Fußball: Brutales Match zwischen ÖGB und neuer Gewerkschaft
Was ein Ausschluss ist, weiß Gernot Baumgartner. Von 2003 bis 2005 kickte er als Profi in der zweiten Bundesliga, erst beim Kapfenberger SV, dann beim FC Gratkorn. Nach dem Ende seiner Karriere blieb er dem Fußball treu – als Funktionär und Mitarbeiter der Fachgruppe Fußball der Gewerkschaft für Kunst, Medien, Sport und freie Berufe (heute: younion). Die berufliche rote Karte erhielt Gewerkschaftssekretär Baumgartner im Oktober 2022, als er von der younion gekündigt wurde. Auch andere Mitarbeiter und Funktionäre der Fachgruppe Fußball verabschiedeten sich. Gemeinsam organisierten sie eine eigene Fußballer-Gewerkschaft unter Baumgartners Vorsitz. Hunderte Kicker verließen den ÖGB und wechselten zur neuen Konkurrenz.
Das Debakel könnte sich aus ÖGB-Sicht zur Krise entwickeln. Denn die neue Spielervertretung erwies sich nicht als Jausengegner, sondern beantragte, ab sofort auch Kollektivverträge für Fußballer verhandeln zu können. Bisher ist dies ein Exklusivrecht des ÖGB und seiner Teilgewerkschaften. Bewilligt die zuständige Behörde den Antrag, wäre es eine Zäsur. Nach den Fußballern könnten dann auch andere unabhängige Arbeitnehmerorganisationen die Kollektivvertragsfähigkeit beantragen – und damit die Allmacht des ÖGB untergraben. Kein Wunder, dass die Gewerkschaft sich wehrt. Im Fußball würde man es eine Abwehrschlacht nennen.
Reiche Kicker, arme Kicker
Die Geschichte beginnt vor 25 Jahren. Als ein Bundesligaklub seinen Spielern Bonuszahlungen verweigerte, wurde mit Unterstützung von Altstars wie Herbert Prohaska eine Interessenvertretung für Fußballer gegründet, aus der schließlich die „Vereinigung der Fußballer“ (VdF) hervorging, die einen Kooperationsvertrag mit der younion abschloss. Beide Seiten profitierten: Die Vereinigung konnte den starken Arm des ÖGB nutzen, dieser erhielt zusätzliche, teils prominente Mitglieder. Tätig wurde man etwa, wenn Klubs Prämien nicht auszahlten oder verletzten Spielern Entgelte vorenthielten.
Gemeinsam verhandelten younion und VdF auch den Kollektivvertrag für 800 Profispieler mit den Arbeitgebern von der Österreichischen Bundesliga. Ihre Schützlinge waren allerdings nicht gut verdienende Profis, sondern die Kicker der zweiten Liga. Viele Fußballer verdienen in der Zweitklassigkeit bis heute nicht mehr als die im Kicker-Kollektivvertrag vorgesehenen 1600 Euro brutto.
Zwei Jahrzehnte lang lief die Kooperation gut. Doch rund um die Abwicklung und Finanzierung der alljährlichen Bruno-Gala, bei der die Spieler der Saison geehrt werden, entzündete sich ein Streit. Aus Sicht der VdF, die die Rechte an der Veranstaltung hält, mischte sich die younion zu sehr ein. Nach dem Geschmack der younion verfügt der neue Hauptsponsor der Veranstaltung, der Mobiltelefonie-Anbieter spusu, über zu viel Einfluss.
Überdies fühlten sich die Fußballer während der Corona-Pandemie im Stich gelassen. Der ÖGB trug die Maßnahmen der Regierung mit. Die Kicker dagegen sahen durch die Spielverbote ihre Existenzgrundlage gefährdet. Zum Problem wurden auch prinzipielle Auffassungsunterschiede: Die VdF verstand sich als Rundum-Agentur für ihre Mitglieder, die auch Camps organisiert und ein Spieler-Magazin herausgibt. Die younion setzt auf klassische Gewerkschaftsarbeit. Der Streit eskalierte mit Baumgartners Rausschmiss.
Derbystimmung
Mittlerweile herrscht zwischen den früheren Partnern eine Stimmung wie unter den Fans von Austria und Rapid beim Wiener Derby. Und das kam so: Nach Baumgartners Kündigung durch die younion traten 300 Fußballer aus erster und zweiter Bundesliga aus dem ÖGB aus und wurden Mitglied im von Baumgartner neu gegründeten Verein „VdF – die Spielervereinigung“. Der ÖGB stellte daraufhin seine Fußball-Aktivitäten neu auf und präsentierte den früheren Profi Thomas Pichlmann und Nationalspielerin Maria Plattner als Führungsduo in der Fachgruppe Fußball der younion. Um Fußballer neu anzuwerben, lockte die younion sogar mit Gratismitgliedschaften. Der „Spielervereinigung“ wirft sie in einer Stellungnahme gegenüber profil vor, die Austritte der Bundesliga-Spieler monatelang vorbereitet zu haben. Man versuche nun, mit diesen Sportlern wieder in Kontakt zu treten.
Ein schwieriges Unterfangen: Denn in einem an ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian adressierten offenen Brief vom 29. Mai 2023 stellten die Spielervertreter der 28 Bundesligaklubs klar, „VdF – Die Spielervereinigung“ sei „unsere einzige berufliche Interessenvertretung im Fußballsport“. Zu den Unterzeichnern zählen etwa die Nationalspieler Alexander Schlager (damals LASK), Nicolas Seiwald (damals Red Bull Salzburg), Jörg Siebenhandl (Sturm Graz) und Christopher Dibon (Rapid Wien).
An der ÖGB-Teilgewerkschaft übten die Spielervertreter heftige Kritik: „Das Verhalten der sogenannten ,Fußballgewerkschaft‘ younion gefährdet die Bewegung der Spielervertretung in Österreich nachhaltig … Wir haben uns klar und deutlich zur VdF – Die Spielervereinigung bekannt und fordern Sie auf, das – im Sinne des gewerkschaftlichen und solidarischen Gedankens sowie des österreichischen Fußballs – auch zu respektieren und zu akzeptieren. Dazu gehört auch unser Grundrecht, Kollektivverträge zu verhandeln.“ Aus der younion heißt es, Thomas Pichlmann führe derzeit Gespräche mit den Spielervertretern.
Am 20. April 2023 stellte die „Spielervereinigung“ über ihre Rechtsanwälte Christina Toth und Roland Gerlach offiziell einen Antrag auf Kollektivvertragsfähigkeit beim Bundeseinigungsamt, das im Arbeits- und Wirtschaftsministerium angesiedelt ist. Das Amt forderte in der Folge den ÖGB, die Arbeiterkammer, die Wirtschaftskammer und die Bundesliga zu einer Stellungnahme auf.
Der ÖGB – und in einer fast identischen Stellungnahme die Arbeiterkammer – lehnte das Ansinnen der „Spielervereinigung“ auf Kollektivvertragsfähigkeit naturgemäß ab. Die Argumente: Die „Spielervereinigung“ sei nicht demokratisch organisiert, habe zu wenig Mitglieder, sei abhängig von Sponsoren wie spusu und nicht unabhängig genug von der Bundesliga als „sozialem Gegenspieler“.
Bundesliga in Not
Die „Spielervereinigung“ weist dies in einer Gegenstellungnahme an das Bundeseinigungsamt vom 31. August zurück: Demokratische Strukturen seien für die Erteilung der Kollektivvertragsfähigkeit rechtlich gar nicht notwendig. Dennoch habe man die Statuten adaptiert. Da die „Spielervereinigung“ einen Großteil der Bundesliga-Spieler vertrete, könne nur sie und nicht die younion „Druck auf die Arbeitgeber-Seite“ ausüben. spusu habe keinen Einfluss auf die „Spielervereinigung“, überdies sei die Annahme von Spenden auch in den Statuten des ÖGB vorgesehen.
Die Wirtschaftskammer lehnte die Zusprechung der Kollektivvertragsfähigkeit an die „Spielervereinigung“ in sozialpartnerschaftlicher Solidarität mit dem ÖGB ebenfalls ab. Die Bundesliga als Kollektivvertragspartner auf Arbeitgeberseite bedauerte in ihrer Stellungnahme, „sich zwischen den Fronten wiederzufinden“. Man wolle daher keine Empfehlung abgeben. Sie werde allerdings „keinesfalls mehrere unterschiedlich lautende Kollektivverträge mit verschiedenen Arbeitnehmervertretungen“ abschließen.
Die „Spielervereinigung“ wäre die erste ÖGB-unabhängige Arbeitnehmervertretung, der die Kollektivvertragsfähigkeit zugesprochen würde. Der Ärzte-Gewerkschaft „Asklepios“ war dies versagt geblieben. Die Entscheidung des Bundeseinigungsamts und in Folge des Verwaltungsgerichtshofs hat daher Signalwirkung weit über die Sportbranche hinaus. Es sei denn, die Streitparteien einigen sich doch noch. Ein Mediationsverfahren blieb ergebnislos. Bei der Bruno-Gala am 9. Oktober wird die younion nicht mehr dabei sein. Auch Vermittlungsbestrebungen von ÖGB-Präsident Katzian scheiterten, obwohl er in der heimischen Fußballwelt gut vernetzt ist. Bis vor fünf Jahren war Katzian Präsident der Wiener Austria. Auf Anfrage von profil wollte er sich zur Causa nicht äußern.