Fußball-WM in Katar: Sie wollen nur spielen
1996. Rom. Champions-League-Endspiel Juventus Turin gegen Ajax Amsterdam. Während der Einlass normal stockend vor sich geht. Vor dem Stadion. Es werden uns noch phantastische Summen für ein Ticket angeboten. Wir schieben uns auf die Ticketkontrolle zu. Werden geschoben. Gedränge und Vorgedränge. Während des Anstehens. Das Olympiastadion in Rom ist von einem Gitterzaun umgeben. Ein mehrere Meter hoher Bauzaun ist das. Kleine Türen ermöglichen noch genauere Kontrolle. Vor dem Zaun draußen stehen Gruppen von kleinen Buben und jungen Männern. Immer wieder löst sich eine der kleinen Personen aus den Gruppen. Nimmt Anlauf und versucht, den so hohen Zaun zu erklettern. Der Zaun ist selbstverständlich so konstruiert, dass kein Halt zu finden ist. Die Buben versuchen, den Zaun vertikal hinaufzulaufen. Keiner schafft es. Je schwungvoller einer hinaufstürmt, umso tiefer fällt er dann wieder zurück. Sie landen alle auf dem Rücken und bleiben kurz liegen. Dann versucht es der Nächste. Immer wieder. Und immer heftiger. Keiner schafft es. Jedenfalls die lange Zeit nicht, die es braucht, durch die Kontrollen durchzukommen und die Tribüne zu erreichen. Das metallklirrende Scheppern des Zauns unter den Anstürmenden begleitet dieses Vorwärtsgeschiebe der Massen. 72.698 Personen. Das Olimpico ist ausverkauft. Selbstverständlich.
In Katar. Bei der gekauftesten Weltmeisterschaft aller Zeiten. Da wird es so etwas nicht geben.
Das Unruhepotenzial Gastarbeiter ist bei der Eröffnung dann schon ausgewiesen. Die Landesgrenze selbst der Sicherheitszaun. Der patriarchale Traum vom Turnier in aller Ordnung wird Erfüllung finden. Die Männer auf den Tribünen in diesen blendend weißen Thawbs und Kufiyas. (Wer wäscht eigentlich dieses unglaublich weiße Weiß herbei?) Diese weißwehenden Männer. Sie können sich zufrieden zurücklehnen. Katar beherrscht die Fußballwelt. Es scheint teuer genug. Mit vermuteten 150 Millionen US-Dollar für Bestechungsgelder einmal für die FIFA-Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar. Mit vermuteten 180 Millionen David Beckham als Werbeträger für Katar. Mit Paris Saint-Germain im Fußball. Das hat Frankreichs Ex-Staatspräsident Sarkozy erschachert. Das hat 130 Millionen gekostet, aber das beIN Sports-Medienmonopol wird da gleich mitetabliert. 100 Millionen von Qatar Airways an Barcelona. 20 Millionen an den FC Bayern. Gegen den Protest der Fans. Eingespart wurde dagegen an den Personalkosten. Mit 2,55 Dollar Stundenlohn für die Tausenden Gastarbeiter.
Katar. Diese Westmeisterschaft. Sie wird die Blaupause abgeben dafür, wie unsere Welt untergehen wird. Wie hier über Fußball ein innerer Raum geschaffen wird, der, jeder Kontrolle entzogen, jene Insel schafft, auf die die Zugehörigen sich retten werden, während die Nichtzugehörigen sich gegen den nun in Bürokratie verwandelten Bauzaun werfen können, wie sie wollen. Sie werden auf den Rücken gefallen liegen bleiben. Die Funktionärskaste hat die gute altmodische Repräsentation zu Höchstpreisen verkauft. Sicherheitsgarantien, wie Sarkozy sie Katar vermutlich erteilt hat. Solche Sicherheitsgarantien sind leicht zu vergeben. Die Politik wälzt so etwas einfach auf die Staatsbürger:innen ab. So ist das mit Geheimpolitik und Korruption. Bezahlen müssen immer die, die nicht auf die paradiesische Insel dürfen.
Das Zukunftsszenario der Klimakatastrophe. Zusammenschlüsse wie die FIFA, die mittels des Fußballs Finanzinteressen durchsetzt. Persönliche Interessen sind das mit Stimmenverkauf für Vergaben und staatliche sind das, wenn Katar sich über Investitionen Monopole verschafft wie mit beIN Sports, und das alles mit dem Verkauf natürlicher Ressourcen. Katar verkauft uns fossile Energie, um unsere Eliten mit dem damit erworbenen Geld wieder zurückzukaufen. Ein Kreis bildet sich so, der ohne Kontrolle und ohne Verantwortung regieren kann. Die bösen Folgen werden den Staaten zugeschoben.
Katar. Diese Weltmeisterschaft. Sie wird die Blaupause abgeben dafür, wie unsere Welt untergehen wird.
Die bösen Folgen? Die ausbeuterische Arbeitssituation in Katar. Die ist ein guter Grund, sich zu solidarisieren. Aber das sollte selbstverständlich sein. Keine Produkte zu akzeptieren, die unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden, das sollte selbstverständlich geworden sein. Und wenn das Produkt solche vulvageformte Stadien sind, deren CO2-Bilanz noch dazu heute vollkommen inakzeptabel ist. Dann sollte es nicht so selbstverständlich sein, dahin fahren zu müssen, weil die FIFA das so beschlossen hat. Wie die gesamte Struktur der FIFA mittlerweile vollkommen inakzeptabel ist. Vor allem seit wir wissen, wie selbstverständlich käuflich die männergebündelten Mitglieder da sind. Und. Jüngere Präsidenten bringen es dann auch nicht, wenn Gianni Infantino so freudetrunken gleich nach Katar gezogen ist. Fußballfreundschaft soll das wohl sein. Aber. Wird der Scheich ihm auch nach der Weltmeisterschaft die Hand so herablassend tätscheln, und was interessiert das den Fußball. Und Fußballfreundschaften. Die Spieler könnten verweigern, weil ihre Kolleginnen da nicht spielen dürften. Die bösen Folgen des vielen Gelds? Die Spieler sind in vertragliche Korsette gesteckt, die ihnen die freie Entscheidung verbieten. Die verdienten Millionen kosten das. Nun. Die Show wird sich vor solche Argumente schieben und sie verlöschen lassen. Das ist eine weitere böse Folge. Versklavung hebt sich nicht durch die Summen auf, die bezahlt werden. Versklavung stellt sich im Fehlen von Freiheiten dar. Am Ende. Katar kann sich rühmen, dass alles gekauft werden kann. Damit wird dem Fußball und der Welt insgesamt bewiesen, dass es nur den Preis gibt und keinen Wert. Es ist aber der Wert des Fußballs als genau abgezirkelter Kampf im Unmittelbaren, der die Begeisterung auslöst. Die Realität des Spiels mit allen Unwägbarkeiten des Zufalls. Es geht um Glück und Unglück. Es geht darum, dass zwei Mannschaften sich auf dieses gemeinsame Schicksal der beiden Spielhälften einlassen.
Die bösen Folgen? Die Umweltbilanz allein wäre ein guter Grund abzusagen und sie nicht durch Flüge und klimatisierten Aufenthalt noch weiter zu verschlechtern. Aber Absagen. Es sind ja auch alle nach Russland gefahren. Politik. Männerbündeüberlegungen. Und dann. Widerstand. Bei Bayern München ist das Buhen der Fan:innen gegen das Sponsoring aus Katar ungehört verhallt. Die Vereine brauchen die Fan:innen nicht mehr. Sie haben ja das Geld aus Katar. Und das Geld aus Katar treibt wiederum die Vereine vor sich her, wenn Saint-Germain so viel für die Spieler ausgeben kann. Männerkonkurrenz. Das ist das tödliche Spiel, das immer in Krieg endet. Und Männer. Gleich neben Katar kann eine Frau zum Tod verurteilt werden, weil sie dieses Stück Stoff nicht über den Kopf zieht. Ein Stück Stoff, das bei uns Kurz verboten wurde, bis das vom Gericht wieder aufgehoben war. Solidarität mit den protestierenden Frauen im Iran wäre genauso selbstverständlich. Wird das jemand tun? Im autokratischen Katar?
Nun. Wir. Der Westen. Wir haben lernen müssen, dass zum Untergang getanzt werden muss. Könnten wir das wieder verlernen und uns um unser Überleben kümmern? Können wir uns zum Beispiel aus der Abhängigkeit von der fossilen Energie endlich herauswurschteln? Das war in den 1980er-Jahren schon einmal das Ziel gewesen und wurde uns durch die Globalisierung vergessen gemacht. Können wir Demokratie so ernst nehmen, dass wir wenigstens die schlimmsten Arbeits-und Lebensbedingungen für unsere Waren aller Art zumindest nicht fördern? Und Katar? Das ist reine Ware. Da ist nichts mehr etwas mehr wert. Da gilt nur der Preis, der zu bezahlen ist. Das ist reine Unterhaltung, und das römischerweise. Da werden Angestellte auf ein Spielfeld gejagt, das ein Gefängnis ist. Die dürfen nicht rechts und nicht links schauen. Die müssen sich selbst abliefern. Stumm. Ronaldos Zickigkeit stellt sich dagegen erfrischend selbstbestimmt dar. Und bedenken wir. Die Interviews der Spieler und die Berichterstattung. Das wird national kanalisiert. Nie wird über die nationalen Grenzen hinaus über Sport berichtet. Wir erfahren immer nur Ausschnitte, die schon für uns zurechtgeschustert sind. Da herrscht selbstverständlicher Ausschluss. Das war immer schon eine böse Folge. Und. Die Übertragung. Die Sicht aufs Spiel. Das ist ein Monopol. Das Spiel müssen alle so sehen, wie die Kameras des Monopols das wollen. Da ist jedes Spiel auf dem kleinsten Fußballplatz interessanter. Am Zaun stehen und sich den Blickwinkel selber aussuchen.
Ich mag Fußball nicht mehr so gerne, seit die Schiedsrichterentscheidung den Maschinen überlassen wurde. Die Wahrheit der FIFA beschreibt sich im System Hawke-Eye, das die FIFA 2012 einführte. Da wird der Ball durch die Kamera verfolgt. Das ist der Blick von oben. Der alles bestimmende Blick der Herrschenden, wie sich das in Vergabekorruption dann in die Wirklichkeit entwirft. Torlinientechnologie gegen die Entscheidung der Person. Geld gegen Würde. Geldverdienen ohne Personen. Das ist ohnehin der Himmel für die Geldgier. Ganz ohne Schiedsrichter könnte endlich wirklich manipuliert werden. Und. Die Schandlöhne für Bauarbeiter sind da systemisch eingeordnet. Am Ende sitzt ein weißgekleideter Mann auf einem Thron und tätschelt dem FIFA-Präsidenten das Händchen. Währenddessen. Wir sitzen stumm in unseren kalten Wohnungen und schauen dem Weltuntergang entgegen. 2050. Wenn es schlimmer werden wird. Mit der Hitze. Mit dem Wasser. Mit den Arten. Mit uns. Wir werden wie die Buben in Rom versuchen müssen, auf die Insel der Bestimmenden zu kommen. Wir werden uns gegen die gegen uns aufgerichteten bürokratischen Zäune werfen müssen.
Das Paradies. Das liegt jetzt einmal in Katar. Die Gastarbeiter sind schon fast alle abtransportiert. Störungslos wird die "tollste Show der Welt" sich unter Aufsicht der Sicherheitskameras abspulen. Und wir bezahlen das alles, ohne irgendetwas sagen zu können, weil wir keinen Plan haben, uns unabhängiger zu machen. Wir sind und wurden in Zusammenhänge verstrickt und damit der Korruption ausgeliefert. Insgesamt und geheim. Im Fall der FIFA ohne unser Wissen. Es wird Zeit, uns zu emanzipieren und damit einem Demokratischen näher zu kommen. Friedlich und durchaus paradiesisch könnte das sein. Wie zum Beispiel bei einem U11-Spiel bei Altera Porta. Da wird bei jedem Tor applaudiert. Gleichgültig, welche Seite es geschossen hat. Fußball eben.