Fleischer Zotter in Wien – exklusiv und am Zeitgeist vorbei
Dass es um das heimische Fleischerhandwerk nicht gerade gut bestellt ist, kann man anhand der Großstadt Wien durchexerzieren: Mit Christoph Hödl gibt es in der Breitenfurter Straße im 23. Bezirk gerade noch einen Wiener Fleischhauer, der selbst schlachtet (Empfehlung an dieser Stelle).
Seit 1. Juni – aktuell noch im Soft Opening, ab 29. Juni dann richtig – versucht nun ein Metzger aus der Steiermark sein Glück in der großen fremden Stadt. Den Familienbetrieb Zotter gibt es schon seit 1931, laut Eigenangaben kennt man jedes Tier, das man schlachtet, persönlich. Am Wiener Graben sollen Susi, Heidi und Bella nun also ans Sushi-verwöhnte Großstadtpublikum herangeführt werden – in einem gehobenen Imbiss für Fleischanbeter. Auf Instagram inszeniert man sich jedenfalls derart elitär und exklusiv, als würde bei Zotter selbst das T-Bone-Steak mit der Pinzette auf den Teller gehievt werden, während die Kundschaft sich mit Crémant zudröhnt.
In dem von außen unscheinbaren Geschäft gibt es dann auch weder Wursttheke noch Fleischwolf, dafür aber den Koch Richard Stoklassa, der persönlich durch den Abend führt. Trotzdem weiß man erst mal nicht so genau, was man hier eigentlich soll, so zwischen Weinschrank, vakuumiertem Fleisch und „Voyage“-Kaviar.
Auf Barhockern und mit güldenem Besteck verzehrt man dann ein erstaunlich am Boden gebliebenes Roastbeef (Bild ganz oben). Es wurde sous-vide gegart, Röstaromen fehlen, die Fleischscheibe ist von mutiger Stärke. Zum Glück, in dieser Qualitätsliga kann man sich das schon trauen. Ein paar Salzflocken werden darübergestreut, die à part servierten Gurken sind hausgemacht und schmecken angenehm nach Senf.
Das Vitello tonnato (Bild oben) ist ebenfalls gelungen. Die Thunfischcreme wurde zurückhaltend abgeschmeckt und harmoniert deshalb hervorragend mit dem Kalbfleisch. Den Wumms bringen die Beilagen: Die Anchovis stammen aus Spanien von der eher höherpreisigen Marke „El Capricho“. Sie haben nichts gemein mit den salzigen Dingern aus den Supermarkt-Einmachgläsern, sind viel milder und von buttriger Textur. Stoklassa liebt sie – und zündet sie trotzdem mit dem Bunsenbrenner an. Sieht gut aus, notwendig ist es sehr wahrscheinlich nicht.
Der Hauptdarsteller dieses Abends ist aber das Dreierlei vom Beef Tatar (Bild oben). Die Varianten „Klassisch“, „Spicy“ und „Asiatisch“ verheißen auf den ersten Blick gepflegte Langeweile, aber das erweist sich als vorschnelle Fehleinschätzung. Zum klassischen Beef Tatar kommen getrocknetes Eigelb und Kresse, die Spicy-Variante ist nicht einfach nur scharf gewürzt, sondern mit Sriracha-Sauce auf heiß gedreht, die aber so geschickt dosiert wird, dass der Geschmack des sehr zarten Fleisches immer präsent bleibt. Ein bisschen Zitrone kitzelt die Geschmacksknospen. Am meisten überrascht dann aber die asiatische Abwandlung – sie ist beinahe süß und erweist sich als Umami-Bombe. Stoklassa hat nicht bloß Wasabi unters Beef gemischt und Sauerrahm darübergeklatscht, nein, er hält das Gericht mit Hoisin-Sauce zusammen. Dazu kommt noch eine Wasabi-Majo, die nach Rettich schmeckt, aber gekonnt dessen Schärfe ignoriert. Dass Fisch und Fleisch sehr gut zueinanderpassen können, beweisen die aus Thunfisch gewonnenen Bonitoflocken obendrauf. Selten so ein gutes Tatar gegessen.
Aber auch wenn das Fleisch bei Zotters auf höchstem Niveau zum Gast kommt, bleibt immer noch die Frage, ob der Gast auch zum Zotter’schen Fleisch kommt. So richtig in den Zeitgeist passt das Ganze nämlich nicht, und das Konzept erscheint zudem (noch) ungewohnt. Georg Danzer hätte es hier sicher nur so mittelgut gefallen – den Leberkas ausm (hygienisch einwandfreien) Zeitungspapier bekommt man dann aber eh beim Hödl.
Stimmung: pseudoelitärer Imbiss mit tollem Essen und perfektem Service
Empfehlung: nicht schüchtern sein und sich vom Koch alles erklären lassen
Preisverhältnis: Roastbeef 20 Euro, Vitello tonnato 23 Euro, Beef Tatar 25 Euro
Zotter am Graben, Bräunerstraße 2, 1010 Wien, zotteramgraben.at