FK Austria Wien - Porträt eines verstörten Vereins
Die Veilchen lassen die Köpfe hängen: der Sportdirektor, der Trainer, die Spieler. Wenn die Fernsehkameras ihre Gesichter in Großaufnahme einfangen, zeichnet sich das ganze Dilemma des Vereins zwischen deren Stirnfalten, Augenringen und hängenden Mundwinkeln ab. Dort spielt sich ab, wie die Austria spielt. Ermüdend. Der Verein liegt kurz vor Meisterschaftsende auf dem siebten Tabellenplatz. Ein Fiasko für den Klub mit den - nach Red Bull Salzburg - zweithöchsten finanziellen Mitteln der Liga. Dabei ist der aussichtslose Tabellenplatz gar nicht das größte Problem des Vereins. Viel schwerer wiegt, dass die Austria, die einst den gepflegtesten Fußball des Landes spielte, keinen schönen Fußball mehr spielt. Noch schlimmer: Niemand weiß, für welchen Fußball sie heute überhaupt noch steht. Die Spieler laufen zwar Woche für Woche in kräftig-violetten Dressen aufs Feld, ihr Spiel bleibt aber farblos. Das musste zuletzt sogar ihr aktueller Trainer, Vereinslegende Andreas Ogris, einsehen: "Was wir heute geboten haben, war einer Austria nicht würdig." Nachsatz: "Ich kann im Moment gar nicht in Worte fassen, was in mir vorgeht." Möglicherweise ist genau das das Problem.
Der Abstieg ist ein ideeller, ein ästhetischer
Dies ist die Geschichte eines Abstiegs. Nicht im konkreten Sinn, denn zum Glück für den 24-fachen österreichischen Meister sind die Abstiegsränge 2014/15 an Wiener Neustadt und die Admira einigermaßen bombenfest vergeben. Der Abstieg ist ein ideeller, ein ästhetischer. Die Austria, Stammverein von Jahrhundertspielern wie Matthias Sindelar, Walter Nausch oder Herbert Prohaska, jahrzehntelang dem schönen Spiel verpflichtet, hat den Anschluss an die Gegenwart verloren. Sie weiß nicht mehr, wie zeitgemäßer Fußball funktioniert. Die Geschichte dieses Abstiegs führt über verzwickte Strukturen, inkompetentes Management und falsche Freunderl, erzählt also auch sehr viel über das Wesen des österreichischen Fußballbetriebs an sich. Und sie fängt bei den Allerjüngsten an.
Während Fußballprofessoren von Rangnick bis Ruttensteiner auf eine klare Vereins-Spielphilosophie schwören, die sich vom Nachwuchs bis zur Kampfmannschaft zieht, durfte bei der Austria jeder Trainer seine eigene Idee von Fußball mitbringen. Ein Zeitraffer durch die letzten vier Jahre: Karl Daxbacher ließ offensiv spielen, Ivica Vastic defensiv, Peter Stöger kontrolliert offensiv, Nenad Bjelica defensiv, Herbert Gager musste vor einem Jahr bei null beginnen. Gerald Baumgartner wollte Angriffspressing spielen, der interimistisch bestellte Andi Ogris hat aktuell den Auftrag, den Schaden möglichst klein zu halten. Egal wie. In den letzten vier Jahren wechselte die Austria sechsmal ihren Trainer. Sie wechselte aber auch sechsmal ihre Idee, wie der Verein Fußball spielen will. Die Spieler wirken auf dem Platz nicht erst seit Kurzem verwirrt.
Das Wichtigste ist, dass wir drei Punkte machen. Wie wir die machen, ist im Prinzip wurscht
Vor dieser Saison verkündeten die Austria-Verantwortlichen: Wir haben eine Philosophie gefunden. Wir wollen jetzt wie Dortmund spielen. Aber die Austria spielte nicht wie Dortmund. Man könne mit den vorhandenen Spielern nicht wie Dortmund spielen, hieß es, ehe man den Trainer schasste. Der derzeitige Coach Andreas Ogris, ein ehemaliger Austria-Stürmer, der bislang nie in der obersten Liga trainiert hatte, erklärte zuletzt: "Das Wichtigste ist, dass wir drei Punkte machen. Wie wir die machen, ist im Prinzip wurscht." Die Suche nach der eigenen Identität ist bei der Wurschtigkeit angekommen.
Dabei hätte alles ganz anders kommen sollen. Der Verein wollte vor acht Jahren einen Gegenpol zur Ära des Frank Stronach setzen. Jenem Milliardär, der die Austria jahrelang mit Geld vollgepumpt, dann aber die Lust an seinem Spielzeug verloren hatte. In seiner Amtszeit überreichte Stronach violetten Trainern recht rasch den blauen Brief. Walter Schachner wurde als Tabellenführer abgelöst, dem heutigen Weltmeistertrainer Jogi Löw warf der Magna-Mann taktische Mängel vor. Als Stronach den Klub verließ, wollte der neu gewählte Präsident Wolfgang Katzian alles anders machen -und mit Trainern langfristig arbeiten. "Ich bin ein Mensch der Kontinuität", sagt er. Aktuelle Bilanz seiner Ära: acht Jahre, zehn Trainer.
"Wichtigstes Hobby"
Katzian ist in seinem Zivilberuf Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten. Die Austria bezeichnet er als sein "wichtigstes Hobby". Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, Vorsitzender des Vereins-Kuratoriums, fragte seinen Parteifreund vor acht Jahren, ob er Präsident werden will, denn: "Ich brauche Leute, die hingreifen und nicht nur blöd reden." Katzian musste nicht lange überlegen. Er ist seit Bubentagen Austrianer. Schnell war klar: Man wollte nicht mehr von einem Großsponsor wie Stronachs Magna abhängig sein. Der Verein wurde zur Aktiengesellschaft umgewandelt und setzte auf Kleinsponsoren. In den Austria-Gremien saßen Gewerkschafter Katzian, Bürgermeister Häupl, der ehemalige SPÖ-Innenminister Karl Blecha. Kontakte in die Wirtschaft waren schnell hergestellt. Heute hat der Verein über hundert Einzelsponsoren.
Nach Stronachs Abgang musste die Austria schnell viel Geld aufstellen. Jenen Sponsoren, die das meiste Geld lockermachten, bot man ein Zuckerl an. Fünf Plätze im Aufsichtsrat für die fünf potentesten Geldgeber. Sprich: Fünf Sponsoren -T-Mobile, Rewe, Verbund, Soravia, Generali -dürfen mitentscheiden, wenn es spannend wird. Wenn ein Trainer gesucht wird, ein neuer sportlicher Leiter, ein Wirtschafts-Vorstand. "Die Sponsoren sehen, was mit ihrem Geld passiert, und reden natürlich auch mit, wie das Geld ausgegeben wird", sagt Katzian.
Was so klar klingt, kann aber schnell zum Interessenskonflikt werden. Im Sommer 2010 kam Ivica Vastic als Trainer zur Amateurmannschaft der Austria. Der ehemalige Teamspieler war zu dem Zeitpunkt das Werbegesicht des Heiz- und Klimatechnik-Unternehmens Harreither. Dieses hat zwar kein Mandat im Aufsichtsrat, fungiert aber als "Premium Partner" der Austria - und startete in jenem Sommer eine Werbe-Offensive mit Vastic, der im Winter 2011 überraschend zum Trainer der Kampfmannschaft avancierte. Der Verwaltungsrats-Vorsitzende Karl Blecha sagt heute: "Bei der Bestellung ist man natürlich erfreut, wenn ein Sponsor einen Spieler, der mit der Austria eng verbunden war, vorschlägt. Aber das wird genau geprüft. Nur weil der Herr Harreither gesagt hat: Ich zahl euch den, wurde er es nicht." Präsident Katzian und Wirtschafts-Vorstand Markus Kraetschmer bestreiten bis heute, dass es einen Einfluss des Sponsors auf die Trainerentscheidung gegeben hat. Vastic war ein halbes Jahr Trainer der Kampfmannschaft. Die Austria spielte schlecht, Vastic musste gehen. Kurz darauf wechselte er zum unterklassigen SV Gaflenz. Der dortige Vereins-Sponsor: Harreither.
Viele Interessen prallen aufeinander
Es sind Episoden wie diese, die beschreiben, warum die Austria ihre Trainer wie Unterhosen wechselt. Viele Interessen prallen aufeinander, dazu wurden die Kompetenzen der Spielleiter selten ausreichend durchleuchtet. Der damalige Sportdirektor Thomas Parits sagte nach der Vastic-Ablöse lapidar: "Wir wussten nicht, dass der Ivo defensiv spielen lassen will." Man hatte ihn schlichtweg nicht danach gefragt. Nenad Bjelica wurde nach einem Gespräch verpflichtet, auch bei Gerald Baumgartner musste alles schnell gehen. "Wir standen unter einem gewissen Zeitdruck", erklärt man bei der Austria. Bjelica war aufbrausend, Baumgartner unkommunikativ. Im Verein zeigte man sich überrascht. Beide Trainer blieben nur wenige Monate. "Es ist sicher der eine oder andere Fehler passiert", sagt Wirtschafts-Vorstand Kraetschmer heute.
Thomas Parits, der lange die sportliche Richtung steuerte, ist ein schlanker, eleganter Mann, der ein wenig so wirkt, als sei er aus der Zeit gefallen. Parits, Burgenländer, Austria-Legende, vormals Tankstellen-Besitzer, hatte ein gutes Händchen bei Spielereinkäufen. Aber eine Philosophie, eine Grundidee, wie die Mannschaft Fußball spielen soll, konnte er als sportlicher Leiter nicht entwickeln. Dabei ist Philosophie das Zauberwort der Zeit. Der Sportdirektor des ÖFB, Willi Ruttensteiner, sagt: "Der Verein muss seine Identität, seine Philosophie haben, und dazu hole ich Leute, die das ausführen. Wenn sie es anders machen, ist der Verein bei jedem Trainerwechsel am Boden."
Die Austria beginnt jede Saison wieder bei null
So geht es der Wiener Austria schon länger. Sie beginnt jede Saison wieder bei null. Dabei wurde sie unter Peter Stöger vor drei Saisonen noch Meister und spielte in der Champions League. Es war die Saison, die zeigte, dass alles ganz anders sein könnte, als es derzeit ist. Aber Stöger wechselte mit seinem Assistenten Manfred Schmid in die Deutsche Bundesliga. Schmid sagt: "Die Austria hätte den Weg, den wir eingeschlagen haben, einfach weitergehen müssen." Aber die Austria bog ab.
Nach der Pensionierung des 68-jährigen Parits fungiert seit Jänner Franz Wohlfahrt als Austria-Sportdirektor. Er, der ehemalige Austria-Tormann, soll für den Verein endlich die langersehnte Identität entwickeln. Um den idealen Sportchef zu finden, hatte Präsident Katzian sogar eine Task-Force gegründet, die monatelang auf die Suche ging und in der Blecha, Häupl, Sponsor-Vertreter Johannes Sereinig (Verbund AG), Dortmund-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke oder Austria-Legende Prohaska saßen. Letzterer empfahl der Austria seinen langjährigen Spezi Franz Wohlfahrt.
Doch je mehr Klarheit der neue Sportdirektor bringen sollte, desto mehr Unklarheit brachte er. Präsident Katzian: "Franz Wohlfahrt hat ein klares Konzept vorgelegt." Wohlfahrt: "Ich habe präsentiert, dass ich Zeit brauche, um klare Konzepte zu erstellen." Katzian: "Er steht für ballbesitzorientierten Fußball." Wohlfahrt: "Das ist eine Floskel." Weiters erzählte Wohlfahrt, dass die Austria bereits im Sommer, noch bevor die Task-Force zusammentraf, Kontakt mit ihm aufgenommen hatte. Später sprach er von Spätherbst.
Franz Wohlfahrt ist Mitglied des 2012 gegründeten Legendenklubs des Vereins. Auch Herbert Prohaska, Andreas Ogris oder Robert Sara gehören zu dem illustren Zirkel. Während Stronach die Ikonen vergrämte, holte Katzian sie Schritt für Schritt zurück. Heute werden sie wieder um ihre Meinung gefragt. Wohlfahrt wurde Sportdirektor, Ogris Trainer, Robert Sara Co-Trainer der Kampfmannschaft. Von Freunderlwirtschaft will Wohlfahrt aber nicht sprechen. "Wenn die Anforderungsprofile erfüllt oder gleich sind, dann werde ich immer jemanden nehmen, dem ich vertraue." Wer die anderen Kandidaten für die Posten waren, verrät der Verein nicht. Auch das Anforderungsprofil für den Sportdirektor blieb geheim. Der Verwaltungsrats-Vorsitzende Karl Blecha verrät nur so viel: "Man verlangt natürlich alle möglichen Kenntnisse. Darunter Deutsch in Wort und Schrift, eine Fremdsprache, und er muss Erfahrung im Fußballbetrieb haben -als Spieler, Trainer oder Funktionär."
"Die Überphilosophie ist, dass ich keine fixe Philosophie habe"
Am Stiegenaufgang zu Wohlfahrts Büro hängt die Legendengalerie des Vereins. Ein Foto zeigt auch den ehemaligen Austria-Goalie. Eine ausgetüftelte Philosophie hängt nicht daneben. Wohlfahrt betonte zuerst, dass er Zeit brauche dafür. Er sagte aber auch: "Die Überphilosophie ist, dass ich keine fixe Philosophie habe." Kürzlich saß Wohlfahrt im "Sky"-Studio. Alfred Tatar, ein Trainer und TV-Experte , wollte von ihm wissen, welche Richtung die Austria einschlagen werde. Wohlfahrt schien unvorbereitet: "Wenn ich es jetzt beantworten will, dann würde ich es natürlich beantworten", sagte er. Und: "Man muss aber nicht immer alles beantworten, was man gefragt wird, das ist halt einmal so."
Als Sportdirektor fehlt Franz Wohlfahrt jede Erfahrung. Bislang war er Trainer in Schwadorf, Baden, Wiener Neudorf und Wulkaprodersdorf. Seine wichtigste Karrierestation: Tormanntrainer und Ausbildner beim ÖFB. Seine wichtigste Entscheidung bei der Austria: Er setzte seinen langjährigen Spezi Andreas Ogris auf den Trainerstuhl. Die Legenden von gestern führen den Verein von heute. In seinen ersten vier Meisterschaftspartien gelang Ogris kein Sieg. "Es muss eine härtere Gangart geben. Man kann die Spieler nicht immer nur streicheln", sagte Wohlfahrt nach der letzten Pleite in Altach. Er wirkt entschlossen, wenn er das sagt. Aber auch irgendwie hilflos. Wohlfahrt hat laut Vertrag drei Jahre Zeit, um das zu ändern. Aktuell sucht er einen neuen Cheftrainer. Und neue Spieler. Wohlfahrt, der eines der Gesichter einer erfolgreichen Austria-Ära war, muss jetzt dem Verein selbst ein Gesicht geben. Wohlfahrt sagt: Eine Philosophie zu entwickeln, braucht Zeit. Er sagt aber auch: Er will keine "sture Philosophie", er will sich nach dem Gegner richten, aber auch "unser Spiel spielen". Eines sagt Sportdirektor Wohlfahrt nie: Was "unser Spiel", was das Austria-Spiel denn eigentlich sein soll.