Fortnite: Was steckt hinter dem Hype um Battle-Royale-Spiele?
Wenn sich das Auge des Sturm schließt, wird es im Kinderzimmer ungemütlich. Das Spielfeld wird immer kleiner, Gewehrsalven zischen durch die Luft, gegnerische Schützen lauern hinter jedem noch so kleinen Felsvorsprung – und dann kann es sehr schnell gehen. Du oder ich: Wer zuerst trifft, ist meistens nur eine Frage von Sekunden. Blut fließt im Fortnite-Universum aber keines: Besiegte Gegenspieler verschwinden einfach in einem blauen Lichtkegel.
Das Spielprinzip bei aktuellen Battle-Royale-Spielen wie Fortnite ist denkbar einfach: Hundert Spieler lassen sich über einer dystopischen Insel aus einem fliegenden Bus abwerfen und kämpfen so lange gegeneinander, bis nur noch einer übrig ist. Kill or be killed. Anfangs sucht man in verlassenen Häusern nach Waffen, Munition und Ausrüstung. Aus Baumaterialen lassen sich Brücken und Verteidigungsanlagen bauen. Spielen kann man die Online-Variante von Fortnite entweder als Einzelkämpfer oder mit bis zu drei Mitspielern. Verbunden ist man mit seinen Gefährten, seinem Squad, via Headset.
250 Millionen registrierte Spieler hat Fortnite aktuell – und das in einem hart umkämpften Videospielmarkt. Das US-Magazin „The New Yorker“ beschrieb den Fortnite-Hype als eine Mischung aus Beatlemania, der Opioidkrise und der Tide Pod Challenge, bei der sich Jugendliche gegenseitig anstachelten, in bunte Waschmittel-Tabs zu beißen.
Daniel Heinz, Sozialpädagoge vom deutschen Spieleratgeber NRW in Köln, spricht im profil-Interview über Videospiele als Teil der Popkultur, virtuelle Proberäume für Heranwachsende und warum man Online-Skins mit modischen Sneakern vergleichen kann.
profil: Herr Heinz, Team-orientierte Videospiele sind nicht erst seit Fortnite populär. Was macht den Reiz aktueller Battle-Royale-Spiele aus? Heinz: Der Trend ist tatsächlich nicht neu. Man muss nur an „Counter-Strike“ oder ähnliche Multiplayer-Shooter denken. Der Team-orientierte Wettbewerb, in dem man sich gegen andere durchsetzen muss, kommt erfahrungsgemäß vor allem bei jungen Menschen sehr gut an.
profil: Warum sticht Fortnite bei der Fülle an Videospielen so heraus? Heinz: Das hat mehrere Faktoren: Einerseits ist die Battle-Royale-Variante kostenlos, ist auf weitverbreiteten Mobilgeräten verfügbar und hat einen ansprechenden Comic-Look. Jugendliche haben das Gefühl, dass es für sie endlich ein Spiel gibt, das sonst nur die Großen spielen dürfen. Plötzlich passiert so ein jugendkulturelles Phänomen – und jeder spricht darüber. Als Jugendlicher will man am Schulhof und bei den Freunden natürlich mitreden können. Wenn das Spiel zu Hause von den Eltern verboten wird, führt das ganz schnell zu Konflikten.
profil: Bei Fortnite laden 100 Spieler auf einer Insel und der, der als letzter überlebt, hat gewonnen. Wie wichtig ist der Reiz, die Eltern zu schocken? Heinz: Natürlich gibt es ein Abgrenzungsbedürfnis zu den Eltern. Viel wichtiger aber scheint es zu sein, dass alle Freunde spielen. In Videospielen wie Fortnite steckt ganz viel drin, was in der jugendlichen Lebenswelt wichtig ist. Man muss sich durchsetzen, kann Macht und Stärke demonstrieren und beweist sich in Konfliktsituationen – und Jungs können ihren Mann stehen. Vieles was zur Entwicklung von Kindern zu Erwachsenen dazugehört, spiegelt sich in Fortnite wider – und Jugendliche können sich in solchen virtuellen Proberäumen in unterschiedlichen Rollen ausprobieren.
profil: Ist Fortnite für Jugendliche geeignet? Heinz: Lange Zeit hatte sich die Meinung verfestigt, dass Fortnite bereits ab zwölf Jahren freigegeben ist. Das war aber ein Irrtum. Der beliebte Online-Modus, die Battle-Royale-Variante, ist erst ab 16 Jahren empfohlen.
profil: Wie sieht es bei Fortnite mit dem Geschlechterverhältnis aus? Heinz: Währen die meisten Actionspiele eher Burschen ansprechen, weil sie dort stereotype Rollenbilder vorfinden, spielen bei „Fortnite“ überraschend viele Mädchen. Das liegt auch an den geringen Zugangsbarrieren. Jeder, der eine Konsole, ein Smartphone oder einen Computer hat, kann es gratis einfach mal ausprobieren.
profil: Was trägt ein Videospiel wie Fortnite zur Sozialisierung junger Menschen bei? Heinz: Das Spiel ist manchmal nur ein Vehikel, gemeinsam mit Freunden Zeit zu verbringen. Man spricht über die Headsets auch über andere Themen und Probleme des Alltags. Gemeinsame Hobbys zu haben, sich am Wochenende zum gemeinsamen Zocken zu treffen, ist für Jugendlichen sehr wichtig. Der Online-Modus hat das gemeinsame Spielen viel einfacher gemacht.
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profil: Birgt das Belohnungssystem dieser Spiele – man steigt in neue Levels auf, bekommt Abzeichen und Gimmicks – ein Suchtpotenzial? Heinz: Es ist sehr reizvoll, sich digitale Erfolgserlebnisse zu holen. Wenn ich Frust in der Schule hat, kann ich mich am Abend mit der Konsole ablenken. Problematisch wird es dann, wenn der Spielerfolg eine so hohe Bedeutung einnimmt, dass es Auswirkungen auf das Sozialleben hat.
profil: Bei Fortnite geht es nicht nur um gegenseitiges Abballern – man baut sich sein virtuelles Ich, kleidet seinen Avatar ein, kann Tänze aufführen. Trägt das zur Popkulturwerdung bei? Heinz: Klar, das Spiel ist Teil der Popkultur – und des gesellschaftlichen Diskurses. Der französische Stürmerstar Antoine Griezmann hat bei der letzten Weltmeisterschaft im Finale einen Fortnite-Tanz aufgeführt. Ältere Zuseher wussten nicht, was hier überhaupt los war. Auf der anderen Seite fördert das unter Fortnite-Spielern eine Art Zugehörigkeitsgefühl. Man kennt sich aus, gehört zum Kreis der Wissenden. In der Jugendarbeit fällt auf, dass sich Burschen ganz begeistert zu Fortnite-Tanzworkshops anmelden – um dort die Tänze einzustudieren. Das ist schon ein Phänomen.
profil: In Fortnite lassen sich sogenannte Skins, also optische Individualisierungen von Charakteren und Waffen, gegen echtes Geld kaufen. Diese Skins haben keinen Einfluss auf das Spiel. Warum geben Jugendliche dafür Geld aus? Heinz: Stimmt, im Prinzip bringen diese Skins keine spielerischen Vorteile. Diese optischen Verschönerungen sind aber total angesagt, weil sie einen gewissen Status bringen. Mitspieler sehen die Skins und denken sich: Das will ich auch haben.
profil: Als Mittdreißiger-Gelegenheitsspieler würde ich nie auf die Idee kommen, Geld für rein optische Verschönerungen auszugeben … Heinz: … weil Sie wahrscheinlich auch nicht die Community haben, die das gut findet. Man kann das ganz gut mit dem Kauf von angesagten Sneakern vergleichen. Man kauft die nicht nur für sich, sondern auch für das Gegenüber, für Freunde, die man beeindrucken möchte. Dieser Statusgewinn findet durch sozialen Austausch statt.
Nur wenn ich das Videospiel verstehe, kann ich als Elternteil zu Hause auch gute Medienregeln aufstellen.
profil: Was sagen Sie Eltern, die das nicht verstehen können? Heinz: Wenn den Jugendlichen diese In-Game-Käufe wichtig sind, dann sollen die Eltern ein monatliches Budget, wie ein Taschengeld, vorgeben. Wie man mit Geld umgeht, müssen sie ohnehin lernen. Ob sie sich jetzt ein Spielzeug oder einen Skin bei Fortnite kaufen, sollte eigentlich egal sein.
profil: Wenn Eltern von Spielen wie Fortnite verunsichert sind, sollen sie dann einfach mal mitspielen? Heinz: Das Mitspielen ist immer der beliebteste Pädagogentipp. Natürlich soll man sich für das Kind interessieren. Nur wenn ich das Videospiel verstehe, kann ich als Elternteil zu Hause auch gute Medienregeln aufstellen.
profil: Auffallend ist, wie schwer man sich als erwachsener Spieler bei diesen Battle-Royale-Spielen tut. Trainieren die Jugendlichen mehr? Fehlen einem Erwachsenen die kognitiven Fähigkeiten? Heinz: Studien zeigen, dass man ab 25 Jahren als professioneller E-Sportler keine Chance mehr hat. Ab 20 Jahren nehmen die motorischen und kognitiven Fähigkeiten ab – die Reaktionsfähigkeit verschlechtert sich. Die Jugendlichen beschäftigen sich aber nicht nur mit dem Videospiel allein, sie schauen sich auf auf Streaming-Portalen wie Twitch Streams anderer Gamer an, sie bilden sich mit Tutorials weiter, sie unterhalten sich am Schulhof und üben gemeinsam mit Freunden. Für viele Gamer gibt es aktuell nur Fortnite, die schauen sich keine TV-Serien oder Filme an.
profil: Stichwort Videospiel-Streams: Wie erklären Sie sich die Popularität von Plattformen wie Twitch? Heinz: Ich vergleiche das gerne mit einem guten Fußballspiel im Fernsehen. Da spielen die Erwachsenen auch nicht selbst, sondern schauen anderen Spielern beim Kicken zu. Bei Videospielen kann ich zusätzlich mit den Streamern in Aktion treten – man durchbricht die vierte Wand des Zuschauens und nimmt selbst am Spielgeschehen teil. Das hat wieder viel mit der Community, einem Zusammengehörigkeitsgefühl zu tun.
profil: Sind Starspieler wie der US-amerikanische Gamer Ninja die Popstars einer jungen Generation? Heinz: Auf jeden Fall. Diese Influencer sind wie die Pop- und Fernsehstars vergangener Tage. Was diese Gamer sagen, hat innerhalb der Community ein großes Gewicht. Das Fehlen herkömmlicher Kontrollinstanzen macht das durchaus gefährlich. In der Vergangenheit kam es immer wieder dazu, dass sich manche Streamer problematisch geäußert haben. Diese Spieler haben eine Vorbildfunktion, die sie auch wahrnehmen müssen.
profil: Auf der anderen Seite suchen Künstler, die nicht aus dem Gaming-Universum kommen, neue Fans in den Videospielen. Der US-Hitproduzent DJ Marshmello spielte erst kürzlich ein In-Game-Konzert vor 10 Millionen Fortnite-Spielern. Ist das der logische Weg? Heinz: Früher waren die Jugendkulturen stark abgegrenzt. Es gab die Punks, die Metal-Fans, die Skater und so weiter. Heute haben Heranwachsende eine vage Bastelbiografie und nehmen sich aus den unterschiedlichen Jugendkulturen das heraus, was ihnen gefällt. Das findet sich natürlich auf den Jugendplattformen wieder.
profil: Werden Spiele wie Fortnite die sozialen Netzwerke ablösen? Heinz: Ich weiß nicht, ob es Fortnite sein wird, aber solche Verschmelzungen aus Avatar und sozialem Netzwerk, wo ich mit meiner virtuellen Spielfigur in der digitalen Welt präsent bin, wird es sicher bald geben. Das führt schnell zu problematischen Aspekten – auch bei Fortnite mussten bereits Straftaten wie Erpressungen oder Stalking nachgegangen werden, die man sonst nur aus den sozialen Netzwerken kennt.
profil: Wie kann man sich das vorstellen? Heinz: Zu toxic behavior, einem giftigen Verhalten innerhalb der Community, kann es immer kommen, wenn Menschen miteinander agieren. Man wird zum Beispiel beschimpft oder beleidigt, wenn man schlecht gespielt hat. Frauen haben es in den Gaming-Communities zudem immer noch schwer, da sie oft herablassend behandelt werden. Diesen sozialen Herausforderungen muss man sich stellen.
profil: Nach den rechtsterroristischen Anschlägen von Christchurch wird wieder über den Zusammenhang solcher Taten zu Videospielen debattiert. Welchen Einfluss haben die Spiele auf Gewalttaten? Heinz: Wissenschaftlich belegt ist, dass es keinen monokausalen Zusammenhang zwischen solchen Attentaten und einem Videospiel gibt. Eine gewisse Wirkung hat Mediengewalt aber immer. Vor allem gefährdungsgeneigte Jugendliche, die schon einer gewissen Gewaltfaszination nachhängen, reagieren auf Gewaltbilder anders als der herkömmliche Spieler. Dazu kommt, dass man bei gewissen Tätern in der Vergangenheit im Nachhinein auch gewalthaltige Spiele gefunden hat. Da muss man sich fragen, was war zuerst da: Die Gewaltfaszination oder das Videospiel?
profil: Warum muss in Spielen so oft getötet werden? Heinz: Das Töten ist eine Metapher des Gewinnens. Es hat zudem den Reiz des Verbotenen. Ich darf im Spiel etwas machen, was ich im realen Leben niemals machen würde. Was früher vielleicht Horrorfilme waren, die man gesehen haben musste, das sind heute eben gewisse Videospiele.
Zur Person:
Daniel Heinz, Jahrgang 1978, ist Sozialpädagoge, Medien-Spiel-Pädagoge und Projektleiter beim Spieleratgeber-NRW der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW. Heinz ist außerdem Referent bei der „Initiative Eltern und Medien“ sowie den „Medienscouts NRW“ und Jugendschutzsachverständiger bei der Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK).