Eine Frau sitzt in einem Frauenhaus auf einem Bett. Frauenhäuser bieten Schutz, wenn der Partner zur Gefahr wird. Dieses Foto stammt von einer Agentur.
Reportage

Hinter der Sicherheitsschleuse

In Österreich werden im Monat mindestens zwei Frauen von Männern ermordet. Am feministischen Kampftag besuchte profil deshalb ein Frauenhaus.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Der Blumenladen am Eck hat schon geöffnet, „08.03. – Weltfrauentag“, steht auf der Scheibe. Die Rosen, Dahlien und Tulpen stehen in großen Kübeln bereit, heute erwartet man ganz offensichtlich Kundschaft. Julia Brož vom Verein Wiener Frauenhäuser wird ziemlich sicher nicht unter ihnen sein. Blumen braucht sie am feministischen Kampftag keine, das wird spätestens klar, als sie die zweite Tür der Sicherheitsschleuse des Frauenhaus Nummer fünf aufdrückt. Zwei Stöcke über ihr sitzt eine Kollegin, die sie über eine Kamera beobachten kann und nach einer kurzen Anmeldung einlässt. Umsehen, warten bis die erste Tür ins Schloss fällt, wieder umsehen, die nächste öffnen. Dass Gefährder versuchen würden, ins Frauenhaus einzudringen, werde immer seltener, sagt Brož. „Durch Handys müssen sie nicht mehr physisch anwesend sein, um den Kontakt zu Frauen zu suchen und sie zu belästigen. Sollte es dennoch dazu kommen, haben wir eine Direktleitung zur Polizei.“ 

Von außen sieht das „Frauenhaus Wien 5“ wie jede andere Wohnungsanlage aus. Große Fenster, moderne Fassade. Die Passant:innen, die an ihm vorbeigehen, wissen in den meisten Fällen gar nicht, dass es überhaupt da ist. Auch profil wird die genaue Adresse hier nicht nennen, um die aktuellen und zukünftigen Bewohnerinnen nicht zu gefährden. 228 Plätze stehen gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern in der Bundeshauptstadt insgesamt zur Verfügung, über 70.000 Aufenthaltstage zählt man jährlich. „Für alle, die Schutz brauchen, ist Platz oder wird Platz geschaffen. Wir werden zu niemandem sagen, lass dich noch zwei Wochen schlagen und meld dich dann noch einmal“ , sagt Brož. 

Seit dem letzten Jahr richtet sich eines der fünf Frauenhäuser speziell an Mädchen und junge Frauen unter 25. „Es wenden sich Gewaltbetroffene aus allen Lebenslagen, mit den unterschiedlichsten sozialen Herkünften an uns. Junge Mädchen, die zuhause von Brüdern oder Vätern Gewalt erfahren, aber auch 70-Jährige, die ihre Partner nach 50 Jahren Ehe verlassen möchten“, sagt Brož. 

„Das hättest du sein können“

Die Wohnung Nummer zwei ist derzeit nicht belegt; ein großer heller Raum mit drei Betten, einer kleinen Essecke und einem eigenen Bad. Die Gemeinschaftsküche ist keine 15 Meter von ihr entfernt, gelb leuchtende Kästen, auf der Kücheninsel steht eine Obstschale und eine kleine Topfpflanze. Alles hier sieht freundlich aus, überall liegen Spielsachen, die Kinderküche vermisst ein Stück Pizza – wie in einem Kinderhotel, wären da nicht die ganzen Kameras. „Wenn Kinder die Zimmer das erste Mal betreten, bekommen sie oft ganz große Augen und sagen: ‚Hier gehen wir nicht mehr weg’“, sagt eine der Sozialarbeiterinnen.

Eine gelbe Gemeinschaftsküche. Im Vordergrund steht eine Obstschale.
Ein Bild, auf dem verschiedene Emotionen abgebildet sind.
Spielzeug in der Tobehalle.
Im Atelier stehen verschiedene Farbflaschen.
Eine Spielecke

14 Personen sind hier im Haus angestellt, kümmern sich um die psychische wie juristische Begleitung der Frauen und Kinder. Über 2000 Beratungen und Notrufe bewältigen sie zusammen mit ihren Kolleginnen in den anderen Wiener Frauenhäusern jährlich. Die Anfragen würden steigen, wenn Medien vermehrt über „Gewalt an Frauen“ berichten. „Die Femizide haben uns im Haus alle sehr betroffen gemacht. Natürlich denken sich viele der Frauen hier: Das hätte ich sein können. Aber auch gewalttätige Männer nutzen die Berichterstattung oft als Druckmittel, zeigen Frauen Zeitungsausschnitte, um zu sagen, das könnte dir auch passieren“, sagt Brož.

„Angst beginnt im Kopf, aber Mut auch“

Ganz oben im letzten Stock, auf der Dachterrasse, ist es am Weltfrauentag besonders windig. Das Schutznetz, das sich über den gesamten Bereich spannt, wippt bei jedem Windstoß. Es hängt da aus Sicherheitsgründen, schließlich soll niemand herunterfallen, aber eben auch niemand hineinklettern. „Bei manchen Frauen ist die Bedrohungslage so ernst, dass wir ihnen raten, erst einmal gar nicht hinauszugehen. Da ist die Terrasse und der Toberaum ein beliebter Spielort bei den Kindern, um sich richtig auszupowern“, sagt Brož. 

Der Toberaum sieht aus wie eine Turnhalle. Es gibt ein Klettergerüst, auf der Seite liegen ein Haufen bunter Schaumstoffpolster und ein grüner Kriechtunnel. „Hier feiern wir auch immer wieder Feste, Fasching zum Beispiel“, sagt Brož. Die Gemeinschaft im Frauenhaus sei generell sehr wichtig. Brož sagt: „Viele Frauen fühlen sich in ihrer Situation völlig isoliert. In den Gemeinschaftsräumen haben sie die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich zu vernetzen und auszutauschen. Sie merken dann, dass sie nicht alleine sind. In diesem Haus sind schon einige Freundinnenschaften entstanden.“

Bild in einem Frauenhaus: "Angst beginnt im Kopf. Mut aber auch! Wege entstehen dadurch, dass man sie geht."

In einem dieser Gemeinschaftsräume haben Frauen zusammen ein Bild angefertigt. Es hängt mitten im Raum, lilaner Hintergrund, am Rand zwei dunkelviolette Blumen. „Angst beginnt im Kopf, aber Mut auch“, steht groß darauf. Weltweit wird am 08. März demonstriert, heute auch in Wien. Wie aber fühlt sich so ein feministischer Kampftag im Frauenhaus an? „Wir sind ein Teil der Frauenbewegung. Heute blicken wir also einerseits auf das zurück, was wir bis jetzt erkämpft haben. Die Wiener Frauenhäuser gibt es mittlerweile seit über 40 Jahren, angefangen haben wir in einer kleinen Altbauwohnung. Aber natürlich sind wir noch lange nicht fertig. Heute ist sehr präsent, was sich noch tun muss“, sagt Brož. Das passt recht gut zu der zweiten Zeile auf dem Bild: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“

Wenn man das Frauenhaus verlässt, gilt das gleiche wie beim Eintreten. Umsehen, warten bis die erste Tür ins Schloss fällt, wieder umsehen, die nächste öffnen. „08.03. – Weltfrauentag“. Der Blumenladen am Eck hat geöffnet.

Hilfe und Beratungsstellen

  • Verein Wiener Frauenhäuser: Tel.: 05 77 22, online hier  
  • Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser: online hier
  • Frauenhelpline gegen Gewalt: Tel.: 0800 222 555,  online hier
  • Gewaltschutzzentren Österreichs: Tel.: 0800 700 217,  online hier  
  • Frauen- und Mädchenberatungsstellen: Tel.: 01 595 37 60, online hier 
  • Women Against Violence Europe: Tel.: 01 548 272 027, online hier
  • Männerberatung: Tel.: 0800 400 777, online hier
Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.