„Franz Antel ist kein Einzelfall“
Es ist Donnerstagnachmittag, ein Tag vor Redaktionsschluss. Vor dem Café Goldegg, einem typischen Wiener Kaffeehaus in der Argentinierstraße im 4. Bezirk, wartet jene Frau, ohne die das aktuelle profil Cover ganz anders aussehen würde. Darauf abgebildet: Die Regie-Legende Franz Antel, ein Mann, der mit Peter Alexander und Udo Jürgens Filme gedreht hat. Und zwei Jahre vor dem Anschluss 1938 als „politischer Flüchtling” nach Hitler-Deutschland auswanderte, um seine Regiekarriere voran zu treiben.
Als Antel 2007 im Alter von 93 Jahren verarmt in einem Wiener Altenheim stirbt, absolviert Hanja Dämon gerade ihr Magisterstudium der Geschichte an der Universität Wien. Für den Doktor geht sie nach London, an das renommierte King’s College. Als sie 2019 nach Wien zurückkommt, steht die Pandemie vor der Türe. Sie bekommt ein Stipendium und verwendet die Zeit für Archivrecherchen. Dabei stößt sie auf einen erstaunlichen Fund, die NS-Akte Antel, über die Herbert Lackner – langjähriger Chefredakteur des profil – eine bemerkenswerte Coverstory geschrieben hat. Ein Gespräch über die Genesis des Sensationsfunds, war Antel doch ein hoch dekoriertes Mitglied der österreichischen Kulturszene.
profil: Wie sind Sie auf die Spur von Antels NS-Vergangenheit gekommen?
Dämon: Ich bin in das Wiener Stadt- und Landesarchiv gegangen. Dort war man sehr überrascht, als ich nach dem NS-Registrierungsakt von Franz Antel fragte. Man konnte sich nicht vorstellen, dass so ein Akt existiert. Aber dann war er doch da. Der Fund löste dort Verwunderung aus und großes Interesse. Sehr schnell kam die Nachfrage, was ich damit jetzt vorhabe.
profil: Wie kamen Sie auf die Idee, überhaupt nach einem solchen Akt zu fragen?
Dämon: Als Historikerin habe ich mich sowohl mit dem österreichischen als auch mit dem deutschen Nachkriegsfilm beschäftigt. Dabei bin ich auf eine Rezension von einem Film mit dem Titel „Das singende Haus“ gestoßen, bei dem Antel Regie geführt hat. Im Artikel war von seiner NSDAP-Mitgliedschaft die Rede. Das hatte ich davor noch nie gehört oder gelesen.
profil: Bekannt war lediglich, dass Antel bei der Wehrmacht war.
Dämon: So begann ich zu recherchieren. Ich war zuvor schon auf ein Filmprojekt von Antel, das 1946/47 zwar groß angekündigt wurde, aber schlussendlich nie zu Stande kam, gestoßen. Nun fragte ich mich: Warum wurde dieser Film nie gedreht? Gibt es einen Zusammenhang mit Antels Vergangenheit?
profil: Und?
Dämon: Indirekt ja, es gab ihn. Denn als Antel nach dem Krieg seinen ersten Film machte, hatte er noch keine Gewerbeberechtigung, eine Voraussetzung dafür, dass man überhaupt drehen darf. Als er im Jahr 1947 um eine solche Berechtigung angesucht hatte, begannen die Wiener Behörden Informationen zu seiner Person einzuholen, um herauszufinden, ob er der NSDAP oder anderen NS-Organisationen angehört hatte. Zumindest zu diesem Zeitpunkt war man noch bemüht, keine ehemaligen Nationalsozialisten im Film mitmischen zu lassen. So kam der Stein ins Rollen.
profil: Was steht in diesen Akten?
Dämon: Franz Antel ist 1936 nach Deutschland geflüchtet, gab dort an, seit 1933 NSDAP-Mitglied zu sein, und suchte um Hilfe beim NS-Flüchtlingshilfswerk an. Er behauptete, er sei in Österreich wegen seiner NS-Betätigung verfolgt und eingesperrt worden. So wurde er deutscher Staatsbürger – und blieb es bis 1960.
profil: Franz Antel, einer der bekanntesten Filmemachers Österreich ist also jahrelang gar kein Österreicher gewesen, sondern Deutscher. Vermutlich deswegen, weil er sich bereits in den 1930er Jahren, als die NSDAP noch verboten war, Hitlers Partei anschloss.
Dämon: Richtig. Er hat 1937 um die deutsche Staatsbürgerschaft angesucht, was ihm in Folge die Beschäftigung beim deutschen Film erleichterte.
profil: Was hatte es für Auswirkungen, wenn man noch vor dem Anschluss der NSDAP-beigetreten ist?
Dämon: Die NSDAP hatte in Österreich bereits in den 1920er-Jahren Anhänger, damals war der Beitritt legal. Als 1933 in Deutschland die Nazis an die Macht kamen, etablierte sich In Österreich der Austrofaschismus, die NSDAP war ab 1933 bis zum so genannten „Anschluss“ 1938 verboten. Nur illegalen Nazis drohten Haftstrafen. Antel war nicht der einzige NS-Sympathisant, der in dieser Zeit aus Österreich nach Deutschland floh. Auch der Wiener Komponist Heinrich Strecker, der seit 1933 NSDAP-Mitglied war, verließ das Land. Er setzte sich für Antel ein, indem er gegenüber den deutschen Behörden Antels NSDAP-Mitgliedschaft und NS-Betätigung in Österreich bestätigte.
profil: Wie konnte sich Antel nach dem Krieg rehabilitieren und ungeachtet seiner Vergangenheit zu einer Kultur-und Gesellschaftsgröße aufsteigen?
Dämon: Er begann sich am Wiederaufbau der österreichischen Filmproduktion zu beteiligen. Zuerst konnte er nur in der sowjetischen Besatzungszone arbeiten. Den westlichen Besatzern war er suspekt. Antel meinte später, dass er seine NSDAP-Parteizugehörigkeit 1936 erfunden habe, um beim deutschen Film arbeiten zu können, und schließlich wurden seinen Angaben Glauben geschenkt.
profil: Da schließt sich der Kreis. Deswegen sind Sie über siebzig Jahre später auf die Causa gestoßen.
Dämon: Richtig. Aber noch bevor ich in die Archive ging, bin ich auf einen Artikel von Franz Antel aus dem Jahr 1938 gestoßen. Dort es geht um den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Antel spricht von einem „ergreifenden Höhepunkt“ und dass er „fassungslos vor Freude“ mit seiner Filmcrew zwei Tage lange gefeiert habe. In diesem Artikel kommen auch antisemitische Sujets vor, so etwa ein Anspielung auf die „jüdische Presse“.
profil: Wie kommt es, dass diesen Artikel 83 Jahre niemand ausgegraben hat?
Dämon: Zeitungsartikel sind erst seit einigen Jahren digitalisiert. So etwa über die Datenbank „Anno“ von der Nationalbibliothek. Wenn man dort „Franz Antel“ eingibt, kommt der Artikel als erster Treffer.
profil: Warum sollte sich die junge Generation für Antels Vergangenheit interessieren? Er war kein Kriegsverbrecher. Der 2007 verstorbene Antel hat nie bestritten, dass er ihm die Nazis nach ihrer Machtübernahme imponiert hatten.
Dämon: Antel ist kein Einzelfall. Er war wie ein Fähnchen im Wind. Solche Menschen gab es in Österreich zuhauf. Aber Antel ist eben auch ein sehr großer Name, von dessen Biographie bisher nur Teile bekannt waren. Bei einer schnellen Recherche im Internet findet man nichts über all das, was wir eben besprochen haben.
profil: Welchen Schluss ziehen Sie aus dem Fall Antel?
Dämon: Oft haben österreichische Biografien Leerstellen zwischen 1938 und 1945, im Fall Antel gab es diese biografischen Lücken schon davor. Diese Menschen haben eine Geschichte davor und danach, dazwischen herrscht Leere. Da sollte man hellhörig werden, wenn es über solche Zeitspannen gar keine Informationen gibt. Das sollte auch bedacht werden, wenn Menschen auf Erinnerungs-Tafeln geehrt werden. Es gibt noch viele nicht erzählte Geschichten.