Gault&Millau-Herausgeber: „Der Gast ist König, auch wenn er anstrengend ist.“
Die Herausgeber des Gault&Millau, Martina und Karl Hohenlohe, über Wucher in der Haubengastronomie, seltsame Sonderwünsche und das Ende der Wochenendarbeit im Wirtshaus.
Wenige Stunden vor dem profil-Gespräch haben Martina und Karl Hohenlohe die neue Ausgabe ihres Restaurant-Guides in die Druckerei geschickt. Der Gault&Millau 2025 wird am 18. November präsentiert, über die genauen Ergebnisse und Veränderungen können die Herausgeber noch nichts verraten – sehr wohl aber über den Zustand der Haubengastronomie in Österreich. Ist die Branche nach Corona und Energiekrise im Umbruch?
Der Herausgeber des Gault&Millau in Deutschland, Jochen Rädeker, sorgte vor Kurzem mit einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ für Aufsehen. Darin erklärte er, die Spitzengastronomie neige nach Corona zum Wucher, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimme oft nicht mehr, er sprach sogar von Abzocke.
Martina Hohenlohe
Ich habe das auch gelesen. Mit einigem Erstaunen. Wir haben da eine andere Perspektive. Nachdem wir den Gault&Millau vor 19 Jahren übernommen haben, haben wir den Fokus unseres Guides ausgedehnt und sehr bald begonnen, nicht nur die Spitzengastronomie, sondern auch einfachere Restaurants und Wirtshäuser mit einer Haube auszuzeichnen. Wenn diese Wirtshäuser sich in der Transparenz der Produktbeschaffung verdient gemacht haben und bei der Zubereitung eine besondere Qualität aufweisen. Wenn das Schnitzel nicht aus der Fritteuse, sondern aus der Pfanne kommt, solche Dinge.
Den Wucher-Vorwurf könnte man aber auch solchen Wirtshäusern machen.
Karl Hohenlohe
Die Situation ist wohl wirklich nicht vergleichbar mit Deutschland. Ich finde, dass man in Österreich immer noch sehr oft sehr günstig gut isst. Ganz besonders, wenn man es mit Frankreich, Berlin, Italien oder der Schweiz vergleicht. Martina war gerade in den USA, da fällst du bei den Preisen vom Stuhl.
Martina Hohenlohe
Ich habe gebrannt wie ein Luster.
Aber auch in Österreich sind die Preise in der Gastronomie teils über dem Schnitt angestiegen. Läuft man nicht Gefahr, dass die Kunden die Inflation irgendwann nicht mehr mitmachen wollen? Laut der Insolvenzstatistik des KSV gab es in der Branche „Beherbergung und Gastronomie“ in den ersten drei Quartalen in Österreich schon 601 Pleiten.
Karl Hohenlohe
Aber gerade am Land funktionieren die guten Wirtshäuser, die, wenn sie schlau sind, die örtliche Bevölkerung möglichst einbinden, nach wie vor sehr, sehr gut.
Martina Hohenlohe
Es gibt bei den Insolvenzen, die in der Gastronomie tatsächlich sehr hoch sind, ein Stadt-Land-Gefälle. Der Fachkräftemangel ist am Land einfach noch viel dramatischer als in der Stadt. Es wird immer schwieriger, Mitarbeiter zu bekommen, also muss man die Öffnungszeiten einschränken, aber dann nimmt man weniger ein. Das kann ein Teufelskreis werden.
Karl Hohenlohe
In Summe sind die Österreicher etwas empfindlicher geworden in ihrem Konsumverhalten, aber am Ende geht es ihnen vor allem um ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Wenn das stimmt, dann hat man das Publikum schnell auf seiner Seite.
Der Härtetest folgt in den nächsten Wochen: Wir stehen unmittelbar vor der Gansl-Saison. Inzwischen sind 30 Euro für eine Portion normal. Aber was, wenn es über 40 geht?
Karl Hohenlohe
Ich glaube, es hat sich bei 30 Euro schon ziemlich eingependelt, oder?
Martina Hohenlohe
Ich habe vor Kurzem genau darüber mit Peter Zinter geredet, der gerade im Gasthaus Stern in Wien-Simmering kocht. Dort wird das Gansl heuer 39 Euro kosten. Aber das ist eben auch eine Weidegans, die ist im Einkauf schlicht ein wirklich teures Produkt. Ich glaube, dass die Österreicher, vor allem aber die Wiener, beim Gansl-Essen ein bisschen schmerzbefreit sind. Da sind viele Menschen durchaus bereit, für gute Qualität auch gutes Geld liegen zu lassen.
Gericht aus dem Wiener Steirereck: Amurkarpfen mit Pfirsich, Kohlrabi und Johanniskraut
Amurkarpfen mit Pfirsich, Kohlrabi und Johanniskraut (Steirereck, Wien)
"Ich glaube schon, dass unsere Leitbetriebe an der Spitze der Haubenpyramide für viele ausländische Gäste ein Argument sind, um zu uns zu kommen", meint Gault&Millau-Herausgeberin Martina Hohenlohe.
Der Menüpreis ist nicht die einzige Möglichkeit, mit der Restaurants ihre Kalkulation verbessern. Manche bieten keine Auswahl à la carte mehr an, sondern nur noch ein fixes Menü. Manche führen zeitlich beschränkte Seatings ein, um ihre Tische mehrfach vergeben zu können. Werden solche Praktiken vom Publikum angenommen?
Martina Hohenlohe
Die Carte blanche ist ein Thema für die Spitzengastronomie, da macht es für Gastronomen absolut Sinn, weil sie ihren Wareneinsatz genauer kalkulieren können. Und auch die Abläufe in der Küche werden wesentlich einfacher, wenn du nicht 50 Gäste mit jeweils unterschiedlichen Menüfolgen im Haus hast. Nicht alle Gäste schätzen das, weil sie individuelle Vorlieben haben und sich vielleicht bevormundet fühlen. Aber das ist eine Frage des Konzepts. Das muss man eben gut kommunizieren.
Karl Hohenlohe
Die begrenzten Zeiten, also dass du um 18 Uhr kommst und 20 Uhr wieder gehen sollst, halte ich für keine besonders schlaue Politik. Wenn du als Gast nach zwei Stunden hinausgeschmissen wirst, weil schon der nächste wartet, gehst du dort doch kein zweites Mal hin. Das ist für mich ein bisschen so, wie für Leitungswasser Geld zu verlangen.
Martina Hohenlohe
Aber es gibt auch Modelle für die Zukunft, die für alle Vorteile bringen. Zum Beispiel ein Abonnementmodell, bei dem Stammgäste an ihren Betrieb vorab eine gewisse Summe zahlen und dafür bestimmte Vorteile erwerben. Etwa dass sie bei der Reservierung bevorzugt werden, dass sie bestimmte Rabatte erhalten oder als Erste das Trüffelmenü bekommen – was auch immer der Gastronom innerhalb seines Konzepts anbieten kann. Dafür hat er eine Basisfinanzierung.
Karl Hohenlohe
Ich glaube, dass auch die Digitalisierung in der Gastronomie noch eine ganz wichtige Rolle spielen wird. Da geht es nicht nur um die Verwaltung von Waren und Ressourcen, sondern auch darum, dass ich mir von der KI schlaue unternehmerische Strukturen erstellen oder die Personalplanung machen lasse.
Die Personalknappheit in der Branche wird KI nicht lösen können. Es ist immer noch schwierig, Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, am Wochenende zu arbeiten oder 18-Stunden-Schichten zu machen. Müssen Gastronomen ihre Konzepte verändern?
Karl Hohenlohe
Ja, ich glaube, sie werden sich verändern müssen. Anders geht es nicht. Ich habe volles Verständnis für einen jungen Menschen, der vielleicht gerne in der Gastronomie arbeiten möchte, aber nicht am Samstag bis weit nach Mitternacht in der Küche stehen will. Mein Vorschlag wäre, dass man am Wochenende einen Zuschlag verlangen sollte, also dass man als Gast am Samstag einfach um zehn Prozent mehr zahlt – und dass dieser Betrag dem Personal zugutekommt.
Martina Hohenlohe
Viele Betriebe haben sich mittlerweile darauf eingestellt, am Samstag und Sonntag nicht mehr zu öffnen, um für Mitarbeiter attraktiv zu bleiben. Das ist natürlich schade für die Kundschaft, aber anders ist es im Moment einfach nicht zu machen.
Das Wochenende ist allerdings gerade für das besagte Landgasthaus oft essenziell.
Martina Hohenlohe
Ja, absolut. Da findet dann die Firmung oder die Taufe statt oder der Wochenendausflug. Aber selbst ein Leitbetrieb wie das Steirereck am Pogusch, wo du am Sonntag früher nie einen Tisch bekommen hast, ist inzwischen an dem Tag geschlossen, weil sie dafür zu wenig Mitarbeiter bekommen. Das sagt schon viel aus.
Karl Hohenlohe
Ich kann mich noch erinnern, wie mir Heinz Reitbauer senior einmal erzählt hat, dass sich die jungen Köche bei ihm angestellt haben, um gratis kochen zu dürfen. Einfach, weil sie etwas lernen wollten. Das ist alles vorbei.
Das hat auch René Redzepi im Kopenhagener Weltrestaurant Noma erfahren müssen, der mit seinem System, vor allem unbezahlte Praktikanten zu beschäftigen, einen ziemlichen Imageschaden gebaut hat.
Karl Hohenlohe
Als wir im Noma gegessen haben, standen 48 Köche in der Küche. Wahrscheinlich waren 40 davon unbezahlt. Ich glaube, teilweise sind die sogar für ihre Unterkunft selbst aufgekommen. Und dann stehen diese jungen Menschen zwei Monate lang mit einer Pinzette in der Küche und zupfen irgendein Blatt ab, damit ein Gericht fotogener aussieht.
"Es gibt auch Modelle für die Zukunft, die für alle Vorteile bringen. Zum Beispiel ein Abonnementmodell, bei dem Stammgäste an ihren Betrieb vorab eine gewisse Summe zahlen und dafür bestimmte Vorteile erwerben. Etwa dass sie bei der Reservierung bevorzugt werden, dass sie bestimmte Rabatte erhalten oder als Erste das Trüffelmenü bekomme."
Welche Rolle spielen Instagram und TikTok in der Branche? Influencer ziehen zweifellos ein neues Publikum an. Aber wohin eigentlich?
Martina Hohenlohe
Ich glaube, dass die Sichtbarkeit auf Social Media für Gastronomen heute extrem wichtig ist, sowohl um Stammgäste zu halten als auch um neue Gäste zu gewinnen, vor allem im jüngeren Bereich. Instagram und TikTok steigern die Reichweite besonders bei jüngeren Zielgruppen messbar. Als Gastronom kannst du das nicht ignorieren. Das Berufsbild des Kochs hat sich drastisch verändert. Ich sehe das aber nicht negativ. Es ist eine normale mediale Entwicklung, die uns in 20 Jahren ganz selbstverständlich vorkommen wird.
Karl Hohenlohe
Wenn wir über Trends bei den Jungen sprechen, wird eines ganz deutlich: Sie trinken weniger Alkohol. Auf dem Gebiet der alkoholfreien Getränkebegleitung tut sich gerade eigentlich am meisten. Das reicht von Fruchtsäften bis zu Tees und Essenzen, die unglaublich interessant sind. Ich trinke sehr gerne Alkohol, aber diese Entwicklung finde ich beeindruckend.
Ungebrochen ist auch der Trend zu immer noch ausgefeilteren Sonderwünschen, sei es wegen Unverträglichkeiten oder persönlichen Ernährungsprinzipien. Wie geht die Spitzengastronomie mit speziellen Bedürfnissen um?
Martina Hohenlohe
Mittlerweile gibt es in der Gastronomie eine gewisse Toleranz gegenüber der Intoleranz. Aber es kommt natürlich auch zu Situationen, die nicht so lustig sind. Mir hat ein Gastronom erzählt, dass sich jemand in seinem Restaurant, einem sehr klassischen Hotel-Restaurant, ein achtgängiges veganes Menü gewünscht hat, obwohl das nicht auf der Karte stand. Er hat dann tatsächlich mit großem Aufwand diesen Wunsch erfüllt. Und am nächsten Tag haben dieselben Personen bei ihm zum Frühstück Eier mit Speck bestellt. Da könnte man sich schon provoziert fühlen. Aber im Grunde ist man in der Branche schon an vieles gewöhnt.
Karl Hohenlohe
Wenn der Gast ein warmes Bier will, dann gibt man es ihm.
Martina Hohenlohe
Igitt.
Karl Hohenlohe
Der Gast ist König, auch wenn er anstrengend ist.
Gastronomie wird international zunehmend zu einem touristischen Faktor. Es gibt Regionen, die mittlerweile fast ausschließlich auf Kulinarik-Marketing setzen. Wie steht Österreich international da?
Karl Hohenlohe
Es gibt tatsächlich Leute, die nach Frankreich fahren, nur um ein Bressehuhn zu essen. Oder die sich eine Gegend anschauen, nur weil es dort etwas Spezielles zu essen gibt. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, uns auf diesen Trend draufzusetzen.
Martina Hohenlohe
In der Vergangenheit wurde zu wenig getan, um die Kulinarik in Österreich als Tourismusfaktor zu etablieren. Aber es wird inzwischen viel stärker darauf gesetzt, das ist gut und richtig so. Im Moment spielt sich das noch mehr im traditionellen Bereich ab: Du hörst vom wunderbaren Kaiserschmarrn und vom herrlichen Schnitzel und von dem urigen Wirtshaus mit der alten Lamperie. Aber ich glaube schon, dass auch unsere Leitbetriebe an der Spitze der Haubenpyramide für viele ausländische Gäste ein Argument sind, um zu uns zu kommen. Ich denke da an einen Konstantin Filippou, an die Obauers, an das Steirereck. Von Juan Amador weiß ich, dass ein großer Anteil seiner Gäste aus dem Ausland kommt. Wir stehen da also nicht am Anfang. Aber es ist sicherlich noch Luft nach oben. Zu bieten haben wir genug.