Interview

Harald Schmidt: „Es ist ein Privileg, ein alter, weißer Mann zu sein!”

Harald Schmidt bereut keinen einzigen seiner Jokes, bekommt von seinen Kindern Rassismus-Vorwürfe und debütiert an der Volksoper. Ein Gespräch.

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Harald Schmidt über sein Leben nach dem Vorruhestand: Warum Lederhosen nicht nur den Indigenen in den Alpen vorbehalten werden sollen, mit 65 der Leck-mich-Faktor auf XXL-Format wächst, er bei Sexismus und Machtmißbrauch keinen Spaß versteht und bei seinem Publikum mit dankbarer Ergriffenheit rechnet, „dass der alte Onkel noch aus dem Heim geholt wird.”

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profil: Was triggert der Begriff kulturelle Aneignung in Ihnen?
Harald Schmidt: Ich würde mich nie darüber offen aufregen, sondern sage ganz gelassen: Jetzt muss ich erstmal meine Winnetou-Kassetten im Regal weiter nach hinten stellen.

profil: Diese und andere Debatten rund um Identitätspolitik, Rassismus und Sexismus heizen ja auch den Generationskonflikt an. Ihre fünf Kinder sind wie alt?
Schmidt: Zwischen 29 und 15. Ja klar, neulich bin ich mit ein paar von denen im Auto durch Köln gefahren und habe vorbildlich angehalten, als eine Gruppe von Menschen, die von mir als Asiaten gelesen wurden, den Schutzweg überqueren wollten. Und natürlich habe ich dann so Laute in Fantasie-Chinesisch von mir gegeben. Die von mir als Asiaten Gelesenen haben freundlich zurückgewinkt, von meinen Kindern bekam ich den Vorwurf: „Papa, das ist ja rassistisch!” Dann habe ich zurückgerufen: „Wisst ihr denn überhaupt, womit ich mein Geld verdiene, und wovon ihr alle lebt?”

profil: Ist die Debatte um kulturelle Aneignung für Sie  nur belächelnswert?
Schmidt: Wenn es um Themen wie Machtmissbrauch und Sexismus geht, bin ich sofort dabei, dagegen anzutreten. Dazu wurde auch in der Volksoper bei unseren Proben zu „Die Dubarry” viel diskutiert. In dieser Operette geht es ja auch um so delikate Themen wie Zwangsprostitution, unterlegt von heiteren Melodien. Und die Männerfiguren werden, ohne jegliches Augenzwinkern, völlig richtig als versoffene und brutale Sexisten gezeigt. Aber was die sogenannte kulturelle Aneignung angeht, wird es schon ziemlich absurd.

profil: Ein persönliches Erlebnis auf diesem Terrain?
Schmidt: Neulich war ich bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung, wo allen Ernstes darüber diskutiert wurde, ob man dort Dinge wie Spaghetti, Pizza oder einen Espresso reichen darf, oder ob man damit die italienischen Mitbürger in ein Klischee-Eck drängt. Ich bin ja kürzlich in Gmunden aufgetreten: Dürfen Wiener im Salzkammergut keine Lederhosen mehr tragen, sondern nur mehr der Volksstamm „Indigene im Gebirge”? Das sind doch alles völlige First-World-Problems. Wenn aus deinem Wasserhahn kein sauberes Wasser kommt, sind dir Winnetou, Lederhosen oder Dreadlocks völlig wurscht. Und warten wir einmal ab, wenn der Winter kalt und das Gas knapp wird. Da geht es dann nämlich längst nicht mehr nur ums Warmduschen, sondern um ganze Industrien, die um ihr Überleben kämpfen.

Ich kann schon LGBQT sagen, ohne dass mir dabei ein Schneidezahn ausfällt.

Harald Schmidt

profil: Jetzt ist ja Empörung, befeuert durch die sozialen Medien, zu einer Art Gesellschaftssport geworden.
Schmidt: Meine Lieblingsphrase lautet „Du hast meine Gefühle verletzt.” Wobei: Das müsste man einmal durchdringen lassen, dass das im Rechtsstaat kein strafrechtlicher Tatbestand ist.

profil: Sprechen Sie woke, einst sagte man dazu „politisch korrekt“?
Schmidt: Tatsächlich kann ich heute auch schon „LGBTQ” sagen, ohne dass mir dabei ein Schneidezahn ausfällt.

profil: Wissen Sie, was eine Terf ist?
Schmidt: Keine Ahnung.

profil: Die Abkürzung für „Trans-exclusionary radical feminist”.
Schmidt: Da muss ich leider passen. Obwohl ich sonst durch den doch immer wieder auftretenden Kontakt mit meinen Kindern vokabularmäßig gut aufgestellt bin. Da sitze ich ja an der Quelle des aktuellen Sounds, der sich oft innerhalb eines Tages ändern kann. Ich möchte behaupten, dass ich auch deswegen auf jeder Woke-Welle geschmeidig mitsurfen kann. Ich brauche keine Taschenbücher von 48-jährigen Feuilleton-Redakteuren, die mir, weil sie mit ihren Unterhaltszahlungen im Rückenstand sind, die Jugendkultur erklären. Das kann man vergessen, denn das wirkt bereits vor dem Erscheinen sowas von vorgestern.

profil: In einem „Spiegel”-Interview zitieren Sie eine rumänische Philosophin, deren Namen mir entfallen ist...
Schmidt: Mir übrigens auch.

profil: Danke, das erleichtert mich. Jedenfalls definierte diese Philosophin Empörung als eine Form von negativem Narzissmus. Was sind das für Menschen, die so gerne meinungsmäßig überkochen?
Schmidt: Wahrscheinlich solche, denen ich durchaus mit einer  wohlwollenden Frage wie  „Würde dir jetzt vielleicht ein Teller warme Suppe helfen?” auf die Schulter klopfen möchte. Wir leben natürlich im Zeitalter aufgeregter Privatzensoren. Aber man darf nicht vergessen: Was von vornherein nur einen kaum spürbaren Prozentsatz der Menschheit aufregt, ist ja auch spätestens nach einem halben Tag medial durch, wie man an Winnetou sieht. Oder an unserem Vizekanzler Robert Habeck, der es innerhalb von neun Tagen vom Hosianna bis zu Kreuzigung in der „Bild” gebracht hat. Ich hatte schon immer den Verdacht, dass wir es hier mit „Germany’s Next Gutenberg” zu tun hatten. Das Lobgehudel von einem Mann, der im Gras liegt und damit einen ganz neuen Ton in die Politik bringt, ging ja auch schon den eigenen Parteifreunden auf die Nerven.  Abgesehen davon: wer redet heute noch von der „Fridays for future”-Bewegung?

profil: Nach einem Sommer voller Waldbrände und Dürrekatastrophen ist Klima wieder ganz oben auf der Themenliste.
Schmidt: Aber kennen Sie einen, der abends um zehn draußen sitzt und seiner Betroffenheit über den warmen Spätsommer empörten Ausdruck verleiht? Ich nicht, sondern nur solche, die finden: „Eine tolle Sache, dass man nach diesem Scheiß-Corona noch draußen sitzen und direkten Veltliner (ich bin kein Freund der Spritzer) trinken kann.”

Zur Person

Harald Schmidt, 65, feiert gerade sein Volksopern-Debut in der Rolle des Ludwig XV. in der Operette „Die Dubarry”. Als Late Night-Talker bei SAT1, der ARD und später Sky war der gebürtige Schwabe, der sich gerne als „Österreicher der Herzen” sieht, von 1995 bis 2014 der Mann, der den politisch inkorrekten Humor, wie ihn David Letterman in den USA prägte, im deutschsprachigen Fernsehen  salonfähig machte. Nach Jahren im Vorruhestand tritt Schmidt inzwischen sehr gerne in „diesem theaterbesessenen” Österreich auf, im Fernsehen verleiht er seine überschaubare Schauspielkunst an degenerierte Lords mit Mottenlöchern im Pullover und den gediegenen Kreuzfahrtdirektor Schifferle in  Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen und  dem „Traumschiff”. Beim Festival „Schwimmender Salon” in Bad Vöslau, das von profil-Redakteurin Angelika Hager kuratiert wird, ist er heuer bereits zum fünften Mal zu Gast gewesen.

profil: Als ausgewiesener Fan von Angela Merkel: Wie sind Sie mit der Performance von Olaf Scholz zufrieden?
Schmidt: Der Mann macht seine Sache ruhig, besonnen. Man darf ja nicht vergessen, was der Arme gerade alles an der Backe hat.  Eben gehen 300 000 Boomer auch noch in Pension.

profil: Den deutschen Medien entnehme ich, dass sich Ihr Pensionsanspruch auf 272 Euro beschränkt.
Schmidt: Es ist jetzt doch ein bisschen mehr, ich habe da was falsch ausgefüllt. Aber was mich freut, dass ich eine echte Debatte darüber los getreten habe.

profil: Sie bedienen ja mit einer gewissen Spiellibido in Ihren Interviews die Rolle des „alten, weißen Mannes.”
Schmidt: Natürlich. Interviews sind ja das beste Trockentraining für meine Standups. Ich werde mit einem Programm am Schauspiel in Stuttgart drei Mal im September auftreten.  Ich probiere jetzt  erstmal alle Pointen an den Wiener  Journalisten aus.

profil: Titel? Und in Angstbegleitung?
Schmidt: „Spielplananalyse 2022/23”. Der Spielplan ging schon in Druck, der Intendant machte welchen, und mir ist damals  kein anderer Titel auf die Schnelle  eingefallen. Inzwischen bedaure ich das: „Schnickschnack, Tabasco!” wäre mein Favorit gewesen, das ist ein Zitat aus dem James-Bond-Film „Der Mann mit dem goldenen Colt” und Britt Ekland ruft es einem bösen Kleinwüchsigen hinterher, der ihr die Austern ohne die Sauce serviert hat.   Und nein, natürlich null Angst. Ich bin inzwischen sehr viel besser geworden, weil ich ohne Druck und ohne jeden Ehrgeiz da hinauf gehe.

profil:  Sie hatten nach dem Ende Ihrer Show lange eine Art Vorruhestand praktiziert und die Schönheit des Tagesschlafs gepriesen.
Schmidt: Ja, diese Phase habe ich damals auch wirklich gebraucht. Ich war ja wie ein Hochleistungssportler, der erst einmal abtrainieren musste. Momentan regnet es ja das Material regelrecht herein. Herr Biden schenkte mir kürzlich den schönen Satz: „Ich sehe zwar nicht sehr fit aus, bin es aber.” Ein schöner Opener auch für mich. Kaum gingen die Termine in Stuttgart online, war die auch schon ausverkauft. Ich erwarte mir große, stumme Dankbarkeit, dass ich überhaupt noch auftrete. Wie bei einem alten Onkel, den man jetzt eben einmal aus dem Heim geholt hat. Und dann sind sicher auch noch welche von denen da, die finden: „Ich mag ihn nicht, aber ich will ihn sehen.” Die Menschen wollen lachen und haben es einfach satt, ständig von Zerknirschten umgeben zu sein, die sich morgens überlegen, ob sie sich an diesem Tag eher als Frau oder als Mann fühlen. Ich bin schon mit meinem Dasein als heteronormativer Cis-Mann gefordert bis zum Anschlag.

profil: Nützt sich der von Ihnen so zelebrierte Part des weißen, alten Mannes nicht auch einmal ab?
Schmidt: Nein, ich finde ihn großartig. Ich habe den Vorwurf, ein weißer, alter Mann zu sein, zu einem Privileg umgemünzt. Als Vertreter dieser Spezies ist ja der Leck-mich-Faktor auf XXL-Format. Das ist bitte nicht sexuell gemeint, sondern im Sinn von Stoizismus und Gleichgültigkeit. Man regt sich einfach nicht mehr über Sachen auf, auf die man ohnehin keinen Einfluss hat. Eine 25-jährige Online-Chefin, die heute entscheidet, welche Kolumnen von 60-jährigen Journalisten ins Netz gestellt werden, würde den Begriff „Leck-mich-Faktor XXL” sofort als Überschrift einsetzen, weil sie mit solchen Reizworten bekanntlich  die meisten Klicks für ihr Medium einfährt.

profil: Gibt es irgendeinen Joke aus Ihrer Karriere, den Sie zutiefst bereuen?
Schmidt: Nein, keinen einzigen. Aber es gibt Themen, die ich nie auch nur angerührt habe. Finger weg von allem, was nur den leisesten Verdacht von Antisemitismus erregen könnte. Das geht nicht bei der Geschichte unseres Landes. Wenn Fans heute alte Sachen von mir auf YouTube hochladen, steht dann oft drunter als Kommentar: „Heute würde er dafür verhaftet werden.” Aber ich wage noch immer zu behaupten: Wenn ein Auto heute auf der Autobahn rückwärts fährt, trägt es mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Nummernschild aus einem langjährigen westlichen EU-Land, das ist nun einmal ein Faktum.Bei uns galt im Late-Night-Team eine Faustregel: „Ab 10 000 Euro Nettoverdienst kennen wir beim Stand-up kein Mitleid.”

profil: Da fielen Sie ja theoretisch auch drunter.
Schmidt: Ich habe eben schon früh den B-und-B-Weg eingeschlagen. Börse und Bühne. Untertags mit Aktien handeln, abends schauspielen. Kann ich nur jedem Kollegen empfehlen, der keine Lust hat, mit Fernsehredakteuren, die nichts begreifen oder von Angst gezeichnet sind oder oftmals beides, über Rollenbilder zu diskutieren. Ich habe mir hart erarbeitet, nicht mehr diskutieren zu müssen. Und ich habe auch Todeslisten von Veranstaltern, die mich einmal schlecht behandelt haben. Wenn die mich jetzt engagieren wollen, werden die in die Pizzeria bestellt und ich verabschiede mich durch den Hintereingang.

profil: Sie sind ja inzwischen definitiv zu unserem ersten Beute-Deutschen geworden. Man hat den Eindruck, Sie treten vor allem in Österreich auf.
Schmidt: Ja herrlich.  Im Schwimmenden Salon bei euch in  Bad Vöslau nahm der Boom seinen Anfang, dann kam Gmunden, der Semmering, jetzt diese herrliche Volksoper, wo so bombastisch aufgefahren wird, und es noch Begriffe wie Regiekanzlei gibt.  Österreich ist ja ein so herrlich theaterbesessenes Land. Der Schmäh rennt, durchsetzt von so einer Grantigkeit. Und die Veranstalter kredenzen einem bereits vor den Auftritten herrlich gekühlten Veltliner und sind ganz enttäuscht, wenn man ihn nicht , im Gegensatz zu den heimischen Kollegen, erst danach trinken will. An meinen freien Tagen setze ich mich einfach in die Straßenbahn und erkunde die Stadt: Gestern war ich auf der Hohen Warte mit dem 37er, kürzlich fuhr ich mit dem 1er in den Prater.

profil: Lotte de Beer ist die erste Volksoper-Intendantin in der Geschichte des Hauses. Was halten Sie von dem Begriff Quotenfrau?
Schmidt: Das ist sie sicher nicht. Sie ist dort, weil sie was vorzuweisen hat. Und mit ihrem Konzept das Haus neu belebt. Und rosa beleuchten lässt. Es heißt ja schon jetzt „die Gürtelrose”.  In meiner Produktionsfirma waren übrigens alle Spitzenpositionen mit Frauen besetzt. Und so sollte aus auch sonst sein. Und damit Ruhe im Karton. Und wenn ich heute einer Frau ein Kompliment mache, setzte ich gleich das Wort Hashtag davor, also #dasKleidsiehtsuper aus. Natürlich weiß ich, dass ich mir Sätze wie „Die Hose sitzt aber gut” sparen kann. Die intelligenten Frauen finden das mit dem Hashtag lustig. Die, die deswegen Stress machen könnten, sind sowieso großräumig zu umschiffen.

profil: Hatten Sie je Stress mit Frauen in #Metoo-Angelegenheiten?
Schmidt: Nein. Ich kann nur sagen, dass ich manchmal selbst den Hemdkragen hoch schlage und schweige, wenn ich zuhöre, wie manche Frauen darüber ablästern.  Und dann die schüchterne Zusatzfrage stelle: „Ist hier irgendwo der Geheimdienst? Oder wollt ihr mich einfach nur prüfen?”

profil: Ist Ihre kunstvoll zelebrierte Arroganz, der erwählte XXL-Leck-mich-Faktor authentisch oder eine Attitude mit Schutzwall-Funktion?
Schmidt: Ich weiß es wirklich selbst nicht. Wahrscheinlich beides.

profil: Sie wurden eben 65. Denken Sie über den Tod nach?
Schmidt: Das muss man. Wenn der kommt, sollte man vorbereitet sein und nicht sagen: „Ach, jetzt schon, dafür war bis jetzt aber gar keine Zeit.” Ich habe das bei meiner Mutter gesehen, die vor eineinhalb Jahren mit 86 gestorben ist. Mein Bruder und ich sind für vier Wochen bei ihr eingezogen und sie ging friedlich und voller Dankbarkeit für ihr Leben. Sie hat sogar noch selbst den Priester angerufen.

profil: Wir sitzen hier in Wurfweite der „Votivkirche” im Hotel Regina. Besuchen Sie den Gottesdienst?
Schmidt: Letzten Sonntag war ich tatsächlich da. Ich und circa 50 meist hochbetagte, sehr elegante Damen. Der Priester begrüßte uns mit den Worten: „Schön, dass wir jetzt wieder alle vollzählig versammelt sind.” Was in dieser riesigen Kirche nicht unkomisch ist.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort