Fußballkolumne: Austria Wie?
Heuer dürfen fünf von zehn Teams aus der heimischen Bundesliga im Europacup mitspielen. Die Austria (aller Voraussicht nach) nicht. Sie liegt auf Platz sechs. Nach der Niederlage vom Wochenende gegen den Aufsteiger LASK droht ein Fiasko. Aber auch irgendwie bloß Alltag. Zum vierten Mal innerhalb der letzten sieben Jahre dürfte der Traditionsverein den Europacup verpassen. Am Samstag stellten Fans den Sportdirektor zur Rede: Eigentlich sollte der vor drei Spielzeiten installierte Franz Wohlfahrt der Austria ein sportliches Fundament schaffen. Doch bis heute ist nichts vorhanden. Der Verein, der einst für das schönste Fußballspiel des Landes stand, weiß noch immer nicht, wie man spielen will. Noch schlimmer: Die Austria wiederholt seit Jahren ihre Fehler.
Red Bull-Fußball statt Ballbesitzfußball
Eigentlich wollte der traditionsreiche Klub spielen, wie man bei der Austria nun mal Fußball spielt: den Gegner dominieren, mit viel Ballbesitz und technischer Finesse. Trainer Thorsten Fink zog das Spiel aber so behäbig auf, dass es die Gegner (nach zwei Jahren, aber doch) durchschauten. Sportdirektor Franz Wohlfahrt redete sich zwar lange auf viele Verletzte, unglückliche Spielverläufe und charakterschwache Spieler aus, ehe dann doch der Trainer entlassen wurde. Statt Ballbesitzfußball wird jetzt Red Bull-Fußball gespielt. Sprich: Pressing, Umschaltmomente, höheres Verteidigen. Also so ziemlich das Gegenteil von Ballbesitzfußball. Das passt interessanterweise gar nicht so schlecht. Die Austria hat einige schnelle Spieler, die den Tempokick besser umsetzen als das langsame Ballbesitzgeschiebe. Sportdirektor Franz Wohlfahrt steht seit Monaten in der Kritik. Der Vorwurf: Er habe die falschen Fußballer für die Spielweise der Austria (nämlich Ballbesitzfußball) geholt. Während bei Salzburg ein Junger nach dem anderen einschlägt, kennen die Austria-Verpflichtungen Ruan, Alhassan und Lee nur eingefleischte Fans. Sie sollen wieder abgegeben werden. Generell wirkt alles holprig zusammengeschustert, aber nicht mit Weitsicht geplant.
Die Überphilosophie ist, dass ich keine fixe Philosophie habe.
Überraschung ist das keine. In seinem ersten größeren Interview betonte die Klublegende Wohlfahrt: „Die Überphilosophie ist, dass ich keine fixe Philosophie habe.“ Wenig später beantwortete er während einer Fernsehdiskussion nicht, wohin er den Verein entwickeln wolle. Dabei hatte ihn Präsident Wolfgang Wolfgang Katzian noch vollmundig präsentiert: „Franz Wohlfahrt hat ein klares Konzept vorgelegt." Wohlfahrt entgegnete aber: "Ich habe präsentiert, dass ich Zeit brauche, um klare Konzepte zu erstellen.“ Katzian erklärte: „Er steht für ballbesitzorientierten Fußball.“ Wohlfahrt entgegnete: „Das ist eine Floskel.“ Dabei hätte die Austria dringend einen Mann mit strategischem Feinsinn und visionären Ideen gebraucht. Schon davor wechselte der Verein mit jedem Trainer die Art und Weise, wie man Fußball spielen will. Einer ließ offensiv spielen, der andere defensiv. Für jeden Trainer (und jede neue Philosophie) kamen neue Spieler.
Wir stehen halt als Austria traditionell bedingt für einen technisch hoch stehenden Fußball
Derzeit befindet sich der Verein wieder einmal auf Identitätssuche und blickt in der Not interessiert nach Salzburg, wo strategisch so ausgefeilt wie nirgendwo sonst in Österreich gewerkt wird. Die Kampfmannschaft der Austria spielt unter dem deutschen Ex-Red Bull-Trainer Thomas Letsch Pressing und Umschaltfußball. Das Paradoxon: Im Nachwuchsbereich werden die Spieler weiterhin auf Ballbesitz getrimmt. Nachwuchschef Ralf Muhr erklärte zuletzt in einem Interview mit dem Fußballportal „laola1.at“: „Wichtig ist immer zu erkennen: Für was steht man? Wir stehen halt als Austria traditionell bedingt für einen technisch hoch stehenden Fußball, wir wollen über einen kontinuierlichen Spielaufbau, über Kombinationen zum Torerfolg kommen. Wir sind eben nicht die Ausbildungseinrichtung, die auf zweite Bälle den Fokus legt oder die sich aufs Umschaltspiel definieren lässt. Wir legen auf andere Parameter wert und das ist schon wichtig bei der Spielerauswahl.“
Sprich: die Austria verfolgt für die Kampfmannschaft und den Nachwuchs zwei unterschiedliche Philosophien. RB Salzburg, das derzeit mit vielen Jungspunden ins Europacup-Halbfinale gestürmt ist, lässt dagegen in jeder Altersstufe bis hin zu den Profis den identen Spielstil unterrichten. Dadurch kennen Spieler aus dem Nachwuchs automatisch den Fußball aller Teams und lassen sich schneller in der Bundesliga integrieren. Trainer Letsch kann derzeit bloß begangene Fehler kaschieren, ein nachhaltiger Aufbau funktioniert so nicht.
Nichts mehr übrig von Fink-Spielweise
Sportdirektor Wohlfahrt meinte zuletzt: Der Philosophiewechsel sei halb so schlimm. Auch unter Fink habe die Austria gelegentlich so gespielt wie jetzt unter Letsch. Blöd nur, dass ein Spieler betonte, von der Fink-Spielweise sei so gut wie nichts mehr übrig.
Die Austria hat in der aktuellen Saison 14 Spiele (von 31) verloren, liegt mit 39 Punkten auf Rang 6, sieben Zähler hinter einem Europacup-Startplatz. Dazu kommt das Chaos bei der künftigen Ausrichtung des Vereins: Behält die Austria den neuen Trainer, müssen Spieler (die jetzt schon gesucht werden) zu dessen Spielweise passen. Kommt ein anderer Betreuer, etwa gar mit einer anderen Ausrichtung, sollte alles darauf abgestimmt sein. Fazit: Alles gerade ein wenig schwierig bei der Austria.
Aus den Worten des Sportdirektors wird man nicht recht schlau. Seine Analysen gestalten sich nach einem Muster. Lange wurde die Misere mit den vielen Verletzten erklärt. Waren die Spieler fit, unkte er: Sie laufen zu wenig. Eine andere Variante: Das Geld reicht nicht, um große Sprünge zu machen. Dabei dürften heuer der LASK und die Admira der Austria den Europacup-Platz wegschnappen. Und das obwohl beide weniger als ein Drittel des Etats der Wiener zur Verfügung haben.
Am sportlichen Erfolg der Austria hängt ein ganzes Geschäftsmodell. Wenn der Verein zum vierten Mal innerhalb der letzten sieben Jahre die Europacup-Teilnahme verpasst, bringt das finanzielle Einbußen, weniger Ansehen und einen Rückfall im UEFA-Klubranking. Das hat Auswirkungen auf die Setzung. In der Euroapcup-Qualifikation warten dann nicht mehr Gegner aus Montenegro oder Norwegen, sondern womöglich aus Italien oder England. Künftiger Erfolg wird also mit jedem Jahr des Misserfolgs unwahrscheinlicher. Dem Verein fehlt aber eine ganzheitliche Strategie, um vehement gegenzusteuern.
Ich habe es mir angewöhnt, immer ans nächste Spiel zu denken und sonst an nichts.
Ralf Rangnick, der Stratege des Red Bull-Fußballs, meinte einst: „Es muss im Verein immer jemanden geben, der das große Ganze im Blick hat.“ Und der einstige ÖFB-Sportchef Willi Ruttensteiner erklärte: „Der Teamchef will das nächste Spiel gewinnen, der Sportdirektor das nächste Jahrzehnt.“ Franz Wohlfahrt sagte zuletzt: „Ich habe es mir angewöhnt, immer ans nächste Spiel zu denken und sonst an nichts. Nicht an das, was nächste Woche kommt, weil das ist viel zu weit weg. Es gibt so viele ungewisse Faktoren im Sport, dass man nicht genau sagen kann, was in neun Tagen passieren wird.“
Am Wochenende erklärte Wohlfahrt die Misere der Austria relativ unspektakulär: „Nach dem ersten Spiel (nach der Winterpause, Anm.) hat es drei Niederlagen gegeben und dann kommst du in einen negativen Flow, wo du als Mannschaft sehr schwer rauskommst.“ Es war eine typische Wohlfahrt-Analyse, die zwar beschreibt, dass es nicht läuft, aber nicht ergründet, warum.
Franz Wohlfahrt soll im Aufsichtsrat des Vereins nicht unumstritten sein. Doch er alleine ist nicht schuld. Die Vereinsführung und deren Einflüstern haben das Amt des Sportdirektors wie einen Versorgungsposten definiert, nicht aber wie einen visionären Managerjob. Während sich RB Salzburg trotz gekürzter Sponsorenmillionen zu einem europaweit geachteten Vorzeigeprojekt nachhaltiger Arbeit gemausert hat, und selbst Aufsteiger LASK strategisch ausgefeilt wirkt, präsentiert sich der Wiener Traditionsverein konzeptlos.
Vor drei Jahren schloss Austria Wien die Saison auf Platz sieben ab. Heuer dürfte es Rang sechs werden. Die Baustellen von damals und heute sind ähnlich. Es wirkt so, als habe der Verein nicht dazu gelernt.