ ausgezeichnet worden, dem Preis für die schlechteste literarische Sexszene des Jahres. Was halten Sie von dieser zweifelhaften Ehre? Jong: Derlei kümmert mich nicht im Geringsten. Die haben doch keine Ahnung.
profil: Wovon denn nicht? Vom Schreiben? Sex? Oder vom Schreiben über Sex? Jong: Davon, dass Frauen über 60 sich nicht einfach in geschlechtslose Schatten verwandeln, sondern im Gegenteil im Bett jede Menge Spaß haben - vermutlich viel mehr als ihre eigenen Enkel. Es gibt seit je nur zwei Themen in der Literatur: Liebe und Tod. Neu ist, dass nun endlich auch Frauen ihren Gefühlen darüber Ausdruck verleihen, und zwar Frauen jeden Alters. Das zu akzeptieren, fällt vielen schwer. Kein Wunder, schließlich wird unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten von alten Männern regiert. Es ist an der Zeit, dass Frauen ans Ruder kommen.
profil: Sie werden im März 74. Also Frauen Ihres Alters? Jong: Unbedingt. Wir sollten uns ein Beispiel an den amerikanischen Ureinwohnern nehmen. Bei denen entschied ein Rat von Großmüttern über Krieg und Frieden. Die Männer kämpften, aber die Omas entschieden, wann.
profil: Warum sollten Großmütter so viel weiser sein als Männer? Jong: Frauen spenden Leben. Sie wissen den Wert des Lebens weit mehr zu schätzen als Männer. Großmütter betrachten alle Kinder der Welt als ihre eigenen und sind entsprechend bereit, für sie zu sorgen - für die Kinder wie für die Welt. Männer bleiben immer Sklaven ihres Penis, bis sie umkippen. Frauen hingegen stoßen auf ungeahnte Energiequellen, haben sie die Wechseljahre erst einmal hinter sich. Schauen Sie sich doch Hillary Clinton an.
profil: Die demokratische Präsidentschaftskandidatin ist bald zweifache Oma. Jong: Sie verströmt ein Selbstbewusstsein, wie es nur Frauen gelingt, die ihr eigenes Potenzial erkannt haben. Wir benötigen im Weißen Haus eine Präsidentin, die sich dem Leben verpflichtet fühlt. Frauen sind dies nun einmal mehr als Männer. Ein anderes Beispiel wäre übrigens Angela Merkel.
Trump ist ein klassischer Demagoge.
profil: Merkel hat keine eigenen Kinder, sie ist auch keine Großmutter. Jong: Ich meine mit "Großmüttern“ ja auch nicht nur biologische, sondern alle Großmütter im Geiste. Merkel zeigt der Welt, wie leistungsfähig Frauen sind, und das auf phänomenale Weise. Deutschland ist das politisch und wirtschaftlich stärkste Land Europas. Es ist auch das Land, das in den vergangenen Monaten am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Es hat seine Nazi-Vergangenheit hinter sich gelassen und klärt die Kinder in der Schule früher als überall sonst über die Entstehung und die Gefahren des Faschismus auf. Deutschland verdankt seine Erfolge diesem Bildungssystem und der Tatsache, dass Frauen wie Angela Merkel im Land Führungsrollen spielen.
profil: Wäre ein Aufstieg wie jener des Multimilliardärs und Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump auch in Deutschland möglich? Jong: Ich weiß es nicht. Trump ist ein klassischer Demagoge. Neulich sah ich ihn wieder im Fernsehen. Er ist wie Hitler: Sobald er das Publikum einmal in seinen Bann geschlagen hatte, hörte er nicht mehr auf. Er redete 50, 60, 70 Minuten lang ununterbrochen, und dabei verhöhnte er sogar manche seiner Zuschauer. Er ist von einer unsäglichen Arroganz, ein skrupelloser Lügner. Die Medien machen sich aber nicht die Mühe, den Wahrheitsgehalt von Trumps Aussagen zu überprüfen.
profil: Zeitungen wie die "New York Times“ und die "Washington Post“ haben das sogar mehrfach getan. Jong: Dennoch sind die Medien mitschuldig an Trumps Erfolg. Vor allem das Fernsehen. Den Kabelsendern läuft das Publikum davon, für sie ist Trump ein Gottesgeschenk. Er bringt die ersehnten Einschaltquoten. Hätten die TV-Kanäle Trump zu Beginn seiner Kampagne nicht derart viel Aufmerksamkeit geschenkt, wäre er nie und nimmer da, wo er jetzt ist. Und nun machen sie einfach weiter. Es findet die Murdochisierung der Presse statt.
Unsere Gesellschaft ist sex- und imagebesessen.
profil: Sie spielen auf den Unternehmer Rupert Murdoch an, dem vorgeworfen wird, mit seinem Imperium an Zeitschriften und Fernsehkanälen seine neokonservative Weltanschauung zu verbreiten. Jong: Es geht um immer noch fettere Schlagzeilen, immer noch höhere Einschaltquoten, um schieren Profit. Donald Trump nützt die Medien aus, und die Medien nützen Trump aus. Wo wir schon beim Sensationsjournalismus sind: Zum Widerwärtigsten gehören Zeitungsartikel über prominente Frauen und ihre Babys, die von Fotos illustriert werden, auf denen Dehnungsstreifen in Großaufnahmen zu sehen sind. Unsere Gesellschaft ist sex- und imagebesessen.
profil: Vanessa Wonderman, die Protagonistin aus "Angst vorm Sterben“, ist eine 60-jährige Schauspielerin, die ihrem guten Aussehen nachtrauert und Sex mit Jungbleiben verwechselt. Jong: Ja. Schauspielerinnen stehen für Schönheit, Sex und Jugend. Zum Glück wehren sich immer mehr von ihnen gegen diese Zwangsjacke. Meryl Streep etwa, Jennifer Lawrence oder Amy Schumer. Haben Sie "Trainwreck“ gesehen?
profil: Ja. Auf Deutsch hieß Schumers Film "Dating Queen“. Jong: Eine großartige Komödie. Man lernt eine Menge über das Selbstverständnis junger Frauen im Jahr 2015.
profil: Zum Beispiel? Jong: Etwa die Tatsache, dass Frauen noch immer erwarten, von Männern schlecht behandelt zu werden, und geradezu misstrauisch reagieren, wenn sich einer zur Abwechslung anständig benimmt.
profil: Was halten Sie von jener Sorte Unanständigkeit, wie sie in der SM-Romantrilogie "Fifty Shades of Grey“ praktiziert wird? Jong: Es schockiert mich, dass Millionen von Frauen den in diesen Büchern ausgewalzten Gedanken aufregend finden, ihren Orgasmus Männern zu überlassen …
profil: … im Tausch gegen Designer-Jeans … Jong: … und gegen anderes teures Zeug. Die Frau sagt damit: Ich habe keine sexuellen Sehnsüchte. Ich trage keine Verantwortung. Ich brauche mich nicht schuldig zu fühlen, weil jemand anderer über mich verfügt. Ich wollte nicht, er hat mich dazu gezwungen: Das ist wie diese Vergewaltigungsfantasie. Wieso wir Sex noch immer mit einem schlechten Gewissen verbinden, ist mir ein Rätsel.
profil: Sie schrieben bereits 1973 in Ihrem ersten Roman "Angst vorm Fliegen“ gegen genau diese Art von Schuldgefühlen und Unterwerfung an. In dem Weltbestseller nimmt die Heldin Isadora Wing ihr Sexleben selbst in die Hand. Jong: Natürlich. Seither gelte ich als Sexbuch-Autorin. Wie lächerlich! Isadora war für mich einfach eine Frau mit einem gesunden Verhältnis zu ihrem Körper und zu ihren sexuellen Begierden.
profil: "Angst vorm Fliegen“ gilt als Klassiker der feministischen Literatur. Ihre Botschaft scheint indes nicht angekommen zu sein. In der populären TV-Serie "Girls“ bestimmen die Protagonistinnen zwar selber, mit wem sie ins Bett gehen. Das aber meist nur für eine Nacht. Jong: Und viel Spaß haben sie dabei auch nicht. Das ist sicher keine Alternative. Viele Frauen machen ständig solche enttäuschenden Erfahrungen.
Gesellschaften, in denen Frauen unterdrückt werden, schaden sich selber. Das hat die Geschichte mehrfach bewiesen.
profil: Was haben die Feministinnen Ihrer Generation denn falsch gemacht? Jong: Wir haben zu wenig auf unsere eigene Stärke vertraut und ließen uns vom Sex ablenken. Wir nahmen die Männer zu ernst, indem wir sie zu Feinden erklärten. Manche Männer sind aber ganz in Ordnung - auch wenn sie gerne unter sich bleiben. Deshalb brauchen wir ein Quotensystem, wenn wir wirklich etwas ändern wollen. Quoten in der Bildung, in der Wirtschaft, in der Politik. Dass im amerikanischen Kongress nur 20 Prozent Frauen sind - obwohl wir 52 Prozent der Bevölkerung darstellen -, ist ein Skandal.
profil: In "Angst vorm Sterben“ wird die Heldin Vanessa in Indien als Ikone der Frauenemanzipation gefeiert. Wie gut eignet sich der Feminismus westlicher Prägung zum Export? Jong: Erst neulich schickte mir eine Freundin einen Film über Frauen in Afghanistan, die gezwungen werden, sogar während der Geburt ihrer Kinder die Burka zu tragen - und die gesteinigt werden, sollten sie auch nur das Netz über ihren Augen heben. Stellen Sie sich das einmal vor! Der religiöse Fundamentalismus ist die größte Gefahr für unsere Welt, egal ob islamischer, jüdischer oder christlicher Extremismus. Ich bin gegen jede Art von Religion. Die meisten Religionen sind ohnehin nur ein weiteres Instrument zur Unterdrückung der Frauen. Und Gesellschaften, in denen Frauen unterdrückt werden, schaden sich selber. Das hat die Geschichte mehrfach bewiesen.
profil: Ihr Rezept für die Zukunft lautet also: weniger Gott, mehr Großmütter? Jong: Ja. Und endlich Gleichberechtigung, die diesen Namen auch verdient. Ich bin soeben von einer Reise aus der Antarktis zurückgekehrt. Bei den Pinguinen herrscht Gleichberechtigung. Männchen und Weibchen wechseln sich beim Ausbrüten der Eier und bei der Futterbeschaffung ab. Sobald die Kleinen groß genug sind, kommen sie zu anderen Jungtieren in eine Krippe, während die Alten zusammen weiter für Nahrung sorgen. Stellen Sie sich einmal vor, wozu die Menschheit imstande wäre, organisierte sie sich ebenso.
Erica Jong, 73, gilt seit der Veröffentlichung ihres ersten Romans "Angst vorm Fliegen“ als eine Ikone der Frauenemanzipation und der sexuellen Revolution. Das 1973 publizierte Buch verkaufte sich weltweit über 27 Millionen Mal und gilt als Klassiker der feministischen Literatur. "Angst vorm Sterben“, die Geschichte der coolen New Yorkerin Vanessa Wonderman, ist Jongs neunter Roman. Die Autorin lebt mit ihrem vierten Ehemann und zwei Pudeln in New Yorks Upper East Side.
Erica Jong: Angst vorm Sterben. Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels. S. Fischer, 366 S., EUR 20,60