Mit Trainingsanzug und Adiletten unter die Erde
November 2000. An einem frühen Abend steht der sechsjährige Johann Teufel im Freien. Das Herbstlicht verschwindet allmählich in der Dämmerung. Für die Jahreszeit ist es draußen recht angenehm, trotzdem wünscht er sich nichts mehr, als endlich drin zu sein. Drin, das ist im Kühlhaus bei der Leiche, um die sich seine Eltern kümmern. Johann darf erst hinein, wenn der Kopf wieder dran ist, hat seine Mutter gesagt. Als es so weit ist, sieht der Mann auf dem Tisch aus, als ob er schlafen würde. Für Johann ein „friedlicher Anblick“.
Was eher an Szenen aus dem Hollywood-Horrorfilm „the sixth sense“ erinnert, gehört bei den Teufels zum Alltag, denn die Familie führt seit 1964 das einzige All-Round- Bestattungsunternehmen Österreichs. „All round“ bedeutet Steinmetz und Bestattung in einem, nächstes Jahr soll eine eigene Leichenhalle dazukommen. Und auch Exhumierungen werden von ihnen durchgeführt. Das ist grundsätzlich nicht üblich. Genauso wenig wie Überführungen von Leichen aus dem Ausland. Johann Teufel hat den Betrieb nach dem Tod seines Vaters mit 18 Jahren offiziell übernommen und war bis Februar 2023 sogar der jüngste Bestatter Österreichs . Heute ist er mit 29 Jahren der zweitjüngste: Seine Alterskonkurrenz ist gerade einmal ein halbes Jahr jünger als er.
Vormittag Schule, Nachmittag Leichen schminken
Die Ausbildung hätte er am liebsten direkt nach dem Besuch in der Leichenhalle gemacht. „Ich wollte von Anfang an unbedingt wissen, wie jemand aussieht, der tot ist“ erinnert er sich. Mit 13 nahm seine Karriere Gestalt an. Der erste Assistenzjob bei Mama: Eine 60-jährige Frau. Johann kleidet sie damals noch klassisch festlich. Ein paar Anweisungen der Mutter: schauen, dass die Augen richtig geschlossen sind, dann Feuchtigkeitscreme - „die bringt tatsächlich auch nach dem Tod noch was“, lacht Johann. Am stärksten in Erinnerung blieb ihm die Tristesse der Kühlhäuser: „Überall stehen Särge, es herrscht Totenstille. Wir konnten nicht einmal Radio hören, weil es keinen Empfang gab.“
Alles andere als trist war der Alltag: Toten nach dem Matheunterricht mit etwas Puder Leben einzuhauchen, ein paarmal die Woche Särge zu tragen ist in seinen Teenagerjahren ebenso normal wie sich nachmittags mit Freunden zu treffen. Ein ungewöhnliches Wochenprogramm, das nicht allen geheuer war. Mit seinen Mitschülern sprach er damals kaum über die schulfreien Samstage, die er am Friedhof oder in Kühlhäusern verbrachte. Noch heute ist er vorsichtig, versucht herauszufinden, warum Menschen das Gespräch mit ihm über seinen Job suchen. „Man weiß nie, welche Beziehung jemand zum Tod hat“, erzählt er. Distanz sei wichtig. Dass er kaum weine, habe aber nicht unbedingt etwas mit seinem Beruf zu tun. Sich selbst bezeichnet er als „eiskalt“, geweint hat er nur ganz selten, etwa beim Tod seines Vaters und eines engen Freundes. Schwieriger sei es „wenn man jemanden bestatten muss, den man kurz zuvor noch lebend gesehen hat oder gut kennt“, sagt er.
Das letzte Einsermenü
Bestatter haben eine ordentliche Portion Galgenhumor – und ein immenses Repertoire an Anekdoten. Beim Styling der Toten überraschen ihn die Wünsche kaum noch. „Den klassischen Anzug gibt es fast nicht mehr. Den Hinterbliebenen ist es wichtig, die Verstorbenen darin zu begraben, worin sie sich am wohlsten gefühlt haben“, erklärt der Bestatter, der schon allerlei Trends miterlebt hat. Nicht selten werden Menschen in ihren Jogginghosen beerdigt, einmal wanderte ein neonfarbener Sportanzug mit Adiletten mit ins Grab.
Besonders individuell seien die Sargbeigaben. Fotos und Stofftiere wurden längst abgelöst. Für eine Dame ging nichts ohne ihre Vierbeiner: Nun ruht sie mit zwei Urnen ihrer Tiere und einem ausgestopften Dackel im gemeinsamen Grab. Für einen Heurigen-Stammgast schmückte das letzte Einsermenü - Zigaretten, Streichhölzer und ein Vierterl Zweigelt in der Flasche- die Seidendecke. Bei den Verabschiedungen wird es manchmal auf eine ganz andere Art rührend: „Einmal hat jemand noch vor der Trauerfeier Spielkarten und einen 10-Euro-Schein hineingelegt, dem Toten auf die Schulter geklopft und sich dann weinend mit ,Oaschloch‘ verabschiedet“, erinnert sich der Jungunternehmer.
„Einmal hat jemand noch vor der Trauerfeier Spielkarten und einen 10-Euro-Schein hineingelegt, dem Toten auf die Schulter geklopft und sich dann weinend mit Oaschloch verabschiedet.“
Nicht alles, worüber bei der Bestattung gelacht wird, ist von Anfang an lustig. „Für immer vergessen“ hätten Familie und Freunde eines Verstorbenen um ein Haar auf der Schleife des Trauerkranzes gelesen, bei welcher der Blumenhändler die kleine Silbe „un“ vernachlässigt hatte. „Den wohl schlimmsten Beerdigungsalptraum erlebte eine Familie, die felsenfest überzeugt war, dass der Großvater im Sarg noch lebendig sein musste, weil sie ein Klopfen im Sarg gehört haben“, erinnert sich Johann Teufel. Um die Familie zu beruhigen, öffnete er noch einmal den Sarg, wohlwissend, dass der Mensch, der hier drin lag, definitiv tot war „Tatsächlich liegt das Knarren meist am uralten Holz der Plattformen, auf denen die Särge stehen. An Sommertagen sind es die Temperaturunterschiede – vom Kühlhaus in den Aufbahrungsraum – durch die man das Holz arbeiten hört“, erklärt er. „Für die Familien ist so etwas natürlich ein Schock, kann aber kaum verhindert werden.“
Deine oder meine Leiche: gestorben wird nur einmal
Im Prinzip sei das Bestattungsgeschäft nichts anderes als Eventplanung, bei der absolut jedes Detail abgestimmt sein muss. Dem „Event“ sind dabei keine außer den gesetzlichen Grenzen gesetzt: „Es gab schon Rituale an Flüssen, elektronische Musik oder Kaffeekränzchen und Picknick- Beisetzungen“, verrät Johann.
Mittlerweile gleicht auch der Konkurrenzkampf jener der Eventbranche. Seit der Privatisierung, für die sich seine Eltern 2002 politisch einsetzten, um nicht mehr von der Willkür der Gemeindepolitik abhängig zu sein, könne mittlerweile jeder ein Bestattungsunternehmen führen.
Der Druck ist nicht zu unterschätzen. „Man streitet manchmal um Leichen“, sagt der Bestatter unaufgeregt. „Es ist ein Kampf, da heißt es: entweder gräbst du ihn ein oder ich“, gepaart mit vielen Missverständnissen rund um Abholung und Wahlfreiheit – also, dass im Todesfall jede beliebige Bestattung gerufen werden kann – entstehen oft unnötige Kosten.
„Es ist ein Kampf, da heißt es entweder gräbst du ihn ein oder ich“
„Die Frage ist immer, wie bekommt man Aufmerksamkeit mit einem verhältnismäßig geringen negativen Beigeschmack, der das Thema abwertet“, kritisiert er. Das Feingefühl dürfe nie fehlen. „Jemand, der in der U-Bahn eine humorvolle Kampagne sieht oder sich eine Luftmatratze in Sargform kauft, findet es legitim lustig. Betroffene in einer akuten Trauersituation aber meistens nicht", sagt er über aktuelle Bestattungs-Kampagnen.
Jetzt ist wieder November. Nach unserem Gespräch wartet wieder eine Verabschiedung auf Johann Teufel. Wie viele Leichen er in seinem Leben bereits gesehen hat? Er hat aufgehört zu zählen. „Mit Sicherheit an die 3000.“