Ein Dauerfernseher kommt selten allein: Zivan Pajkanovic (Mitte) mit seinen Mitstreitern beim Weltrekord

Fernsehen, bis der Arzt kommt

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In der Auslage des Einrichtungshauses Leiner auf der Wiener Mariahilfer Straße stehen fünf Fernsehsessel. Zivan Pajkanovic nimmt in einem in der Mitte Platz. Der 23jährige Informatikstudent wirkt nicht wie der klassische Couchpotato, sondern sieht nach Zweitwohnsitz im Fitnesscenter aus. Immer wieder bleiben Menschen am Schaufenster stehen und drücken sich die Nasen an der Scheibe platt.

In den nächsten 92 Stunden wird diese Auslage zum Menschenzoo. Die Kandidaten, alle zwischen 19 und 24 Jahren, bis auf einen Angestellten durchwegs Studenten, nehmen diese Tortur von Schlafentzug für einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde auf sich. Es gilt die Schirmherrschaft von fünf Kanadiern zu brechen, die in Toronto 91 Stunden Dauerfernsehen zuwege gebracht hatten. Das Team wird permanent von je zwei Zeugen, also insgesamt 10 Mann, überwacht, was dem Regelwerk der Rekordesammler entspricht. Das Betreuungsteam besteht aus Mitarbeitern des Veranstalters LG Electronics, die die Teilnehmer aus mehreren hundert Bewerbungen auserwählt hatten, und aus der Veranstaltung naturgemäß einen PR-Zirkus in eigener Sache stemmen. Eine offizielle Schiedsrichterin von Guinness World Records sieht erst am dritten Tag vorbei. Drei Mal werden an den Kandidaten ärztliche Tests durchgeführt: EKG- und Puls-Messungen sowie Reaktionsprüfungen.

In den ersten 24 Stunden sah Zivan noch ständig auf die große Digitaluhr. Er spürte jede einzelne Minute.

Vier Tage fast ohne Schlaf gilt in Militärdiktaturen bereits als anständige Foltermethode. Doch die Teilnehmer haben eine Mission, sie wollen ihre fünfzehn Minuten Ruhm in Form eines Eintrags im „Who is Who des Proletariats”, wie der britische „Guardian” einmal das Guinness-Buch der Rekorde bezeichnete, das in der Chart der ungeschützten Bestseller im 62. Jahr seines Bestehens nach der Bibel und dem Koran den dritten Platz bekleidet.

In den ersten 24 Stunden sah Zivan noch ständig auf die große Digitaluhr. Er spürte jede einzelne Minute.

„Die größte Herausforderung war, sich vier Tage lang auf nichts anderes zu konzentrieren“, erzählt Zivan. Dass er 92 Stunden lang kaum schlafen durfte, fiel ihm leichter. Daran war er gewohnt. Zwei Energydrinks und drei Tassen Kaffee reichten. Bei zwei Jobs im Supermarkt und einem Fitnesscenter neben einem Informatikstudium bleiben dem gebürtigen Schweizer mit bosnischen Wurzeln, der seit geraumer Zeit in Wien lebt, auch sonst im Schnitt nicht mehr als vier Stunden Schlaf.

Als Zivan Pajkanovic Ende Jänner auf den Facebook-Aufruf des Elektronikkonzerns LG gestossen war, zögerte er keine Sekunde, sich zu bewerben. Was für andere wie eine Attacke auf die eigene Lebenszeit wirken mag, war für Zivan die Erfüllung eines Jugendtraums. Im Alter von 15 Jahren glänzte ihm ein silberner Prachtband in einer Auslage entgegen. Sein Taschengeld ging damals für das Guinness-Buch der Rekorde komplett drauf. Es war sein erstes Buch, Zivan las nicht gern. Damals versprach er sich: „Eines Tages werde ich da auch drinnen stehen.”

Couch-Potato Zivan Pajkanovic vor dem Fernseher zuhause

Auch daran dachte Zivan, als er jeden Morgen während der Dauer-TV-Tortur kaum noch seine Augen offen halten konnte. Ab zehn Uhr war er wieder wie ausgewechselt: wach und motiviert. In den gesamten 92 Stunden gönnt er sich nur ein einstündiges Nickerchen am dritten Tag. Ein Mal am Tag ging er duschen, die restliche Pausenzeit von über drei Stunden ließ Zivan sogar verfallen. Jedem Teilnehmer standen fünf Minuten pro absolvierter Stunde zur Verfügung. Zivan begriff, dass er ja nicht einschlafen durfte. Nach seinem einzigen Nickerchen, war er völlig von der Spur und wusste er gerade noch seinen Namen. Er vergaß, warum er überhaupt in dieser Auslage vor einem Fernseher saß und begriff den Sinn der Veranstaltung nicht mehr.

Zivan hob schwerfällig die geballte linke Faust und lachte in die Kamera. Siegerfoto.

Die fünf Rekord-Sehnsüchtigen hatten zwei Fernseher mit Sky-Programmen und On-Demand Filmen zur Verfügung. Fast drei Staffeln „House of Cards“ flimmerten über den Bildschirm. Zivan zwang sich, sich in die Charaktere hinein zu versetzen.

Am vierten Tag sprangen die roten Zahlen der Digitaluhr auf 92:00. Jubel. Nadine Pauser, Johannes Spilka, Markus Waldl, Dominik Zeller und Zivan Pajkanovic waren Weltrekordhalter geworden. Zivan hob schwerfällig die geballte linke Faust und lachte in die Kamera. Siegerfoto. Vor dem Schaufenster ging Konfettiregen nieder, eine Traube an Fans mit Österreich-Fahnen hatte sich versammelt.

Erst durch die Medien erfuhren Zivans Freunde von dem Weltrekord. Eigentlich, sagt er, wäre er aber lieber in etwas anderem der beste: Er will eine Software entwickeln, etwas erfinden. „Im echten Leben möchte ich wirklich etwas erreichen“, sagt er, „mit dem Weltrekord habe ich nur den kleinen Zivan glücklich gemacht.”

Nach dem Marathon schlief er erstmal viel. Manchmal sogar - für ihn ungewöhnliche - acht Stunden. Am Morgen nach dem Rekord wollte er sich nach dem Aufwachen sofort wieder „topmotiviert” vor den Fernseher setzen. Seine Freundin brauchte eine ganze Weile, um ihm zu erklären, dass das gar nicht mehr notwendig war.