Das Wunder von Córdoba liegt 46 Jahre zurück. Wird manchmal zu viel darüber gesprochen?
Krankl
Über Córdoba kann nie zu viel gesprochen werden. Das ist ein Stück Fußballgeschichte. Aufgewärmt wird das Thema ohnehin nur von Journalisten. Ich selber spreche es nie an.
Es geht Ihnen also doch ein bisserl auf die Nerven.
Krankl
Überhaupt nicht. Das war wunderschön. Wir hatten eine Nationalmannschaft mit lauter Klassespielern. Und ich habe die Tore geschossen.
Der deutsche Ex-Teamspieler Paul Breitner bezeichnete Córdoba einmal als „Sargnagel“ des österreichischen Fußballs, weil der Erfolg zu groß gefeiert worden sei und zur Trägheit verleitet hätte.
Krankl
Der Paul Breitner ist ein Trottel. Der redet immer deppert und sagt, wir leben nur von Córdoba. Die Deutschen haben einen Spielfilm über ihren Weltmeistertitel von 1954 gemacht. Wen interessiert das? Er ist eifersüchtig.
Es gab aber auch die deutsch-österreichische Freundschaft. Bei der WM 1982 vereinbarte man einen Nichtangriffspakt, damit beide aufsteigen. Das Spiel endete 0:0.
Krankl
Wir haben damals nichts ausgemacht, das hat sich so ergeben. Unsere Mannschaft war einfach nicht gut in Form. Aber glauben Sie mir: Wenn ich die Chance gehabt hätte, ein Goal zu schießen, hätte ich eins geschossen. Dann wären die Deutschen wieder weggewesen.
Sie beklagten zuletzt, dass die heutige Generation nicht mehr Wienerisch spricht, sondern „wie Piefke“.
Krankl
Bei den Kindern fällt es mir auf. Meine zwei Enkeltöchter reden Hochdeutsch. Das ist unglaublich. Aber ich weiß, woher das kommt.
Woher?
Krankl
Aus dem Internet. Und von TikTok. Die Zeichentrickfilme sind alle in Hochdeutsch, und die Kinder übernehmen das. Ich mache mir Sorgen, dass der Dialekt verloren geht. Es muss doch jeder wissen: So reden die Wiener, so die Gscherten. Die junge Generation weiß das alles nicht mehr.
Bringen Sie Ihren Enkeltöchtern den Wiener Dialekt näher?
Krankl
Das ist sehr schwer. Ich rede ja selbst Hochdeutsch mit ihnen, weil sie sonst ständig fragen: Was sagst du, Opa?
Derzeit ist ein Deutscher der große Hoffnungsträger des österreichischen Fußballs: Teamchef Ralf Rangnick. Eine gute Wahl?
Krankl
Er ist sehr erfolgreich. Die Teamspieler setzen seine Vorgaben auf eindrucksvolle Weise um.
Sie waren schon einmal strenger mit ihm. Anfangs sagten Sie: „Ich mag Ralf Rangnick nicht, weil er ein arroganter Mensch ist und glaubt, den Fußball erfunden zu haben.“ Zudem sei er „kein Trainer“.
Krankl
Er hatte als Trainer nicht den Erfolg wie als Gestalter in Salzburg. Aber er lässt einen Fußball spielen, den er liebt, das finde ich gut. Persönlich kenne ich ihn nicht, habe noch kein einziges Wort mit ihm gewechselt. Kritisch war ich damals, weil ich einen Österreicher als Teamchef haben wollte.
Warum war Ihnen das so wichtig?
Krankl
Ich war der Meinung: Jede Nationalmannschaft soll einen Trainer aus ihrem Land haben.
Die letzten Teamchefs kamen nicht aus Österreich, sondern einmal aus der Schweiz und zweimal aus Deutschland.
Krankl
Der Fußball entwickelt sich so. Viele Länder haben jetzt ausländische Trainer. Ob ich das gut finde oder nicht, spielt da keine Rolle.
Sie waren von 2002 bis 2005 die letzte heimische Fußballlegende auf dem Teamchefsessel.
Krankl
Mich hat das mit Stolz erfüllt. Ich habe mein Land gerne vertreten. Mit Herz und Leidenschaft. Ich bin ein Patriot. Man darf das in der heutigen Zeit nicht mehr sagen. Aber ich bin stolz, ein Österreicher zu sein. Und es war mir eine große Ehre, hier Spieler und Trainer zu sein.
Sie hätten das Nationalteam gerne auch bei der Heim-EM 2008 betreut, wurden aber entlassen.
Krankl
Das hat mich damals sehr gekränkt. Und geärgert. Man hat mir das genommen. Dabei war es keine einfache Zeit: Ich hatte zwei Legionäre, heute gibt es 40.
Denken Sie manchmal noch daran, wie es gewesen wäre, mit Österreich zur EM zu fahren?
Krankl
Wir haben bei der EM 2008 einen Punkt geholt. Diesen einen Punkt hätte ich als Trainer mit einem Fuß gemacht.
Warum mussten Sie damals als Teamchef abdanken?
Krankl
Es gab Reibereien unter den Landespräsidenten. Mit meiner Art habe ich nicht zum ÖFB gepasst. Ich war umgeben von einer Beamten-Funktionärspartie.
Das System ÖFB mit seinen ehrenamtlichen Entscheidungsträgern steht 20 Jahre später noch immer in der Kritik. Bräuchte der Verband eine Strukturreform?
Krankl
Ja, die bräuchte es. Ehrenamtlichkeit geht nicht im Profisport. Aber in diesem Fall ist es gut, dass der Rangnick bei uns ist. Der lässt sich von keinem was sagen, fährt über alle drüber und will alles bestimmen. Für den ÖFB ist das vielleicht sogar eine Chance. Beim Rangnick braucht keiner nur einen Muckser machen.
Ein Deutscher könnte also den österreichischen Fußball reformieren.
Krankl
Ja, das kann er. Und das wird er.
Ich bemerke: Sie finden immer mehr Gefallen am deutschen Teamchef Rangnick.
Krankl
Tun wir nicht übertreiben. Aber es gefällt mir, dass er dort aufräumt.
So einfach wird das ohnehin nicht.
Krankl
Auch das vergönne ich ihm.
Das aktuelle Nationalteam wird gerne als goldene Generation bezeichnet. Ist sie besser als Ihre?
Krankl
Man kann das nicht vergleichen. Es war eine andere Generation, es war ein anderer Fußball. Wir waren 1978 ein Wunderteam. Es hat vor uns ein Wunderteam gegeben. Und jetzt muss es diese Mannschaft beweisen. Aber dafür muss sie bei der Europameisterschaft einiges erreichen.
Was muss erreicht werden, damit ein neues Wunderteam entsteht?
Krankl
Dass die Gruppe überstanden wird, ist eh klar. Es nicht zu schaffen, wäre lächerlich. Wir spielen zwar gegen Frankreich, Holland und Polen. Aber es kommen von sechs Gruppen vier Drittplatzierte weiter. Steigen wir da nicht auf, brauchen wir über diese Mannschaft und diesen Trainer nicht mehr reden.
Was erwarten Sie?
Krankl
Bei einer guten Auslosung können wir sehr weit kommen. Vielleicht bis ins Finale.
Das wäre eine Weltsensation.
Krankl
Nein. Das wäre es nicht. Österreich im Finale ist keine Weltsensation. Das ist möglich.
Vor Beginn der EM hat die UEFA den ÖFB-Jubel-Song „L’Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino verboten, weil zuletzt rassistische Textzeilen dazu gesungen wurden. War das Verbot richtig?
Krankl
Der Musiker kann doch nichts dafür. Das Verbot ist ein Blödsinn. Der Mann hat ein Lied über die Liebe geschrieben. Die Musik fetzt im Stadion. Na klar sollen sie das spielen.
Der Fußball wird immer politischer. Bei der WM in Katar 2022 trugen die DFB-Spieler Regenbogen-Armbinden, um gegen Homophobie zu demonstrieren. Ralf Rangnick sprach sich zuletzt gegen den Rechtsruck in Europa aus. Sollen sich Sportler politisch äußern?
Krankl
Nein. Die Politik hat im Sport nichts verloren. Da wird man ja nicht fertig, bei den vielen Themen, die es gibt.
Bei der WM 1978 in Argentinien war das Land eine Militärdiktatur. Hat Sie das damals gestört?
Krankl
Wir haben uns überhaupt nicht damit beschäftigt. Es ging darum, Fußball zu spielen und Tore zu schießen.
Sind Sie froh, vor 40 Jahren gespielt zu haben und nicht heute?
Krankl
Früher war es schöner. Da hatte nicht jeder ein Handy, und wir waren ungestörter.
Heute wären Sie wohl ein volltätowierter Multimillionär.
Krankl
Der Beckham hat damit angefangen – und jetzt sind alle tätowiert. Es gibt schöne Motive, richtige Kunstwerke. Aber ich mag das nicht. Auch die Frisuren bei den Fußballern schauen alle gleich aus: oben lang, auf der Seite kurz. Aber wenn ich mir die Bilder von 1978 anschaue, muss ich zugeben: Wir haben auch alle ausgeschaut …
Sie gelten als Stilikone, haben früh elegante Mode getragen. Woher kommt Ihr Interesse?
Krankl
Meine Frau hat in einem Kleidergeschäft gearbeitet. Wir waren damals alle narrisch auf die Glockenhosen. Meine Mutter musste mir sogar eine nähen.
David Alaba gilt als Stilikone der heutigen Generation und zierte die Cover von renommierten Modezeitschriften. Gefällt Ihnen sein Look?
Krankl
Alaba gefällt mir. Seine Outfits sind sehr extrem. Aber ihm steht das, er trägt große Modeschöpfer. Warum nicht.
Ist er der beste Fußballer, den Österreich je hatte?
Krankl
Wer soll ihn je einholen, bei den Erfolgen? Viermal Champions-League-Sieger. Da geht nicht mehr. Schade, dass er jetzt ausfällt.
Werden Sie viele EM-Spiele schauen oder lieber im Meer baden?
Krankl
Die Sonne werde ich in nächster Zeit nicht oft sehen. Ich ziehe mir fast jedes Match rein. 90 Prozent der Spiele schaue ich. Aber da will ich allein sein. Nur der Fernseher und ich.
Fiebern Sie mit Österreich noch richtig mit?
Krankl
Als Spieler und Trainer war das anders. Da war ich heißblütig. Wie ein echter Spanier. Ein Katalane. Ein Italiener. Heute schaue ich mir die Spiele zwar an – aber ohne große Gefühlsausbrüche. Das ist vorbei.