Geplagtes Frankreich findet das Lächeln wieder
"Das sollte uns allen ein wenig Moral und Vertrauen zurückgeben in das, was Frankreich ist", sagte Staatssekretär Jean-Marie Le Guen dem Sender iTele. Die Aussage verrät die großen Hoffnungen, die manche auf das Turnier gerichtet hatten. Es sollte eine Auszeit sein, ein kollektives Luftholen. Helfen, die Risse dieser erschütterten Nation zu kitten.
Was hat das Land in den vergangenen Monaten nicht alles ertragen müssen. Die Terrorserie des schwarzen Jahres 2015, eine endlose Sicherheitsdebatte, der soziale Zündstoff der Reformproteste, Überflutungen und die Hooligan-Krawalle in den ersten EM-Tagen. Und dann kritisierten gerade ausländische Besucher auch noch die magere Fußballstimmung. Falls "les Bleus" am Sonntag gegen Portugal tatsächlich den EM-Titel holen, dürfte dieser Erfolg zumindest in Frankreich die Turnierbilanz überstrahlen.
Der Gastgeber hat insgesamt ein wechselhaftes Bild abgegeben. Die Stimmung in den Stadien und auf den Fanmeilen war gut, viele Besucher schwärmten von ihrem Aufenthalt. Doch auch die Erinnerung an die schlechten Rasen in manchen Stadien wird bleiben. Und die schlimmen Bilder der Krawalle in Marseille werfen einen Schatten auf die Sicherheitsbilanz dieser so streng bewachten EM.
Außerdem haben die in letzter Zeit eher schwarzmalenden Franzosen eine Weile und wohl auch den Erfolg ihres Teams gebraucht, um so richtig aus sich rauszukommen. In der Gruppenphase waren es vor allem die ausländischen Gäste, die die Party schmissen, und die ersten Besucherzahlen der Fanmeilen gaben wenig Anlass zum Jubel. Am Donnerstag dagegen meldeten mehrere Fanzonen: "complet" - voll.
Der Sieg gegen den Angstgegner Deutschland verleiht nun der Debatte Auftrieb, ob die EM auch dem schwer angeschlagenen französischen Präsidenten Francois Hollande eine mögliche erneute Kandidatur im Jahr 2017 ein wenig leichter machen könnte. Der fußballbegeisterte Staatschef hielt sich mit Kommentaren bisher auffallend zurück. Er besuchte zwar jedes Spiel der "Bleus", Besuche in der Kabine sind aber nicht bekannt - möglicherweise auch, um Vorwürfe politischer Nutznießerei zu vermeiden.
Aber manche Regierungsmitglieder haben schon die Hoffnung geäußert, dass ein Titelgewinn helfen könnte, Hollandes Mantra "ca va mieux" ("Es geht besser") rüberzubringen. Ob das tatsächlich etwas ändert an Hollandes wenig rosiger Lage, ist zweifelhaft. Die großen Baustellen des Landes - Arbeitslosigkeit, Sicherheit, Reformen, Aufstieg der rechtsextremen Front National - verlieren auch mit einem französischen Sommermärchen nichts an ihrer Brisanz.
Aber ein bisschen Anlass zum Träumen wäre so ein Sieg schon. Die Erfahrung des Titelgewinns bei der Heim-WM 1998 lässt die Franzosen bis heute schwärmen. Der EM-Titel wäre eine Gelegenheit für eine zerrissene Nation, zumindest kurzzeitig zusammenzufinden.