Finanz-Dominas und ihre Kunden: Vom Reiz, sich ausnehmen zu lassen
Von Sebastian Hofer
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Die Geldherrinnen sind schon früh auf den Beinen, das Geschäft schläft nicht. „Guten Morgen, Geldbörsen!“, schreibt Herrin Katerina. Was sie eigentlich meint: Her mit der Marie, ihr Idioten! Herrin Ophelia hat Lust auf Kaffee, also bestellt sie: „Kaffee!“ Kurz darauf sind fünf Euro via Paypal angewiesen. Absender? Egal, irgendein Loser. Goddess Emmi („born to ruin you“) ist gerade im Nagelstudio, also bitte: „Einer von euch Losern darf meine Nägel gleich übernehmen!“ Goddess Katharina („dominant, manipulierend, empathisch und gierig“) hat ein paar Wünsche online annonciert (Gucci-Sonnenbrille zu 300 Euro, Moët-Champagner à 220 Euro). Lady Vanessa („Pure Luxuslady“) macht zusammen mit Goddess Bella („Luxury Findom Goddess“) Ferien auf den Malediven, Urlaubsremuneration wäre fällig: „Ich werde mit deinem Konto spielen, während du einfach nur die Fresse hältst und ich die Anweisungen gebe! Logge dich ein – öffne dein Banking!“
Katharina, Bella, Vanessa und Kolleginnen sind Teil einer obskuren, aber erstaunlich weit verbreiteten Subkultur, die unter dem Jargonbegriff „Findom“ firmiert, was für „Financial Domination“ steht, auf Deutsch: Geldsklaverei. Es handelt sich um eine fast ausschließlich online betriebene Spielart von BDSM, bei der es – mit etlichen, teils atemberaubenden Varianten – im Wesentlichen darum geht, dass „Zahlschweine“ (auch „Zahldeppen“ oder „Geldsklaven“) dadurch erregt werden, dass sie ihren „Geldherrinnen“ (vulgo „Findommes“) die eigenen Finanzen zu Füßen legen – als regelmäßiger Tribut, fallweise Einmalzahlung oder im Extremfall auch im Rahmen einer kompletten Kontoaufgabe.
Es wird allerdings niemand zu einem Unglück gezwungen, Findom basiert auf wechselseitigem Einverständnis: Ein unterwürfiger Part lässt sich auf ein konsensuales S/M-Verhältnis mit einer Finanz-Domina ein, die ihn – es sind überwiegend Männer – im Rollenspiel mehr oder weniger ausnimmt.
Nacktheit oder typische Fetischkleidung sind nicht zwangsläufig Elemente dieses Spiels, können aber durchaus eine Rolle spielen. Es mangelt eben nicht an Varianten, aber der zentrale Fetisch, um den die Sache kreist, ist die finanzielle Macht: Die Findommes erklären ihren Sklaven, welche finanziellen Bedürfnisse gerade anstehen, stellen Wunschlisten in Onlinekaufhäusern zur Verfügung, lassen sich Urlaubs- oder Handtaschengeld anweisen oder bieten persönliche Kreditkarten-Sessions an, bei der die Geldherrin ihren Sklaven per Split-Screen daran teilhaben lässt, wie sie sein Konto abräumt. Tributzahlungen werden grundsätzlich ohne die Erwartung einer Gegenleistung abgeliefert, die Domina verlangt, meistens mit markigen Sprüchen garniert, schlicht die ihr zustehende Kohle. Abgewickelt wird das Geschäft über Bezahlapps wie PayPal oder Revolut, via Amazon-Gutschein oder auf Wunschlisten-Sites wie Wishtender oder Throne, die ein bisschen wie Crowdfunding-Plattformen funktionieren: Goddess Blair sammelt übrigens gerade für ihren Italienurlaub, liebe Unwürdige!
„Cash-and-go“
Es werden im Findom durchaus auch kleine Budgets angepeilt. Die Zahlung sollte dem Geldsklaven allerdings schon wehtun, aber wenn es nur zehn Euro sind anstatt der 1000, die andere überweisen können, soll es auch recht sein. In längerfristigen Verhältnissen können Findommes auch komplette Zahlungspläne erstellen und lustvoll an der Geldschraube drehen, indem sie ihren Sklaven zum Beispiel immer weniger Haushaltsgeld (von seinem eigenen Konto, klar) zugestehen. Eine beliebte Verschärfung ist die konsensuale Erpressung, bei der die Domina damit droht, den Fetisch ihres Kunden öffentlich zu machen. Dass die S/M-Dynamik fast ausschließlich online stattfindet, kann den Schmerz ebenfalls anheizen: Die Unnahbarkeit der Herrin, die jederzeit den Chat beenden kann, verstärkt den Reiz für die sich Unterwerfenden.
Die Findommes erklären ihren Sklaven, welche finanziellen Bedürfnisse gerade anstehen, stellen Wunschlisten in Onlinekaufhäusern zur Verfügung, lassen sich Urlaubs- oder Handtaschengeld anweisen oder bieten persönliche Kreditkarten-Sessions an, bei der die Geldherrin ihren Sklaven per Split-Screen daran teilhaben lässt, wie sie sein Konto abräumt.
Bela Blair (180.000 Follower auf TikTok) sagt dazu: „Zahlschweine sind wie Sugardaddies ohne Sugar. Alles, was sie von dir wollen, ist, dass du sie schikanierst, eine fiese Schlampe bist und ihnen all ihr Geld abknöpfst. Nur vielleicht, ganz selten, wollen sie einen großen Zeh sehen. Weiter geht es nicht.“
Wobei auch dies Verhandlungssache ist. Persönliche Begegnungen sind in der Szene nicht unerhört, etwa beim gemeinsamen Einkaufsbummel im Hochpreissegment oder bei der formlosen „Cash-and-Go“-Übergabe. Die Findomina „Gina“ erzählte dem Schweizer Magazin „Annabelle“ von einem solchen Kundenkontakt: „Letztens habe sie einen gut verdienenden Sklaven am Geldautomaten getroffen. Der habe 200 Euro abgehoben, sie ihr überreicht, woraufhin sie ihm einmal kräftig zwischen die Beine getreten habe. ,Er hat sich dann bedankt und ich bin nach Hause gegangen.‘“
Die sexuelle Aufladung von Kapital ist natürlich keine Erfindung der TikTok-Ära, die Attraktivität eines wohlgefüllten Kontos hat sich schon länger herumgesprochen. Der menschliche Selbstwert definiert sich nicht selten von der Habenseite her, und auch gesellschaftlicher Status lässt sich gut von der Bankverbindung ableiten. Die wahren Werte liegen im Inneren (von Bankschließfächern). In diesem Kontext ist die Auf- beziehungsweise Abgabe einer Kontovollmacht eine radikale Offenbarung. Man kann auch ohne Würde oder mit ein paar Striemen am Hintern leben, aber ohne Geld wird die Sache deutlich schwieriger. Der Geldsklave, der bis auf die sprichwörtliche Unterhose ausgezogen wird, ist tatsächlich so nackt, wie man heutzutage nur sein kann. Es tut weh, sich von seinem Geld zu trennen. Aber: Man kann das mögen.
„Okay, jetzt hol dir die Kohle“
In einem dreiminütigen TikTok-Video erklärt die australische Findomina „Theelizamonique“ die Eckpunkte ihres Gewerbes: 1. Du suchst keine Zahlschweine, die Zahlschweine finden dich. Sie sind überall. 2. Du musst dich nicht ausziehen, denn „das ist es nicht, was sie interessiert. Findom ist ein psychologischer Kink“. 3. Suche dir eine Domina-Persönlichkeit aus, die zu dir passt – hart oder weich, mehr auf Erniedrigung fokussiert „oder ziehst du Ignorieren vor?“ 4. „Okay, jetzt hol dir die Kohle.“
Der Geldsklave, der bis auf die sprichwörtliche Unterhose ausgezogen wird, ist tatsächlich so nackt, wie man heutzutage nur sein kann. Es tut weh, sich von seinem Geld zu trennen. Aber: Man kann das mögen.
Über die zahlenmäßige Verbreitung des Phänomens kann nur spekuliert werden, Social-Media-Recherchen zu den einschlägigen Hashtags zeigen ein dynamisches Bild, eine offenbar laufend wachsende Szene und viele Anbieterinnen, die neu im Geschäft sind. Verständlich. Es erscheint ja auch wie sehr leicht verdientes Geld. Die Schwelle zur Sexarbeit wird deutlich tiefergelegt, wenn es beim Chatten bleibt. Im Juni 2021 publizierten die britischen Autorinnen Rosey McCracken und Belinda Brooks-Gordon im Journal „Sexuality Research and Social Policy“ eine empirische Studie zum Komplex Findom. Ihre wesentlichen Ergebnisse: Für den größten Teil der Findommes ist diese Tätigkeit mehr Erwerbsarbeit als sexueller Lifestyle. Die Mehrheit der Kontakte ist rein textbasiert (per Posting oder Chatnachricht) und verläuft zwischen männlichen Geldsklaven und weiblichen Geldherrinnen. Und: Fast alle Findoms ziehen – freilich aus unterschiedlichen Gründen – klare Grenzen zwischen ihrer Domina-Persönlichkeit und ihrem Alltags-Ich. Wichtig sei diese emotionale Abgrenzung vor allem für jüngere, wenig BDSM-szenekundige Findommes. Eine Findomina wird in der Studie so zitiert: „Ich liebe, was ich mache. Ich biete ein wichtiges, dringend benötigtes Service an. Manchmal tun mir Sklaven leid, wenn ich mir sicher bin, dass sie eigentlich nur einen guten Freund und eine Umarmung bräuchten. Aber andere leben mit meiner Hilfe eine Fantasie aus, die vom Alltagsleben vollkommen abgetrennt ist. Und wenn die Arbeit getan ist, ist sie getan. Dann geht es zurück zum Bügeln.“
Die laufend auf den Markt drängenden, neuen „Insta-Findommes“ werden von Szeneveteraninnen im Übrigen nicht gern gesehen. Nicht nur, weil sie den Markt ruinieren, sondern weil sie als Trittbrettfahrerinnen mit mangelhafter Dominanzkompetenz das Gewerbe als Ganzes in Verruf bringen. Tatsächlich findet man auf Twitter und Instagram reihenweise eher halbherzig vorgetragene Dominanzversprechen, die mit der psychologischen Kunstfertigkeit einer Domina, die die (finanziellen) Schmerzgrenzen ihrer Kunden kennt und bearbeitet, wenig zu tun haben. Andererseits ist das Übervorteiltwerden ja auch in einer seriösen Findom-Beziehung part of the game, es ist ein bisschen wie ein Scam, der dem Opfer echte Freude bereitet.
„Geldgeil und gnadenlos“
In ihren Selbstdarstellungen und in Interviews berichten erstaunlich viele Findoms aber auch von einer zusätzlichen Motivation ihrer Tätigkeit. Es geht um eine real manifeste Ermächtigung: Findomina „Maria“ berichtete dem Londoner Magazin „Screenshot“: „Ich habe nie Schuldgefühle, weil ich Männern Geld abnehme. Ich habe in meinem Leben so viel sexuelle Belästigung und Aggression erlebt – so viele unerwünschte Dick-Pics. Ich betrachte es tatsächlich als Reparationszahlung des Patriarchats.“ Die „New York Times“ zitiert „Mistress Marley“ aus New York mit einem ähnlichen, dabei aber historisch grundierten Ansatz: „Ich, als Schwarze Frau, sehe meine finanziellen Einnahmen als Reparationszahlungen, weil die Mehrheit, wenn nicht alle meiner Klienten, weiße Männer sind.“ Herrin Neneh („geldgeil und gnadenlos“) pflegt auf X eine eher derbe Ansprache, wird aber zwischendurch ebenfalls politisch: „Welches Opfer hat diesen Monat noch keine Almansteuer abgedrückt? Als deutsche Fotze ist es deine Pflicht, diese Steuer zu entrichten und für die Schande deiner DNA aufzukommen!“
Die Findomina „Maria“ berichtete dem Londoner Magazin „Screenshot“: „Ich habe nie Schuldgefühle, weil ich Männern Geld abnehme. Ich habe in meinem Leben so viel sexuelle Belästigung und Aggression erlebt. Ich betrachte es als Reparationszahlung des Patriarchats.“
Letzte Frage: Wer lässt so mit sich umgehen? Die Geldsklaven-Population ist – aus nachvollziehbaren Gründen – noch schwieriger zu definieren als die der Geldherrinnen. Findommes berichten von einer großen Bandbreite, die Kundschaft reiche vom Geschäftsführer, der zum Ausgleich gerne die Kontrolle abgibt, bis zum lebenslang auf Unterwürfigkeit gepolten Schlucker.
„Heribert, ein 1,83 Meter großer, schwergewichtiger Mann mit Holzfällerhemd und Ring im linken Ohr, ist Beamter, war zweimal verheiratet und hat zwei Kinder.“ Und: Er ist ein leidenschaftlicher Geldsklave. Dem Magazin „Annabelle“ erzählte er, „dass es sich bei seiner Begeisterung der Entwürdigung nicht bloß um eine sehr ungewöhnliche Neigung handle. Da schwinge auch eine Kritik an traditionellen Geschlechterrollen mit“, denn: „Eigentlich leben wir doch immer noch in einer männerdominierten Welt. Und wenn du dann als Mann von einer Frau völlig kleingemacht wirst, dann hat das schon was.“ Heribert hat aber auch einen psychoanalytischen Zugang: „Er erklärt seine Vorliebe damit, dass er in der Kindheit viel gehänselt und von seinen Ehepartnerinnen ausgenutzt wurde. An das Gefühl der Erniedrigung habe er sich über die Jahre gewöhnt und es irgendwann geschafft, das Gefühl in etwas Lustvolles umzukehren.“
Sigmund Freud hätte es nicht schöner formulieren können. Wobei: Doch, er konnte. In seinem Aufsatz „Das ökonomische Problem des Masochismus“ schrieb Freud anno 1924: „Das Leiden selbst ist es, worauf es ankommt; ob es von einer geliebten oder gleichgültigen Person verhängt wird, spielt keine Rolle; es mag auch von unpersönlichen Mächten oder Verhältnissen verursacht sein, der richtige Masochist hält immer seine Wange hin, wo er Aussicht hat, einen Schlag zu bekommen.“
Sebastian Hofer
schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.