SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer

Heinz Lederer zur orf.at-Debatte: Sterben auf Raten

„Drehen wir orf.at ab“, forderte hier kürzlich NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter. SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer antwortet – mit einem Plädoyer für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

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Ab dem Morgen des 15. Dezember 2020 berichteten einschlägige Trump-nahe Boulevard-Medien über die „gestohlene“ Wahl durch Joe Biden und riefen damit indirekt zu Demonstrationen gegen den neuen Präsidenten sowie die demokratische Partei auf. Diese TV-Übertragungen erhöhten den Druck auf Trump-Anhänger zur Erstürmung des Kapitols. Im laufenden Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses wird immer deutlicher, dass diese Boulevard-Medien damals massiv Stimmung gegen die staatliche Ordnung gemacht hatten. Auch die aktuelle Hausdurchsuchung bei Ex-Präsident Trump zeigt, welche antidemokratischen Exzesse in Amerika stattfinden, wo Fox News und andere Boulevard-Medien Pro-Trump-Demonstranten fördern. In Österreich ist hingegen der öffentlich-rechtliche Rundfunk, allen voran die Nachrichtensite orf.at, eine Säule gegen solche antidemokratischen Tendenzen.

Heinz Lederer, 59, ist Leiter des SPÖ-Freundeskreises im ORF-Stiftungsrat. Der ehemalige Kommunikationschef der SPÖ hat mit „Heinz Lederer Communication“ seit 2001 sein eigenes Beratungsunternehmen. 

„Retten wir die Medienvielfalt. Drehen wir orf.at ab!“, forderte an dieser Stelle kürzlich Henrike Brandstötter. Im Widerspruch zur  Meinung der NEOS-Mediensprecherin würden, davon bin ich überzeugt, ein Werbeverzicht oder eine Einschränkung der Werbemöglichkeiten im ORF (inklusive einem Aus für die blaue Site) keine Umverteilung hin zu den Printmedien bewirken. Ganz im Gegenteil: Die Hauptkonkurrenten des heimischen Medienmarkts befinden sich mit den Tech-Giganten GAFA (Google, Apple, Facebook und Amazon) im Ausland.

Brandstötter hat unrecht, wenn sie sagt, dass ein Ende von orf.at anderen österreichischen Medien zugutekäme. Eine Beschränkung der Werbezeiten und -flächen des ORF (insbesondere online) hätte sogar einen Kollaps des österreichischen Medienstandorts zur Folge. Dies umso mehr, weil die Werbestärke des österreichischen Medienmarktes vor allem auch von orf.at abhängt.

So bestätigen aktuelle Mediengutachten, dass Investitionen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe ins deutsche Ausland fließen und nicht durch den privaten österreichischen Medienmarkt aufgefangen würden. Eine Befragung der größten österreichischen Werbeschaltagenturen ergibt ein ähnliches Bild. Wir wären nicht mehr weit davon entfernt, als degenerierter Wurmfortsatz des deutschen Medienmarktes zu agieren.

Ja, der ORF hat Reformbedarf. Aber auf einem anderen Feld. Besonders in der Corona-Zeit bewegte sich der Sender in seiner programmlichen Ausrichtung zunehmend aus einer Position von der Mitte der Gesellschaft in Richtung Oberlehrer der Nation. Während die wichtige gesundheitliche und arbeitsrechtliche Breiteninformation noch dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entsprach, war die Berichterstattung phasenweise zu belehrend. Folglich verzeichnete das Vertrauen der Österreicher:innen in Nachrichten einen Rückgang um 5,7 Prozentpunkte auf 40,6 Prozent der Befragten, wie Statistiken des Digital News Report Austria 2022 belegen. Eine vom ORF in Auftrag gegebene Studie bestätigt diese Erkenntnisse.

Folglich muss der ORF auf programmlicher Ebene auf allen Kanälen modernisiert werden, um den öffentlich-rechtlichen Auftrag wieder zu erfüllen. Partei- und Regierungswünsche dürfen bei dieser Neupositionierung des ORF keine tragende Rolle spielen.

Wir wären nicht weit davon entfernt, als Wurmfortsatz des deutschen Medienmarktes zu agieren.

Dennoch sind programmliche Innovationen derzeit bescheiden. Kinder- und jugendgerechte  Nachrichten wie „ZIB Zack Mini“ oder der TikTok-Auftritt der „ZIB“ deuten an, wohin sich der ORF in Zukunft bewegen muss. Neben Social-Media-Kanälen sind auch Kommentarstrecken, Radiofeatures und Diskussionssendungen ausbaufähig. In Deutschland machen ARD und ZDF vor, wie Programm inhaltlich wie optisch näher bei den Zuseher:innen liegen kann. Gebührenzahler sind das Rückgrat des ORF. Die Zahl der GIS-Abmeldungen steigt dramatisch, das junge Publikum findet sich in den Inhalten nicht wieder. Nur starke programmliche Reformen können das Vertrauen zurückbringen!

Der Auftrag ist klar: Der ORF muss für junge Leute hipper werden. Dies kann gelingen, indem im Zuge des bevorstehenden Generationenwechsels die rund 600 neu zu besetzenden Stellen größtenteils an junge, digital versierte, kreative Arbeitnehmer:innen vergeben werden. Ein Aufnahmestopp für junge Mitarbeiter:innen im Rahmen eines Sonder-Sparbudgets würde  das Ende des ORF einläuten. Dieser personelle Umbau muss auch den sozio-ökonomischen Background der Bewerber miteinbeziehen, wie es die BBC vormacht.

Abschließend bin ich der Meinung, dass die ORF-Flotte nur durch ein duales Finanzierungssystem erhalten werden kann. Eine Abschaffung der blauen Site wäre ein Sterben auf Raten, stellt orf.at doch das beliebteste Online-Nachrichtenmedium der Österreicher:innen über Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg dar.