Fußballkolumne: Kein Mann der klaren Worte
Marcel Koller hatte gestern einen ungewöhnlichen Auftritt. Bei der Abschluss-Pressekonferenz zum erfolglosesten Jahr seiner Teamchef-Ära setzte er zu einem 25-minütigen Monolog an. Einen derartigen Redeschwall hatte der schweigsame Schweizer bislang nicht geliefert. Koller hatte sich Notizen gemacht. Punkt für Punkt – ordentlich wie Koller nun mal ist – arbeitete sich der Teamchef durch das Länderspieljahr. In zwölf Spielen setzte es sechs Niederlagen. In den vier Jahren davor hatte sein Team insgesamt nur achtmal verloren. 2015 kassierte das ÖFB-Team sechs Gegentore, heuer ganze siebzehn Stück. Die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in zwei Jahren ist beinahe verspielt. Marcel Koller steht so heftig in der Kritik wie bisher nur kurz nach seiner Bestellung. Damals wurde er von argumentationsschwachen Legenden befeuert. Aktuell ist die Kritik an seiner Person erstmals ernstzunehmend. Doch Koller versteht es nicht damit umzugehen. Immer mehr verschanzt er sich hinter Ausreden, Plattitüden und Durchhalteparolen. Dabei verwickelt er sich zunehmend in Widersprüche. Sein gestriger Monolog schien vor allem ein geschicktes Manöver zu sein. Es schien fast so, als wollte er einen großen Teil der öffentlichen Prozedur dazu verwenden, den Fragen der Journaille ausweichen. Tatsächlich blieb danach nur mehr wenig Zeit dafür.
Schon die schwachen Auftritte während der Europameisterschaft wurden schnell vom Tisch gewischt. Eine Pressekonferenz sollte alle Fragen beantworten. Die Spieler waren nicht in Form, hatten zu wenig Erfahrung bei großen Turnieren, konnten mit dem Druck nicht umgehen, sagte Koller dort. Die Erklärungen klangen lapidar. Sich selbst verschonte Koller. Dass er selbst als Trainer keine Erfahrung bei einem großen Turnier hatte, dass er selbst möglicherweise überfordert war, in bloß drei Spielen die richtigen Rezepte zu finden – kein Thema. In den rar verteilten Interviews danach wurde darauf verwiesen, die Europameisterschaft bitte nicht zu thematisieren. Die Öffentlichkeit musste sich damit begnügen, dass die Spieler nicht in Form waren und der Weg Kollers weitergegangen werde.
In Kollers Logik scheint alles ganz einfach: Das Spielglück, das auf dem Weg zur Europameisterschaft noch da war, fehlt jetzt auf dem Weg zur Weltmeisterschaft. Ging der Ball früher ins Tor, geht er nun daneben. Waren die Spieler einst selbstbewusst, sind sie nun von Selbstzweifeln geplagt. Insgesamt, schließt Koller daraus, sehe aktuell zwar alles ziemlich düster aus, dabei sei es das gar nicht. Es müsse nur wieder mehr Spielglück her, mehr Effizienz vor dem Tor. Die Spieler müssen Selbstvertrauen tanken.
Sein Kapitän Julian Baumgartliner, einer aus der Intellektuellen-Fraktion des Teams, von den deutschen Taktik-Nerds Thomas Tuchel und Roger Schmidt mit Strategieverständnis indoktriniert, sieht das anders. Baumgartlinger merkte an, dass man den bisherigen Stil im Sinne der Konstaz eben durchziehe. Aber: "Die Gegner bereiten sich auf uns vor. Das gehört auch zur modernen Spielanalyse und Vorbereitung dazu, dass der Gegner versucht, uns das Leben so schwer wie möglich zu machen.” Sprich: Es liegt möglicherweise nicht an selbstzweifelnden Spielern, zu wenig Effizienz oder am Spielglück. Das ÖFB-Team ist durchschaubar geworden. Die Erfolge der letzten Jahre finden sich heute auf den Laptops der gegnerischen Trainer, die vor den Spielen Gegenrezepte entwickeln, während Marcel Koller darauf hofft, dass das Gegengift unwirksam bleibt.
Fünf Widersprüche Kollers von gestern:
1. „Wenn man oben ist, darf man sich nicht ausruhen, man muss mehr tun, das kommt nicht von alleine, man muss sich in den Hintern kneifen.“
Klingt ein wenig nach: die Spieler haben zu wenig getan und müssen mehr tun. Kurz darauf aber der Schwenk: „Der Mannschaft kann man keinen Vorwurf machen, dass sie sich nicht reingehauen hätten oder überheblich oder schlampig gespielt hätten.“ Was genau Koller mit seiner kryptischen Ansage meint, bleibt darauf unklar.
2. Ist sein Team ausrechenbar geworden? „Der Gegner beobachtet uns natürlich auch.“ Koller verweist aber darauf: man könne nicht alles auf den Kopf stellen. Und man müsse sich entscheiden, ob man wirklich destruktiven Konterkick mit langen Bällen nach vorne sehen wolle oder aber Fußball.
Dabei verschweigt Koller, dass man erst zuletzt gegen Irland – ob freiwillig oder vom Gegner dazu gedrängt – auf lange Bälle gesetzt hat. Koller übersieht, dass seine generelle Herangehensweise, nämlich das Spiel zu gestalten, nicht kritisiert wird. Kritisiert wird die Anpassung des Spiels auf den jeweiligen Gegner, der den immer gleich vorgetragenen Automatismus im Spiel der Österreicher durchschaut hat. Koller will seine Idee weiter verfolgen, weil er sie fünf Jahre lang in die Köpfe der Spieler getrichtert hat. Soll er auch. Bloß adaptieren wird er seinen Plan müssen. Für jeden Gegner.
3. Koller: „Ich bin überzeugt von der Spielweise, für diese braucht man viel Selbstvertrauen. Wichtig ist, dass die Spieler in den Vereinen spielen und Selbstvertrauen vom Klub haben.“
Der Widerspruch dabei: Während der erfolgreichen Qualifikation für die Europameisterschaft spielten Marc Janko, Christian Fuchs, Marko Arnautovic oder Robert Almer teilweise wenig. Trotzdem trumpften sie im Nationalteam auf. Vor der Europameisterschaft kam Fuchs als englischer Meister, Janko als Schweizer Meister, David Alaba als deutscher Meister, die meisten waren vollgepumpt mit Selbstvertrauen. Trotzdem verlief das Turnier erfolglos. Auch aktuelle spielen die Teamspieler bei ihren Vereinen nicht seltener als in den erfolgreichen Jahren – trotzdem spielen sie für Österreich nicht besser als einst, im Gegenteil.
4. Koller antwortete darauf: „Aber früher war beim Team alles super, jetzt kam hier auch Kritik dazu. Und jetzt bringen sie es nicht mehr, denn mit Kritik musst du umgehen können.“
Dabei vergisst Koller: Die Kritik kam erst nach mehreren dürftigen Leistungen. Nicht umgekehrt. Die Öffentlichkeit war vor der Europameisterschaft auf Kuschelkurs mit ihrem Nationalteam. Die schlechten Leistungen wurden eher gutgeredet als kritisiert. Wenn also zuerst der maue Kick war und viel später die Kritik einsetzte, kann schwer die Kritik als Argument für schlechte Leistungen herangezogen werden.
5. Man müsse auch einmal weniger schön spielen, meinte Koller. Einfach Punkte einfahren, ganz schnöde ergebnisorientiert. Damit widersprach er abschließend auch noch seiner Vision von schönem Fußball, die er die restliche Pressekonferenz über propagierte.
Marcel Koller hat das Nationalteam nach den Jahren der inferioren Betreuung auf internationales Niveau gehoben. Ein Spieler meinte damals hinter vorgehaltener Hand: Koller sei im Vergleich zu seinen Vorgängern ein Taktik-Großmeister. Im internationalen Vergleich aber ein handelsüblicher Trainer. Es war vor allem die schnelle, große Weiterentwicklung, die Koller eine Art Heiligenverehrung einbrachte. Jetzt ist er gefordert, das Nationalteam weiterzuentwickeln. Bei der Pressekonferenz verkündete Koller, er werde den eingeschlagenen Weg weitergehen. Für Neues, so der Teamchef, bleibe auf Nationalteam-Ebene mit den kurzen Lehrgängen, wenig Zeit. Dass sein Nationalteam da nicht auf andere Bedingungen als andere Nationalteams stoße, verschwieg er.
Koller hat recht, wenn er sagt, dass in den letzten Qualifikationsspielen nicht alles schlecht war. Oft hätte bloß ein Tor über Erfolg oder Nicht-Erfolg entschieden. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass es so weiter gehen kann. Es braucht mehr Anpassung auf das Spiel des Gegners. Und genau da bleibt Koller stur: Er wolle sich mehr auf das Positive fokussieren, nicht auf das Negative, und seine Linie fortsetzen. Für alles andere fehle die Zeit.
Mehr noch als für die mauen, aber nicht katastrophalen Leistungen von zuletzt, steht der Teamchef für seine Analyse in der Kritik. Es sind die Scheuklappen bei der Fehlersuche, die Koller zunehmend angreifbar machen.