Feminismus und Corona: War die alte Normalität so viel anders?

Dass Corona für den Feminismus zum Härtefall wird, ist unbestritten. Nur: War die alte Normalität so viel anders?

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Ich bin ein glühender Fan dieser 28-jährigen Berliner Krankenschwester, deren Facebook-Aufschrei im Netz Zehntausende Reaktionen auslöste. "Euren Applaus könnt ihr euch sonstwohin stecken!", demontierte Nina Böhmer die weltweite Balkonklatscher-Romantik zu einem Akt der Heuchelei. Und erzählte von ihrem Job, in dem die Versorgung von 40 Patienten auch schon vor Corona zum Alltag gehörte.

Tatsächlich waren die Systemerhalterinnen, denen jetzt schnell das Corona-Prädikat "stille Heldin" an die Uniform geheftet wurde, in der öffentlichen Wahrnehmung zuvor die Parias - sowohl was ihr Image als auch ihre Entlohnung betraf. 75 Prozent des Krankenhaus- und Pflegeheimpersonals sowie der Supermarktbediensteten sind weiblich. Zwar sind Männer laut Statistik leichtere Beute für Covid-19, doch 2,7 Mal mehr Frauen erlagen bei der Arbeit mit infizierten Patienten dem stillen Heldinnentod.

Aufopferung, Fürsorglichkeit, Selbstlosigkeit
Der passt ja auch perfekt zum gängigen Charakterkostüm, das man Frauen anzieht und in das sie auch selbst immer wieder gerne freiwillig steigen: Aufopferung, Fürsorglichkeit, Selbstlosigkeit. Nicht von ungefähr werden Volksschulkinder, zumindest im ländlichen Raum, noch bis heute mit Muttertagsgedichten gefüttert, die um die dauerhafte Putz-, Wasch- und Kochbereitschaft ihrer Versorgerin kreisen. Man kann davon ausgehen, dass der Applaus genau dann gänzlich verebben wird, wenn die neue alte Normalität wieder eintritt. Dann verwandeln sich die stillen Heldinnen flugs wieder in unterbezahlte Arbeitnehmerinnen.

Poser-Papis
Die Studien zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des coronabedingten Lockdowns stapeln sich inzwischen. Und egal ob die Erhebungen vom Wirtschaftsforschungsinstitut oder im Auftrag der SPÖ-Frauen ausgeführt wurden, die Schlussfolgerungen sind ähnlich: Am härtesten peitscht es die Alleinerzieherinnen durch die Krise. Laut Renner-Institut ist auch ihre Angst, den Job zu verlieren, um zehn Prozentpunkte höher als jene von Frauen in Partnerschaften. 86 Prozent aller Frauen erklären, dass der Löwenanteil der Belastungen durch die Kinderbetreuung von ihnen getragen wird. Wobei Väter sich im Homeoffice auch gerne als laute Helden inszenieren. "Was mich diese bewussten Väter nicht nerven", erzählt eine Leiterin eines großen Medienunternehmens, die selbst Mutter ist. "Bei jeder Zoom-Konferenz jagen ihre Kinder unsanktioniert lauthals durchs Bild, damit alle sehen, wie hautnah diese Poser-Papis bei der Betreuung dabei sind. Das hast du bei keiner Frau."

In der Krise nimmt alles, was latent vorhanden ist, kräftigere Konturen an. Der große, gemeinsame und geschlechtsneutrale Nenner ist die Abstiegsangst. Was die US-Feministin Naomi Wolf bereits vor fast 20 Jahren in ihrem Buch "Misconceptions" beklagte, gilt bis heute: Sobald Kinder im Spiel sind, gerät die Verteilung der unbezahlten Arbeit selbst mit feministisch geschulten Partnern in Schieflage.

Im Trümmerfeld von Coronistan
Zwar sind Männer, wie das Wifo dokumentiert, etwas stärker vom Beschäftigungsrückgang betroffen, doch der Jobverlust konzentriert sich bei Frauen naturgemäß auf spezifisch weibliche Tätigkeiten wie die Arbeit in Schönheitssalons, Gastgewerbe, Boutiquen, Gebäudebetreuung - so die noble Umschreibung für Stiegenschrubben - und Hotels. In der Herrenabteilung sind die existenziellen Kahlschläge gleichmäßig auf alle Branchen verteilt. Höher qualifizierte Frauen mit Matura oder Hochschulabschluss verlieren laut der Wifo-Studie im Zuge von Corona häufiger ihre Stelle als Männer auf dem gleichen Bildungsniveau. Das beängstigende Phänomen, dass bildungsstarke Frauen gegenüber Männern im Trümmerfeld von Coronistan den Kürzeren ziehen, hat seine grausame Logik. Warum? Zynisch formuliert: Weil Muttchen zu wenig will. Und keine oder nur marginale Fremdbetreuung für die Fortpflänze infrage kommt. Allein das Wort Fremdbetreuung, das sich längst in den Sprachgebrauch gefressen hat, erzählt doch schon sehr viel über die dahinterstehende Ideologie. Begriffe wie Betreuungsunterstützung oder Kinderhilfen hätten einen weit weniger bedrohlichen Klang. Aber wen wundert's, schließlich sind wir mit einer Frauenministerin geschlagen, die sich nicht als Feministin bezeichnet wissen will.

Die Hälfte aller Mütter verharrt in Österreich noch immer freiwillig in der Teilzeitfalle und bleibt "hauptverantwortlich für Reproduktionsarbeit", wie es in der Studie befremdlich heißt. Diese Diktion beschwört dunkle Erinnerungen an Margret Atwoods Gebärmaschinenhorror "Der Report der Magd" herauf. Tatsächlich leben wir in einem Land, das es sich in seiner Rückschrittlichkeit sehr gemütlich gemacht hat; die Boygroup mit den 600-Euro-Frisuren sorgt schon dafür, dass der Stillstand nicht in Bewegung gerät. Gleichzeitig hat man im Zuge der Krise verstärkt den Eindruck, dass ausschließlich Männer das Heft in der Hand halten und mit besorgt-strengen Blicken hinter die Plexiglasscheiben im Ministerrat treten.

"Kein Mann gibt Privilegien freiwillig ab"
Österreich war auch schon vor Corona nicht sehr ausgeschlafen. Junge Mütter unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit extrem lang. Von den Karenzierten sind zum dritten Geburtstag des Kindes nur 63 Prozent wieder in ihren Job eingestiegen, Väterkarenz dauert selten über drei Monate und wird nur von jedem fünften Mann überhaupt in Anspruch genommen. Während im Rest der westlichen Zivilisation Ganztagsschulen großräumig eine Selbstverständlichkeit sind, werden die Kinder, die im Hort bleiben "müssen", von den Kollegen mit den aufopferungsbereiten Vollzeitmüttern in Österreich oft noch immer bedauert. Und wir drehen uns wie in dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" in der Endlosschleife, was die Debatten und Konfliktthemen betrifft: Ganztagsschulen, Väterkarenz, flexible Betreuungsangebote, gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

"Warum ist das so?", habe ich Alice Schwarzer einmal gefragt. Und sie gab eine klare Antwort: "Kein Mann gibt Privilegien freiwillig ab. Ihr müsst einfordern, einfordern, einfordern, sonst bleibt ihr die erschöpfte Generation."

Ein halbes Jahrhundert nach der heftig rollenden Frauenbewegung hat sich neuerdings eine eigenartige sektenartige Beschwörung vom Erfüllungsgehalt der Mutterschaft unter jungen Frauen breitgemacht. Kinderaufzucht wird von einigen wie ein Hochamt betrieben. Anstatt auf die Barrikaden wegen gleicher Bezahlung und einem den modernen Lebensumständen angepassten Kinderbetreuungsangebot zu gehen, macht sich plötzlich so eine putzige Niedlichkeit breit. Hunderte Mutter- und Backblogs, wo Mittdreißigerinnen mit wippenden Blumenschürzen, Adrettheit atmend, in zuckerlfarbenem Ambiente Anleitungen zu Familientischdekos und Plätzchen in Häschenform geben, überschwemmen das Netz. Nicht ein Mal habe ich von Frauen in dieser Altersgruppe den Satz gehört: "Ich muss ja nicht arbeiten gehen." Anwärterinnen auf das Mutterkreuz 2.0 und very retro. Gleichzeitig müssen kinderlose Frauen, gleichgültig ob selbst gewählt oder schicksalshaft, sich hierzulande ständig dafür rechtfertigen, warum sie auf Nachwuchs verzichten.

Ein unproduktiver Uterus ist in einem Land, "wo noch immer das toxische Erbe des Nationalsozialismus vorhanden ist", so Alice Schwarzer in einem profil-Interview, noch immer nicht salonfähig.

Die Mutter managt die Familie, Papa die Geschäfte
"Klare Rollenbilder versprechen Sicherheit", begründet die deutsche Politikwissenschafterin Regina Frey die Retro-Welle im "Spiegel". Deswegen haben in Krisensituationen antiquierte Lebenskonzepte besonders viel Rückenwind. Ganz klar: Die Mutter managt das Unternehmen Familie, Papa die verbliebenen Geschäfte.

Wenn Vati später dann mit 55 im Würgegriff einer Vergänglichkeitskrise mit der Pilatestrainerin durchbrennt, sieht es für die Teilzeitverdienerinnen voll verheerend aus, denn beim Pensionsantritt können Frauen im Schnitt 7,5 Erwerbsjahre weniger vorweisen, was vielen das Abrutschen in die Altersarmut beschert. Doch wer denkt denn daran, wenn man gemeinsam mit anderen Bugaboo-Mamis beim Latte mit Sojamilch in den Cafés am Prenzlauer Berg oder dem Karmelitermarkt nicht arbeiten muss.

Die US-Frauenforschungsorganisation Catalyst prognostiziert den geschlechtlichen Gleichstand in Führungspositionen schon in 40 Jahren - allerdings getrübt durch den Hinweis, dass die meisten dieser Frauen kinderlos und alkoholabhängig sein werden.

Darauf trinke ich - ausnahmsweise - einmal nicht.

 

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Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort