Fußball: Rene Maric verkörpert einen neuen Trainertypus
Manchmal beginnen die schönsten Geschichten ganz schön banal. Diese beginnt so: Ein 23-jähriger Taktik-Blogger und Student schreibt einem Proficoach des österreichischen Fußballmeisters RB Salzburg. Er wolle sich mit ihm über Taktik austauschen. Die beiden tauschen sich aus. Monatelang. Dann fragt der Taktik-Blogger den Proficoach: „Braucht ihr noch jemanden im Trainerstab?“ RB Salzburg antwortet: „Probieren wir es.“ Heute gelten der Cheftrainer Marco Rose und der einstige Taktik-Blogger Rene Maric als Salzburger Erfolgsmodell: Sie gewannen mit der U19 die Youth League – eine Art Jugend-Champions-League –, wechselten zur Kampfmannschaft, wurden dort Meister und zogen ins Halbfinale der Europa League ein.
Heute sitzt Rene Maric, 26, in seinem Büro im Trainingszentrum von RB Salzburg in Taxham. Er spricht breiten Innviertler Dialekt, trägt ein Trainingsleibchen und wird vom Pressesprecher des Klubs begleitet. Das Ambiente erscheint klinisch professionell. Aber Maric fühlt sich wohl: „Ich bin glücklich hier“, betont er. Sein Schreibtisch ist überladen: Laptop, Bücher, Schmierzettel. Unter einem Stapel blitzen Autogrammkarten hervor, auf denen Maric in feinem Zwirn zu sehen ist. Über den einstigen Taktik-Blogger wird mittlerweile in internationalen Medien berichtet. „Maric ist einer der fortschrittlichsten Trainer Europas“, schrieb der britische „Guardian“.
Marics Aufstieg wirft ein grelles Licht auf ihn – aber noch mehr auf die blasse Taktik-Blogger-Szene, die Spiele in mathematischem Deutsch erklärt. Seine Personalie steht sinnbildlich für die Akademisierung des Fußballbetriebs. Ganz nebenbei hat er einen neuen Weg in ein Millionengeschäft aufgezeigt. Wenn brasilianische Kinder vom Aufstieg aus den Armenvierteln träumen, so haben jetzt, dank Maric, auch Internet-Theoretiker eine Vision: den Weg vom Schreibtisch auf die Trainerbänke, die die Welt bedeuten.
Taktik-Nerds und Internet-Schreiberlinge
Maric ist zum Vorbild der Taktik-Blogger-Generation geworden. Er stammt aus dem Milieu der Fußballverrückten, der Taktik-Nerds und Internet-Schreiberlinge. Es ist eine spröde Welt, in der Artikel schon einmal 65.000 Zeichen lang sind und Titel tragen wie: „3-4-3 schlägt gegen enges 4-3-3 fehl“. Die Taktik-Freaks sehen auf dem Feld nicht 22 Männer, die einem Ball hinterherjagen. Sie sehen Linien, Pfeile, Dreiecke. Sie schreiben von falschen Neunern, abkippenden Sechsern, pendelnden Viererketten und Breitenstaffelung. Damit tragen sie einem Trend Rechnung: Der Fußball hat sich zu einem komplexen Strategiespiel entwickelt. Das Handbuch dazu lieferten Maric und seine Kollegen auf dem deutschen Analyseportal „Spielverlagerung“, das vor acht Jahren gegründet wurde. Arbeit gibt es seitdem genug: Im modernen Fußball werden Strategien und Gegenstrategien innerhalb von 90 Minuten so oft gewechselt, dass sich Taktik-Blogs länger lesen, als Spiele dauern. Trotzdem klicken Zehntausende Leser darauf, um mehr zu erfahren als die Namen der Torschützen.
Maric war der Fließbandarbeiter unter den Bloggern. Seine Arbeitsbilanz: Tausende Fußballspiele gesehen, 2000 Artikel geschrieben.
Im Fußballbetrieb gelten die schreibenden Theoretiker aber weitgehend als Klugscheißer. Es heißt: Sie betrachten Spielszenen einseitig aus einem Blickwinkel und dozieren hochnäsig von der Kanzel herab – ohne ihre Thesen dem Praxistest auszuliefern. Oft sind es arbeitslose Ex-Kicker, die sich über den zeitgenössischen Trend beschweren. Mehmet Scholl, einst Starspieler bei Bayern München, kritisierte, dass Studenten den Fußball übernommen hätten.
Gescheiterte Fußballer-Karriere
Ursprünglich wollte der Psychologie-Student Maric gar nicht vor den Laptop, sondern auf den Platz. Doch mit der Karriere als Fußballer wurde es nichts. Die Liste an Gründen: zwei Kreuzbandrisse, Schlüsselbeinbruch, Beckenbruch, Knochentumor. Also begann er als 17-Jähriger, in seinem 1300 Einwohner-Heimatdorf Handenberg im Innviertel Kinder zu trainieren – und sich nebenbei mit der Theorie des Fußballspiels zu beschäftigen. Maric las Bücher über große Trainer – Ernst Happel, Pep Guardiola, Johan Cruyff – und sezierte deren Arbeitsweisen. Er verschlang Interviews, Zeitungsberichte und Taktikanalysen, während er beim TSU Handenberg zur Herrenmannschaft aufstieg. „Man schaut sich Spiele auf hohem Niveau an und überlegt: Das funktioniert im Profibereich. Klappt das hier auch?“
Maric legt Wert darauf, dass er zuerst Trainer war – und dann Taktik-Blogger. Zur Tastatur griff er nur, weil in seinem Dorf keine Fußballphilosophen wohnten. Die fand er im Internet. Mit Gleichgesinnten publizierte er Texte, die sich wie trockene Diplomarbeiten lesen. Das ist kein unfreiwilliges Manko, sondern bewusstes Stilmittel. Maric wollte keine wohlformulierten Geschichten erzählen, sondern Fachliteratur anbieten. Als Trainer. Für Trainer.
Bis zu seinem letzten Artikel vor drei Jahren schoss Maric Text um Text ins Internet. Darunter ein Porträt über den deutschen Meistertrainer Jupp Heynckes, das 66.000 Zeichen lang ist (also ziemlich genau sechs Mal so lang wie dieser Text). Er besorgte sich dafür Videos von Fußballspielen aus den 1970er-Jahren und durchforstete Zeitungsarchive. „Für den Artikel habe ich eine Woche durchgearbeitet“, erzählt Maric. Geld bekam er selten, die Arbeit verstand sich weitgehend als Ehrenamt. „Das war schon viel Aufwand“, sagt Maric. „Aber ich habe dadurch einen ganz anderen Blick auf den Trainer Heynckes bekommen. Und das hat mir viel gegeben.“ Maric war von intellektuellen Gedankenspielen getrieben, nicht von der Entwicklung eines Geschäftsmodells.
Bezahlte Aufträge trudelten von ganz allein bei ihm ein. Der deutsche Trainer-Guru Thomas Tuchel meldete sich: Er hatte einen Artikel von Maric gelesen und war von dessen Genauigkeit beeindruckt. Ein Jahr lang arbeitete er freiberuflich für den heutigen Coach von Paris Saint-Germain – ohne an eine fixe Anstellung im Profibereich zu denken. „Ich war damals 19 und habe mich wahnsinnig gefreut, dass ihn das interessiert und ich mit ihm über Fußball reden kann.“ Maric hätte von den kleinen Auftragsarbeiten nicht leben können, auch wenn sie mehr wurden: Der Besitzer des dänischen Klubs FC Midtjylland wollte von ihm wissen, wie sein Team gegen Manchester United spielen soll. Ein anderer beauftragte ihn mit der Entwicklung einer Jugendakademie. Irgendwann bearbeitete Maric Anfragen aus sechs Kontinenten. Es meldeten sich eine russische Analysefirma, der saudi-arabische Fußballverband und Funktionäre aus den USA und Afrika. Rene Maric hatte sich einen Namen gemacht, den er als Amateurtrainer in Handenberg nie bekommen hätte. Als vielgelesener Taktik-Blogger wurde er zum weltweit gefragten Sachbearbeiter für Fußballfragen aller Art.
Hohe Intelligenz und extremer Arbeitseifer
Auch Marco Rose, der Salzburger Trainer, war begeistert von Maric. Stundenlang sprachen sie über Fußball. Er könne Spiele schneller sehen und „beide Teams gleichzeitig analysieren“, berichtet Rose. Weggefährten beschreiben Maric als extrem intelligent. Doch der winkt ab. Dieses Taktikwissen könne sich jeder aneignen. Es gehe um Interesse und Übung. „Wenn man, so wie ich, viel Zeit in das investiert, geht das.“ In der Blogger-Szene sagt man, bei Maric kommen zwei Faktoren zusammen: hohe Intelligenz und extremer Arbeitseifer.
Heute ist er in Salzburg fleißig: er analysiert Gegner, entwickelt Trainingsmodelle, tüftelt an der Spielweise. Pro Woche arbeitet er, nach eigenen Angaben, 60 bis 100 Stunden. Maric kommt gerade vom Training. Anstatt wie früher 40-jährige Schichtarbeiter oder pubertierende Lehrlinge trainiert er heute die Superstars der österreichischen Bundesliga. Anfangs siezten ihn viele Spieler, weil sie sein Alter nicht kannten. Maric ist von breiter Statur und trägt Vollbart. Dahinter aber verbirgt sich ein junges Gesicht. Auch wenn der 26-Jährige spricht, hört man oft den Buben heraus.
Zum Wechsel vom Amateur- in den Profibereich sagt er: „Eine Umstellung war natürlich da.“ Im Grunde gehe es aber immer um dasselbe. Im Profibereich sei vieles sogar einfacher. „Bei den Amateuren weiß man nicht immer, wie viele Spieler zum Training kommen.“ Wo Maric ohne das Sprungbrett „Taktikbloggen“ gelandet wäre? „Dann würde ich wahrscheinlich im Amateurbereich trainieren und als Psychologe arbeiten.“
Doch die Tür in den Profibereich ist für Leute wie Maric so offen wie nie zuvor. Vor der Jahrtausendwende überarbeiteten deutsche und österreichische Vereine ihre Nachwuchsarbeit und bauten Jugend-Akademien. Weil die Arbeit im Nachwuchs für viele prominente Ex-Kicker nicht reizvoll schien, stellten die Vereine reihenweise ambitionierte Männer ohne bekannte Namen an. Darum heißen deutsche Erfolgstrainer heute nicht Matthäus, Effenberg oder Ballack, sondern Klopp, Tuchel und Nagelsmann. Allesamt keine tollen Kicker. Im Fußballgeschäft hat sich das Credo durchgesetzt: Ein guter Trainer muss kein guter Spieler gewesen sein. Immer mehr Vereine geben unbekannten Gesichtern eine Chance.
Maric versucht im Gespräch zu verhindern, in eine Schublade gesteckt zu werden. Den Machtkampf zwischen Profis und Nichtprofis will er nicht mit frechen Aussagen befeuern. Er fühle sich auf dem Platz wohler als vor dem Computer, sagt er wie zum Trotz. Für Taktik-Blogs schreibt er als Profitrainer nicht mehr. „Ich beschäftige mich ja weiterhin sehr intensiv mit Fußball. Das ist das Wichtigste. Ob ich darüber schreibe und es veröffentliche, ist mir ziemlich egal.“