Fußballkolumne: Die Rückkehr des Donaufußballs?
Hin und wieder - vor allem zu guten Anlässen - darf man schon ein wenig nostalgisch sein. Am Montag dieser Woche, am 16. November, hätte Hugo Meisl, Architekt und Trainer des legendären österreichischen Wunderteams, seinen 134. Geburtstag gefeiert. Meisl wirkte von 1913 bis zu seinem Tod 1937 als Teamchef. In jener Zeit kickte sich der heimische Fußball international ins Rampenlicht und die Nationalelf erreichte bei der WM 1934 den 4. Platz. Doch nicht nur Österreich, sondern auch Ungarn und die Tschechoslowakei galten als Wegbereiter des schönen Fußballspiels, das im Gegensatz zum englischen "Kick and Rush" stand. In Wien sei der Spielwitz, in Budapest der Kurzpass und in Prag der Steilpass zu Hause, hieß es damals. Die Italiener prägten für diese Art des Fußballspiels die Bezeichnung "Calcio Danubiano".
Bei der WM 1954 hätte dieser "Donaufußball" seinen Höhenpunkt erreichen sollen. Ungarn fuhr als Favorit in die Schweiz, und Kapitän Ferenc Puskás meinte vor dem Turnier: "Die einzigen, die wir wirklich fürchten, sind die Österreicher." Der Ausgang dieser Angelegenheit ist bekannt: Deutschland holte sich gegen Ungarn dank des Wunders von Bern den Titel, Österreich musste sich erneut nur mit Platz 3 begnügen. Die Ungarnkrise zwei Jahre später besiegelte endgültig das Schicksal des Donaufußballs.
Doch am Sonntag vergangener Woche, einen Tag vor Meisls Geburtstag, durften sich die Fußballfans seit langem - nach Wien und Prag - auch wieder in Budapest über einen internationalen Erfolg freuen. 44 Jahre ist die letzte Teilnahme Ungarns bei einer Europameisterschaft her, WM-Luft schnupperten unsere Nachbarn das letzte Mal 1986 in Mexiko. Österreichs Bilanz sieht bekanntlich nicht viel besser aus. Einzig Tschechien konnte in den 1990er-Jahren international für Aufsehen sorgen. 2016 sind aber das erste Mal seit langer Zeit wieder alle Länder des "Donaufußballs" bei einem großen Turnier zu sehen. Dürfen wir uns also über die Rückkehr einer modernen Variante des einst gepriesenen "Calcio Danubiano" freuen?
Hat Österreich mit Rapid Wien und Tschechien mit Viktoria Pilsen und Slovan Liberec Vertreter in der Europa League, schaffen es die ungarischen Klubs jahrein, jahraus nicht in die Gruppenphase internationaler Bewerbe.
Zu den Fakten: Österreich steht in der FIFA-Liste auf Platz 10, Tschechien belegt den 17. und Ungarn den bescheidenen 33.Rang. Österreich hat in den Qualifikationsspielen mit null Niederlagen und 28 Punkten so richtig überzeugt, Tschechien spielte mit zwei Niederlagen und 22 Punkten eine sehr solide Quali. Einzig und allein Ungarn hatte mit nur vier Siegen und 16 Punkten zu kämpfen, setzte sich in den beiden Playoff-Spielen gegen Norwegen am Ende aber knapp durch. Nach altem Modus würden die Ungarn auch nächstes Jahr die EURO nur über den Fernseher verfolgen. Und auch auf Klubebene hinken die Magyaren stark hinterher: Hat Österreich mit Rapid Wien und Tschechien mit Viktoria Pilsen und Slovan Liberec Vertreter in der Europa League, schaffen es die ungarischen Klubs jahrein, jahraus nicht in die Gruppenphase internationaler Bewerbe.
Zum Spielstil: Österreichs Teamchef Marcel Koller hat sich in den vergangenen Jahren einen Stamm an international erfahrenen Spielern aufgebaut. Die Rollen sind klar verteilt, die Defensive ist gefestigt, das Umschaltspiel funktioniert, der Sturm mittlerweile effizient (siehe Spiel gegen Schweden), und auch unter Druck versucht die Mannschaft ihre Stärken auszuspielen (siehe Spiel gegen Montenegro). Koller fügt die Einzelstücke aus Athletik, Taktik, Spielverständnis und - ja - hin und wieder aufblitzendem Spielwitz gekonnt zusammen. Tschechiens Spielweise ist ähnlich angelegt, das Team verfügt mit Spielern wie Tormann Peter Cech (Arsenal), Verteidiger Marek Suchý (Basel) oder Mittelfeldspieler Vladimír Darida (Hertha BSC) über Erfahrung in Topligen und Teamchef Pavel Vrba (früher Viktoria Pilsen) sorgt für Kontinuität.
Sollte das Team zumindest an die Erfolge Tschechiens der letzten 20 Jahre anschließen können, wäre das ein wunderbarer Lichtblick.
Anders jedoch auch hier die Lage in Ungarn. Mit Gábor Király steht zwar ein bekannter Mann im Tor der Ungarn. Der 39-jährige ehemalige Bundesliga- und Premier-League-Keeper (Hertha BSC, Crystal Palace) hat seinen Zenit jedoch schon überschritten und hütet im Herbst seiner Karriere wieder das Tor seines Heimatvereins Szombathely. Und auch der Großteil seiner Mitspieler im Nationalteam verdient in Ungarns Liga sein Geld. Spielerisch vermochte die Mannschaft im Zuge der Qualifikation nur selten zu überzeugen, und auch der kurzfristige Trainerwechsel im Sommer dieses Jahres war einer längerfristigen Aufbauarbeit nicht förderlich. Es bräuchte wohl ein "Wunder von Paris", sollte Ungarn bei der EURO 2016 eine relevante Rolle spielen.
Ob sich Österreich in Frankreich - die Ergebnisse betreffend - an den Zeiten des "Donaufußballs" orientieren wird können, ist allerdings offen. Sollte das Team jedoch zumindest an die Erfolge Tschechiens der letzten 20 Jahre (Finale 1996, Halbfinale 2004, Viertelfinale 2012) anschließen können, wäre das ein wunderbarer Lichtblick. Ganz ohne Nostalgie.