Haus Windsor: Wer folgt auf Königin Elisabeth II.?

Die Nachfolgeregeln im Hause Windsor: nie aufregen, nichts erklären. Einige Optionen sind trotzdem schon recht eindeutig vom Tisch.

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Wer eine gerade Linie von Elizabeth II., von Gottes Gnaden Königin von Großbritannien und Nordirland, Königin von Antigua und Barbuda, Australien, Bahamas etc. etc., Oberhaupt des Commonwealth of Nations, Verteidigerin des Glaubens, kurz: Her Majesty The Queen, zu ihrem mutmaßlichen Nachfolger und zweifelsfreien Sohn Charles, Prinz von Wales, Herzog von Cornwall, Herzog von Rothesay und Edinburgh zieht, gerät spätestens auf Höhe von Harry, Herzog von Sussex, Graf von Dumbarton, Baron Kilkeel ins Schleudern, sieht dann womöglich rechts hinten einen zerzausten britischen Premierminister namens Boris und direkt voraus einen gut besetzten Schlossbalkon, auf dem zu allem Überfluss auch noch ein gewisser Andrew samt Anhang steht – und wird am Ende froh sein, bei Camilla Rosemary, Herzogin von Cornwall und Rothesay, Royal Lady Companion des Hosenbandordens zu landen. Also bei jener Frau, die wider alle Erwartungen, Umstände und Verwandten erstaunlicherweise alles richtig macht im Hause Windsor.

Die Zukunft desselben erscheint derweil ja relativ klar: Die betagte Königin wird die Feierlichkeiten zu ihrem 70-jährigen Thronjubiläum im Juni mehr oder weniger sitzend im Kreise einer Familie verbringen, die schon seit Jahren im Schrumpfen begriffen ist und seit dem Tod ihres Mannes Philip, dem freiwilligen Abgang ihres Enkels Harry und dem eher erzwungenen ihres Sohnes Andrew inzwischen reichlich schütter wirkt. Millionen von Menschen werden ihr dabei zusehen und sich unter der Anleitung gut betuchter TV-Moderatorinnen fragen, wohin die Reise noch gehen kann für die wohl wirklich letzte britische Königin (die Nachfolger von Elizabeth II. sind bis in die dritte Generation männlich und die Jahre der britischen Monarchie schön langsam gezählt).

Eine Abdankung der seit vergangenem Donnerstag 96-Jährigen sei, so die Palastdeuter der britischen Presse, trotz wachsender gesundheitlicher Defizite nicht im Bereich des Denkbaren. Auch eine formelle Prinzregentschaft von Charles werde nicht angestrebt, obwohl sie de facto längst besteht. In dieser Pseudo-Regentschaft des kommenden Königs nimmt dessen zweite Ehefrau Camilla eine tragende Rolle ein. Die „Vanity Fair“ bezeichnete Camilla jüngst sogar als „eine der größten Erfolgsgeschichten der Monarchie“ und „eine entscheidende Stütze für deren Zukunft“: Seit ihrer Hochzeit mit Charles 2005 habe sie ihre Popularität inner- wie außerhalb des Palasts deutlich erweitern können.

Nach innen stärkt sie die Familienbande, nach außen vermeidet sie die typischen Windsor-Fehler – Großkotzigkeit, Volksferne, latenten Rassismus – und betreibt zeitgemäße Wohltätigkeit (u. a. für Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt). Außerdem macht sie, wie ebenfalls „Vanity Fair“ berichtet, keinen besonderen Aufwand in der Erhaltung: „Sie reist mit kleiner Entourage, die einen Privatsekretär, einen persönlichen Assistenten, eine Zofe und eine Friseurin umfasst. Häufig macht sie ihr Make-up selbst.“

Was man von ihren Schwiegertöchtern ja nicht behaupten kann. Während ihrer jüngsten Visite bei den von ihrem Mann Harry begründeten Invictus Games für versehrte Soldaten begeisterte Meghan Markle mit nicht weniger als drei Designer-Outfits (pro Tag), und auch ihre Schwägerin Kate, Herzogin von Cambridge, ließ bei ihrer Tour durch die karibischen Commonwealth Realms kaum ein Sommerkleid aus. Eigentlich wollte die britische Monarchie – in Person ihres offiziellen Power Couples – bei dieser Gelegenheit eine Charmeoffensive starten, um die ehemaligen Kolonien Belize, Jamaika und Bahamas davon abzubringen, sich wie zuletzt Barbados aus dem Commonwealth zu verabschieden.

Geglückt ist eher das Gegenteil. Der Trip zeitigte allerhand peinlich neokoloniale Bilder sowie offene Worte: Jamaikas Premier Andrew Holness erklärte dem bedröppelten William vor laufender Kamera, dass sein Land selbstverständlich sehr bald sehr selbstständig sein werde. Kurz darauf sagte Elizabeths Jüngster, Prinz Edward, Graf von Essex, seine geplante Visite auf Grenada vorsichtshalber ab; William selbst erklärte per Aussendung, seine Reise habe „Fragen nach der Vergangenheit und der Zukunft noch stärker in den Fokus gerückt“. 

In der damit eng zusammenhängenden Frage, wer von den Nachfahren der Queen das monarchieschädigendste Verhalten an den Tag gelegt habe, bleiben sich diese wenig schuldig. Prinz Harry hat bei seinem überstürzten Abschied ins kalifornische Privatiersdasein einige sehr steife Oberlippen hinterlassen, vor allem das Verhältnis zu William ist am Gefrierpunkt. William hat Harry angeblich auch noch keine Einladung zu seinem 40. Geburtstag am 21. Juni geschickt.

Ob Harry und Meghan bei der Parade zum Platinjubiläum am 2. Juni leibhaftig anwesend sein werden, bleibt ebenfalls unklar, auch wenn der einstige Lieblingsenkel gerade wieder mit gutem Willen bei der Oma vorstellig wurde – und flugs ins PR-Fett trapste, indem er hinterher treuherzig versicherte, er habe nur Nachschau gehalten, ob diese auch wirklich „in den richtigen Händen“ sei. Zudem sind mit der Veröffentlichung von Harrys Memoiren, die noch in diesem Jahr erscheinen sollen, neue Brösel garantiert. 

Über Charles’ Bruder Andrew wiederum, dem allerkonsequentesten Reichsverweser, hätte man schon beinahe den Mantel des Schweigens gebreitet, nachdem er sich im Februar mit kolportierten 14 Millionen US-Dollar mit Virginia Roberts Giuffre verglichen hatte, die ihm vorgeworfen hatte, sie als 17-Jährige sexuell missbraucht zu haben. Dass Andrew nun aber, offenbar mit ausdrücklicher Billigung seiner Mutter, ganz selbstverständlich am Trauergottesdienst für Prinz Philip am 29. März teilnahm, hat die öffentliche Einschätzung über die Einsichtsfähigkeit derer von Windsor nicht gerade verbessert.

Es bleibt ein Rückzugsgefecht. Die königliche Familie wird – schon unter der Übergangsherrschaft von Charles – Ballast abwerfen. Charles gilt als Verfechter eines schlanken Königshauses, sein Sohn William ist ganz in diesem Bewusstsein großgeworden. Die royalen Cousins und Cousinen haben ihre historische Rolle – per Verheiratung in andere europäische Königshäuser die Bündnisse am Kontinent zu stärken – überlebt, die Firma Windsor muss auf Kostendeckung achten. Andrew war in dieser Hinsicht schon lange ein Streichposten; in der Generation seiner Kinder Beatrice und Eugenie ist diese neue Gegenwart längst angekommen. Die Prinzessinnen dürfen sich zwar noch Königliche Hoheiten nennen, sind aber bereits in der gehobenen Privatwirtschaft tätig. 

Und was macht das gemeine Volk? Es winkt höflich. Der radikale Republikanismus ist in Großbritannien – insbesondere nach dem Brexit – einer abgeklärten Wurschtigkeit gewichen. Ihre Untertanen sind nicht zwangsläufig stolz auf die Royals, wissen aber doch um deren Wert: Trotz üppiger öffentlicher Zuwendungen rentieren sich die Windsors als Touristenmagneten. Boris Johnson wiederum, der vielzerzauste bürgerliche Machthaber in London, wird den Teufel tun und sich seine politische Symbiose mit der Familie Windsor vermiesen, bei der die Eskapaden und Peinlichkeiten der einen von den Pleiten und Pannen des anderen ablenken (und umgekehrt) und an deren Seite immer eine schöne Gelegenheit zur risikolosen Repräsentation abfällt. Apropos: Für den Festumzug zum Platinjubiläum sucht die Royal Family noch Freiwillige, die in authentischen Outfits aus den vergangenen 70 Jahren durch London ziehen wollen, also zum Beispiel Mods, Hippies, Glamrocker, Goths, Acid Raver, Britpopper, Emos und Indie Kids. Bewerbungen unter Angabe von Dekade und Kostümvorstellung hier.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.