„Queen of Drags“: Was hat Heidi Klum mit Drag zu tun?
In vorbeifahrenden Autos drehen sich die Köpfe synchron nach rechts, wenn die Drag Queen Cherry T. Joystick mit Leopardenprintkleid, türkis geschminkten Lippen und 15-Zentimeter-Heels über den Gehsteig in Wien-Fünfhaus geht. Obwohl in Wien dieses Jahr die EuroPride stattfand und der LifeBall jahrelanges Fernsehevent war, sind Drag Queens für viele Menschen immer noch unerwartete Stolpersteine im Stadtbild. Doch die Drag-Community wächst stetig und manövriert sich selbst immer weiter in den Mainstream.
Die Drag-Kunst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen will jetzt auch der Fernsehsender ProSieben. Ende Juni wurde angekündigt, dass an einem neuen Casting-Format gearbeitet wird, in dem die beste Drag Queen Deutschlands gekürt werden soll. ProSieben taufte die Sendung „Queen of Drags“ und hievte Conchita Wurst, Bill Kaulitz und Heidi Klum auf das Jury-Podest.
Dass ein solches Format, in Anlehnung an die US-Amerikanische Erfolgsshow „RuPaul’s Drag Race“ in Planung sei, ist seit 2013 bekannt. Das amerikanische Vorbild läuft seit 2009 im Fernsehen und ist wiederum angelehnt an jenes Format, nach dem auch „Germany’s Next Topmodel“ funktioniert. Die Kandidaten sind Drag Queens, die in der bereits elften Staffel in verschiedenen Challenges um den Titel des „Next Drag Superstars“ kämpfen. Es werden Kostüme genäht, Comedy-Sketches geschrieben und Make-Up-Künste unter Beweis gestellt. Am Ende jeder Episode muss eine Drag Queen die Show verlassen – so hantelt man sich von Episode zu Episode, bis am Ende jeder Staffel die beste Drag Queen auserkoren wird.
Namensgeber und Moderator der Show ist Schauspieler, Singer-Songwriter und Drag Queen RuPaul Andre Charles. RuPaul ist bereits seit den 1990er Jahren als Drag Queen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, hat 2016 einen Emmy gewonnen und als erste Drag Queen einen Stern am Walk of Fame erhalten. Durch die Show wurde RuPaul zur Ikone vieler Drag Queens. Vor allem auch, weil in der Show immer wieder Themen wie HIV oder Transsexualität thematisiert und somit im Diskurs normalisiert werden.
Gegenüber der in Planung stehenden deutschen Version dieser Show zeigte sich die Community immer begrüßend, und als erste Gerüchte über Klum als Jurorin auftauchten, wurde noch darüber gescherzt. Mittlerweile aber werden statt den Scherzen Stimmung gemacht und Unterschriften gesammelt. Die deutschen Drag-Performer Ryan Stecken und Margot Schlönzke mobilisieren unter dem Hashtag #keinfotofürheidi dafür, ihre Petition zu unterschreiben. Sie fordern, Heidi Klum durch eine passendere Moderatorin zu ersetzen. Stecken und Schlönzke fürchten den Ausverkauf und die Heteronormativierung, also die Übertragung von heterosexuellen Normen auf eine queere Subkultur.
Klum kooperierte schon in den letzten beiden Staffeln von „Germany’s next Topmodel“ in jeweils einer Folge mit Drag Queens und holte sich aber dafür vor allem für die letzte Ausgabe schon viel Kritik, nannte sie die Performer schlicht „Drags“, was für viele anmaßend wirkte. Diese Wortwahl übernahm ProSieben mit der Namensauswahl für die neue Show. „Ich finde das respektlos“, sagt Cherry T- Joystick. „Wenn von ‚Drags’ gesprochen wird, denke ich an Frauen die Männer darstellen, Männer die Männer darstellen, Frauen die Frauen darstellen und Künstler, die gar kein spezifische Geschlecht sondern Aliens oder Monster darstellen. Aber die Show impliziert, dass eine Drag Queen über allen anderen Drag-Performern thront. Das ist höchst problematisch.“
Beim Casting für „Queen of Drags“ war die Berliner Drag Queen Sheila Wolf und berichtet wenig Gutes: „Es war relativ ernüchternd zu erfahren, dass man das eigentliche Konzept in ein „Big Brother“ für verkleidete Männer verwandelt. Abgesehen davon will ProSieben nicht einmal Gage zahlen und ich mache keine Formate, die zur Primetime mit fetten Werbebreaks laufen, aber die Protagonisten nicht zahlen möchten. Solche Formate mache ich nicht."
Außerdem stört Sheila, dass der Drag-Begriff in der Show viel zu eng gefasst ist und nicht mehr der Realität entspricht. ProSieben-Senderchef Daniel Rosemann verschriftlichte diese veraltete Auffassung in einer Aussendung: „Die GNTM-Folge mit den Drags als Gaststars zählt zu den beliebtesten Folgen unserer ZuschauerInnen. Ein schöner Grund, um diesen außergewöhnlichen, interessanten Männern und ihren Kunstfiguren in 'Queen of Drags' eine eigene Prime-Time-Sendung zu widmen und die beste von ihnen zu küren.“ Drag wird schon lange nicht mehr nur von Männern gemacht, und Drag bedeutet auch nicht mehr, einfach das andere Geschlecht zu imitieren.
Für ProSieben sind Drag Queens Männer, die sich als weibliche Kunstfiguren und „hinreißende, extrovertierte Glamour-Girls“ präsentieren. Das tut der Diversität der Kunstform erheblichen Abbruch und gleichzeitig stellt ProSieben der Casting-Show von Beginn an ein Schönheitsideal voran, dem die Drag Queens entsprechen sollen. Drag beschränkt sich aber weder auf eine sexuelle Orientierung der Performer, noch auf ein Geschlecht und versucht in keinem Fall vorzuschreiben, wie eine Drag Queen auszusehen hat. „Natürlich ist das Thema für die Massen aufbereitet. Die wollen Quote, und nicht lang erklären, dass es noch etliche andere Rollenverteilungen gibt und Drag sich nicht auf Männer beschränkt, die Frauen darstellen“, so Sheila Wolf.
Die Kritik an der Show versteht Sheila Wolf, die Petition, die Heidi Klum und ProSieben Cultural Appropriation und somit die Aneignung von kulturellen Besonderheiten einer marginalisierten Gruppe vorwirft, findet sie jedoch problematisch. „Mir geht das mit Cultural Appropriation etwas zu weit. Ob Heidi nun heterosexuell ist oder nicht spielt für mich gar keine Rolle, ich bin selbst hetero und habe eine Frau und eine Tochter. Heidi ist einfach keine gute Moderatorin und Ahnung hat sie leider auch nicht von der Thematik, insofern ist sie komplett fehlbesetzt.“
Bei Casting-Shows werden Menschen kategorisiert und nach einheitlichen Standards bewertet, und das führt die Kunstform ad absurdum. ProSieben hat also ein vollkommen veraltetes Bild von Drag, sagt Cherry T. Joystick: „Wenn ProSieben reproduziert, dass Drag Queens einem weiblichen Schönheits-Ideal entsprechen sollen, dann ist das rückschrittlich und entspricht nicht dem Verständnis von zeitgenössischem Drag.“
Das Konzept von Drag spießt sich zwar grob mit dem vereinheitlichenden Konzept einer Casting-Show, jedoch zeigt der immense Erfolg von „RuPaul’s Drag Race“ und vor allem der Beitrag, den diese Show für die Drag-Community geleistet hat, dass eine im Mainstream verankerte Fernsehshow nicht grundsätzlich schlecht ist, sondern auch zu mehr Akzeptanz und Popularität einer marginalisierten Gruppe führen kann. Die Besetzung eines Juryposten mit Heidi Klum jedoch ist das falsche Signal. Heidis eigene Sexualität ist dabei nicht der springende Punkt. Sie, die sich nie als große Unterstützerin der LGBTIQ-Community hervorgetan hat, bringt zu wenig Expertise und Erfahrung mit, um darüber entscheiden zu können, was gute und was schlechte Drag-Kunst ist.