Fußballkolumne: Nicht alle Wege führen zum Meistertitel
Rapid hat heuer die Nerven weggeschmissen. Aus einem einfachen Grund: Der Verein, der als Rekordmeister für die meisten gewonnenen Meisterschaften steht, wollte nach beinahe zehn Jahren ohne Titel endlich wieder Meister werden. Rapid-Präsident Michael Krammer, eine Machernatur, hatte alles dafür angerichtet. Ein neues Stadion, ein höheres Budget, Millionentransfers, ein neuer Trainer. Wer Meister werden will, der muss riskieren. Möglicherweise hat die Rapid-Führung aber zu sehr einen auf Fußball-Manager gemacht. Derzeit spielt der Verein nicht um die Meisterschaft, sondern könnte bald gegen den Abstieg kämpfen. Bloß sieben Punkte trennen Rapid und Tabellennachzügler Ried. Die Rückrunde in Zahlen: 6 Spiele, 3 Punkte, nur 4 erzielte Tore. So steigt man normalerweise ab. Ein Fiasko für den Verein mit dem zweithöchsten Budget der Liga und dem teuersten Kader der Vereinsgeschichte. Rapid, das lange vor eigenem Publikum seine Gegner demolierte, kommt nur mehr selten zu klaren Torchancen. Wie konnte es soweit kommen?
Die Geschichte beginnt beim Zauberwort des modernen Fußballs: Spielphilosophie. Noch vor kurzem rühmte sich Rapid, ein derartiges Spielstil-Dogma festgeschrieben zu haben. Ähnlich modern wie beim großen Ligakonkurrenten aus Salzburg sollte das Auftreten der Mannschaft nach fixen Mustern orchestriert werden. Die Idee dahinter klingt einfach: Es gibt Grundprinzipien, wie gespielt werden soll. Konkret: Rapid legte sich auf ein offensives, technisch versiertes, dominantes Spiel mit viel Ballbesitz fest. Der damalige Trainer Zoran Barisic hatte schnell Automatismen eintrainiert. Das Rapid-Spiel hatte Wiedererkennungswert. Vom Nachwuchs bis zu den Profis solle danach gespielt werden, hieß es. Der Vorteil dabei: Wenn Nachwuchsspieler in die Kampfmannschaft aufrücken, wissen sie bereits wie gespielt wird. Auch der Spielerscout hat es leichter: Er weiß schnell, welche Spieler für die eigene Spielweise zu gebrauchen sind und welche nicht. Und auch die Trainersuche ist strukturierter: Es muss ein Mann sein, der das spielen lässt, was man selbst spielen will. Eine Spielphilosophie zu verfolgen heißt im Klartext: Alles ist ein bisschen weniger vom Zufall abhängig. Legt der Verein keine Richtlinie und keine Präferenz fest, entscheidet alleine der aktuelle Trainer wie gespielt wird und welche Spieler er dafür benötigt. Läuft es ganz blöd, mag jeder Trainer anders spielen. Und weil jede Spielweise andere Spielertypen benötigt, kann das dem Verein ganz schön viel Geld kosten. Es gibt dazu genügend Beispiele in der jüngeren österreichischen Fußballgeschichte.
Rapid holte also zur festgelegten Spielphilosophie passende Spieler, spielte zumeist erfrischenden Fußball (außer zuweilen auf den Dorfplätzen der Liga) und wurde zweimal Zweiter. Dann folgte viel zerbrochenes Porzellan: Der Verein trennte sich von Trainer Zoran Barisic. Zu ausrechenbar sei das Spiel von Rapid. Der deutsche Sportdirektor Andreas Müller holte seinen Ex-Mitspieler Mike Büskens als Trainer. Kurz darauf feuerte die Vereinsführung beide. Präsident Krammer fühlte sich von seinem Sportdirektor hinters Licht geführt. Als „alternativlos“ habe ihm dieser seinen deutschen Landsmann präsentiert, mokierte er.
Rapid spielte in den letzten Jahren einen Fußball mit viel Ballbesitz, offensiv orientiert, dominant. Der neue Rapid-Trainer möchte den Ball am liebsten gar nicht haben, sondern ohne viel Herumgeschiebe zum Torerfolg kommen.
Wer Meister werden will, darf nicht lange fackeln. Das wusste die Rapid-Führung, die plötzlich aber alleine dastand, mit vielen Entscheidungen. Ohne erst einen Sportdirektor zu installieren, holte Rapid-Präsident Krammer seinen Trainer-Wunschkandidaten Damir Canadi – der bislang den SCR Altach nach vorne gecoacht hatte. Ob es nicht schwierig sei, eine derartige Personalentscheidung, als Laie, ohne Sportdirektor als fachliche Instanz, selbst zu treffen, fragten die kritischen Journalisten des Onlineportals 90minuten.at. „Muss ich ein Hund gewesen sein, um ein guter Tierarzt zu sein?“, antwortete Krammer, um nachzulegen: „Ich habe Spezialtechniker eingestellt, aber ich bin kein Techniker. Man kann Kriterien so abstrahieren und festlegen, dass man diese Personen sehr wohl qualifiziert aussuchen kann.“
Möchte man meinen. Trotzdem wirkt derzeit alles wenig nachvollziehbar. Kurz erklärt: Rapid spielte in den letzten Jahren einen Fußball mit viel Ballbesitz, offensiv orientiert, dominant. Der neue Rapid-Trainer möchte den Ball am liebsten gar nicht haben, sondern ohne viel Herumgeschiebe zum Torerfolg kommen. Stärker unterscheiden kann sich die Spielweise des aktuellen Trainers von der bisherigen Spielphilosophie des Vereins nicht.
Dazu kommt: Der Rapid-Kader wurde für das Ballbesitz-Spiel zusammengestellt. Sprich: Die alten Spieler passen nicht zum neuen Trainer.
Lauscht man den Aussagen der Protagonisten, ergibt sich ein verschwommenes Bild. Rapid-Präsident Krammer erklärte, dass ihn einst die Berechenbarkeit des Spiels störte, weshalb der Verein ganz bewusst von der Philosophie abweiche. Trotzdem soll weiterhin offensiv und dominant gespielt werden. Der neue Sportdirektor betonte: „Es ist nicht mehr so, dass die ursprüngliche Philosophie zuoberst steht. Mir ist es wichtiger, wie mit den Spielern umgegangen wird, nicht, in welchem System sie groß geworden sind.“ Dabei scheinen die Begriffe „Philosophie“ (also die grundsätzlichen Eckpunkte einer Ausrichtung) und „System“ (die Formation der Spieler auf dem Feld) durcheinander gebracht zu werden. Denn: Eine Philosophie macht auch dann Sinn, wenn nicht immer dasselbe System gespielt wird. Eine Philosophie soll grundsätzlich festlegen, wie man auftreten will. Mutig oder feige, stürmisch oder abwartend, ballbesitzorientiert oder eben nicht ballbesitzorientiert. Alles andere kann in alle möglichen Richtungen entwickelt oder auf den jeweiligen Gegner abgestimmt werden. Innerhalb verschiedener Systeme.
Canadi nagelt Rapid gerade auf seine Lieblingsspielweise fest. Dessen Spielstil benötigt gewisse Spielertypen. Rapid wird den Kader nach den Vorstellungen des Trainers umbauen müssen, soll dessen Konzept Chancen auf Erfolg haben.
Bei der Präsentation Canadis wurde hervorgehoben: Der Neue ist flexibel in seiner Spielausrichtung. Bislang hält der Neue aber stur an seinem Lieblingskonzept fest. Der Präsident wiederum betont: Mit dem neuen Trainer sei abgemacht, dass er seine Art von Fußball mit dem vorhandenen Kader umsetzen könne. Canadi hätte aber schon im Winter gerne neue Spieler gehabt; auch jetzt. Aktuell schließt der Präsident Veränderungen im Kader nicht aus. Wer Krammer zuhört, merkt schnell: Er wollte mit dem neuen Trainer flexibler Fußball spielen. Doch unflexibler als jetzt geht kaum. Canadi nagelt Rapid gerade auf seine Lieblingsspielweise fest. Dessen Spielstil benötigt gewisse Spielertypen. Rapid wird den Kader nach den Vorstellungen des Trainers umbauen müssen, soll dessen Konzept Chancen auf Erfolg haben. Dadurch stellt sich die Frage, was Krammer und Canadi vor der Vertragsunterzeichnung besprochen haben. Derzeit sieht es nach Kommunikationsproblemen aus. War Krammer nicht bewusst, dass der teuerste Kader der Vereinsgeschichte nicht für Canadis Konzept gebaut ist? Oder war besprochen, dass es Canadi flexibler anlegen würde und sich mehr an den vorhandenen Kader anpasst? Derzeit gibt sich Krammer noch ungerührt: Alles sei so geplant.
In den letzten Spielen zeigten sich die Probleme deutlich. Gegen überlegene Gegner wie Salzburg wirkt Rapid aus der selbst gezimmerten Außenseiter-Rolle ambitioniert aber glücklos. Gegen tatsächliche Außenseiter wie Mattersburg dagegen bloß einfallslos. Die vielen kleinen Teams der Liga setzen nämlich auf ähnliche Mechanismen: Auch sie wollen den Ball nicht haben. Gut möglich, dass Rapid dadurch nicht die nötige Dominanz entwickelt, die sich die Vereinsführung vorstellt. Bislang konnte Canadi das Reaktive eines Außenseiter-Trainers nicht abstreifen. Vor dem Spiel gegen Mattersburg grübelte er auf der Pressekonferenz, wie er die Angriffe der Mattersburger unterbinden könne. Nach den Spielen fabuliert er von wenig zugelassenen Möglichkeiten, dabei kommt seine Mannschaft zu beinahe keinen klaren Torchancen. Das Reaktive im Rapid-Spiel wirkt nach Jahren des dominanten Ballbesitzfußballs verstörend.
Rapid löst sich gerade von der vermeintlichen Abhängigkeit einer im Endeffekt dehnbaren Spielphilosophie.
Rapid hätte einen Trainer suchen können, der die bisherige Spielphilosophie weiterentwickelt, der sie weniger ausrechenbar adaptiert. Aber statt die Philosophie zu warten, hat sie der Verein gleich entsorgt. Übrig blieb nur der fromme Wunsch des Präsidenten, man wolle weiterhin dominant und offensiv spielen. Stadtrivale Austria Wien exerzierte vor wenigen Jahren vor, wo die Probleme an derart schnellen Wechseln der Spielweise liegen. Ein Trainer ließ ballbesitzorientierten Offensivfußball spielen, ein Anderer defensiven Konterfußball. Jeder benötigte dafür neue Spieler. Der Verein begann mit jedem Trainerwechsel von vorne. Dreimal verpasste die Austria einen Europacupstartplatz, landete einmal gar auf Platz 7. Rapid steht nach drei unterschiedlichen Trainern, zwei Sportdirektoren und einer Abkehr der jahrelang gewachsenen Spielphilosophie in nur wenigen Monaten gerade ebenfalls auf dem 7. Rang. Noch nie hatte der Verein zu diesem Zeitpunkt weniger Zähler auf dem Konto. Damir Canadi hat bloß zwei Siege in zwölf Meisterschaftsspielen geholt. Es macht den Anschein, als stünde da der falsche Trainer mit der richtigen Mannschaft oder der richtige Trainer mit der falschen Mannschaft auf dem Feld. Je nachdem. Jedenfalls scheint die Rapid-Führung die Puzzle-Teile nicht richtig zusammengesetzt zu haben.
Keine Frage: Was Canadi da probiert, kann möglicherweise gar zu Erfolg führen. Jedenfalls dann, wenn er seine Spielertypen bekommt. Fest steht aber auch: Rapid würde sich dadurch nachhaltig einengen. Statt flexibler würde man unflexibler. Kurz gesagt: Rapid löst sich gerade von der vermeintlichen Abhängigkeit einer im Endeffekt dehnbaren Spielphilosophie. Und stürzt sich in die vermeintlich größere Abhängigkeit eines festgefahrenen Spielkonzeptes. All das muss den Entscheidern bewusst sein, wenn sie jetzt die Geldbörse für neue Spieler öffnen.
Man stelle sich nur einmal das Schreckensszenario in Hütteldorf vor: Angenommen Damir Canadi bekommt im Sommer die Wunschspieler für seine Spielweise, scheitert aber trotzdem. Dann wird Rapid den nächsten Trainer verpflichten müssen. Gut möglich, dass der Verein nicht wieder einen Ballbesitz-Gegner (der ja nicht funktioniert hat) sondern das komplette Gegenteil sucht. Einen, dem dann die Wunschspieler Canadis nicht weiterhelfen. Das würde Rapid noch einmal viel Geld kosten und die Vereinsführung über den Sinn einer festgelegten Spielphilosophie grübeln lassen.