Herbert Prohaska

Herbert Prohaska: "Ich hätte nicht gedacht, dass mir der Pariasek so abgeht"

Seit 50 Jahren lebt Herbert Prohaska vom Fußball. Doch nun steht der Sport still, der TV-Analytiker hat Sendepause. Ein Gespräch über Corona, teure Uhren, die Zigarette nach dem Sieg und den Tag, als er im Fernsehen "Hurenkinder" sagte.

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INTERVIEW: GERALD GOSSMANN

profil: Wo wären Sie gerade, wenn es die Corona-Beschränkungen nicht gäbe? Prohaska: Zu Hause wahrscheinlich. Ich bin ohnehin viel zu Hause - jetzt, wo meine Termine beim ORF nicht stattfinden, halt noch ein bisschen mehr.

profil: Statt der Champions League werden derzeit Spiele aus den 1970er-Jahren gezeigt - mit Ihnen in der Hauptrolle. Prohaska: Man sieht dadurch, wie sich der Fußball verändert hat. Wir hatten mehr Platz, mehr Zeit, es war leichter. In meiner Kindheit hatten wir keinen Fernseher, kein Telefon, kein Auto, kein warmes Wasser. Wir lebten in einer Zweizimmer-Wohnung, der Großvater hat bei uns gewohnt. Ein Zimmer war nicht einmal beheizbar.

profil: Klingt härter als jede Corona-Quarantäne. Prohaska: Ja, aber es ist uns nicht so vorgekommen. Wir sind nie auf Urlaub gefahren, aber das war mir sogar recht: So konnte ich Fußball spielen.

profil: Sie leben seit 50 Jahren vom Fußballgeschäft - als Spieler, Trainer, TV-Analytiker. Jetzt steht alles still. Wie geht es Ihnen damit? Prohaska: Mich trifft das natürlich. Ich hätte für den ORF von der Europameisterschaft berichtet. Fußball ist mein Leben, und ich kann auch nur Fußball. Dabei bin ich ausgebildeter Automechaniker. Fußball gespielt hätte ich auch ohne Bezahlung. Aber bis heute lebe ich davon. Im Juni werden es 20 Jahre, die ich als Analytiker beim ORF bin. Fußballer war ich nur 17 Jahre.

profil: Werden Sie als Herbert Prohaska, der Fernsehanalytiker, in die Geschichtsbücher eingehen? Prohaska: Möglicherweise. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, wie ich in Erinnerung bleiben könnte.

Der Profifußball ist in großer Gefahr.

profil: Welche? Prohaska: In einem Schuhgeschäft hat mich eine Mutter nach einem Autogramm für ihren zehnjährigen Sohn gebeten. Der hat zu ihr gesagt: "Dort drüben steht der Kelly's-Mann." Der kannte mich nicht vom Fußball, sondern von der Chips-Werbung.

profil: Wird das Fußballgeschäft durch die Corona-Krise nachhaltig beschädigt werden? Prohaska: Ich befürchte schon. Die Vereine brauchen Sponsoren, Fernsehgelder und Zuschauereinnahmen. Der Profifußball ist in großer Gefahr. Zu meiner aktiven Zeit haben viele Spieler noch bis zu Mittag gearbeitet. Ich habe mit dem Erich Obermayer und dem Ernst Baumeister in einem Ersatzteillager in Simmering gearbeitet, am Nachmittag sind wir zum Training gefahren. Vielleicht geht es wieder in diese Richtung.

profil: Viele Fans haben sich zuletzt mehr Ursprünglichkeit und weniger Kommerz im Fußballbetrieb gewünscht. Werden sie auf ihre Kosten kommen? Prohaska: In Österreich kann man nicht viel zurückfahren. Red Bull Salzburg wird keine Probleme bekommen, Rapid und Austria werden es auch überleben. Aber in der zweiten Liga gibt es keine Millionäre, dort wird nach Kollektivvertrag entlohnt. In solchen Fällen ist Kurzarbeit absolut legitim. Bei Bayern München könnten es sich die Spieler leisten, ein halbes Jahr gar nichts zu bekommen.

profil: Fanden Sie die Corona-Maßnahmen übertrieben? Prohaska: Ich habe sie richtig gefunden. Wir müssen auf die Experten und die Virologen hören. Wenn wir selber entscheiden müssten, würden wir lieb ausschauen.

profil: Wie hat die Regierung die Krise bewältigt? Prohaska: Ich fand das Krisenmanagement gut. Natürlich können wir jetzt alles kritisieren und sagen, dass es übertrieben war.

profil: War es übertrieben? Prohaska: Ich habe mich streng an die Regeln gehalten. Meine 89-jährige Schwiegermutter lebt bei mir und meiner Frau; wir haben ihr gegenüber eine Verantwortung. Ich habe alle meine Bekannten nur telefonisch gesprochen. Einmal hat mir ein Freund ein Sackerl mit Spargel vor die Tür gestellt. Wir sind gesund. Ich bin froh, dass ich mich an alles gehalten habe.

Ich will der Regierung nicht vorwerfen, dass sie bewusst übertrieben hat. Man musste die Gefahren so aufzeigen, damit sich möglichst viele an die Regeln halten.

profil: Hat die Pandemie Ihnen Angst gemacht? Prohaska: Ich habe drei Jahre in Italien gelebt und verbringe jeden zweiten Urlaub in dem Land. Wenn man die dortigen Todeszahlen hört, wird es einem anders. Die Ärzte mussten entscheiden, wer stirbt. In Amerika hauen sie die Leichen in die Kühlboxen von Fleischern. Da war doch unser Opfer kein richtiges Opfer.

profil: Hat die Regierung die Angst der Bevölkerung auch ausgenützt und befördert? Prohaska: Vielleicht, aber auch das ist legitim. Angst ist nichts Schlimmes. Es ist gut, wenn man Angst hat. Menschen, die keine Angst haben, gefährden sich selbst oder auch andere. Ich will der Regierung nicht vorwerfen, dass sie bewusst übertrieben hat. Man musste die Gefahren so aufzeigen, damit sich möglichst viele an die Regeln halten.

profil: Werden Sie die Corona-App, wenn es sie denn gibt, auf Ihrem Handy installieren? Prohaska: Nein - aber nicht, weil ich ein Ignorant bin, sondern weil ich mit Apps so meine Probleme habe. Bei mir funktionieren SMS und WhatsApp. Das reicht mir.

profil: Würden Sie sich gegen Corona impfen lassen? Prohaska: Ich habe mich nie gegen Grippe impfen lassen und sie auch nicht bekommen. Aber wenn die Epidemie jederzeit wieder ausbrechen kann, und es gibt einen Impfstoff, dann lasse ich mich impfen. Ich gehöre in meinem Alter zur Risikogruppe.

profil: Wie beurteilen Sie das schwedische Modell, das stärker auf die Eigenverantwortung der Bürger setzt? Prohaska: Ich habe gerade die Zeitung vor mir liegen: Die Schweden haben 3040 Tote und gestern 99 neu dazubekommen. Wir haben 509 Tote und gestern einen dazubekommen. Die Schweden haben 10,2 Millionen Einwohner, wir 8,9 Millionen. Als Laie würde ich sagen: Unser System ist besser.

Heute gibt es kaum noch Raucher unter Fußballern. Zu meiner Zeit waren es fünf oder sechs pro Mannschaft.

profil: Sie haben als Fußballer und Mensch Freiheiten und Eigenverantwortung immer geschätzt. Prohaska: Bei der Roma haben sich nach einem Sieg zwei, drei Spieler eine Zigarette angezündet. Das war nicht erlaubt, aber es wurde geduldet. Heute gibt es kaum noch Raucher unter Fußballern. Zu meiner Zeit waren es fünf oder sechs pro Mannschaft.

profil: Sie waren einer davon. Prohaska: Ja, aber ich war nie ein starker Raucher. Ich rauche heute zehn Zigaretten pro Tag. Glauben Sie nicht, dass alle Fußballer gesund leben! Man kann nicht kontrollieren, ob einer zu Hause zwei Schnitzeln isst. Ein Schweinsbraten ist für Profisportler nicht schlecht, solange sie ihn nur alle zwei Monate essen. Man kann sich nicht nur gesund ernähren.

profil: Empfinden Sie Rauchverbote als Regulierungswahn? Prohaska: Rauchen ist nicht gesund, deshalb stört mich das Verbot nicht. Ich würde nie sagen, ich gehe nicht fort, weil ich dort nicht rauchen kann. Mein Wohlbefinden hängt nicht am Rauchen.

profil: Ihr Wohlbefinden hing immer am Fußball. Können Spiele ohne Zuschauer genauso fesseln? Prohaska: Nein. Normalerweise sind Geisterspiele eine Strafe. Aber jetzt gieren alle danach. Es wird enorme Quoten fürs Fernsehen geben.

profil: Sind Sie manchmal auch froh, dass derzeit nicht dauernd Fußball im Fernsehen läuft? Prohaska: Nein. Man ist ja nicht gezwungen, alles anzuschauen. Manchmal bin ich mit meiner Familie essen gegangen, während ein Champions-League-Spiel gelaufen ist. Dann schaue ich eben am nächsten Tag Europa League.

profil: Was ist Ihnen am modernen Fußball so richtig zuwider? Prohaska: Spielertransfers sind heute das große Geschäft. Ich bin den Managern das Geld nicht neidig, die arbeiten viel. Aber das Geld bleibt nicht im Fußball.

Vom Sportlichen und Finanziellen her würde ich viel lieber heute spielen als damals.

profil: Hatten Sie zu Spielerzeiten denn keinen Manager? Prohaska: Ich habe den Dr. Skender Fani gehabt. Ich war damals 25, wollte ins Ausland, hatte keine Ahnung, und die Gefahr war groß, über den Tisch gezogen zu werden. Niemand zahlt dir freiwillig viel Geld. Viele Fußballer brauchen natürlich Manager, die das Beste für sie herausholen.

profil: Sie wurden bei der WM 1978 noch teilweise mit Sachleistungen bezahlt. Prohaska: Wir haben Videorekorder und Fernsehapparate bekommen. Einmal ist eine Partie mit Gold-Tausendern ausbezahlt worden. Als junger Spieler bei der Austria, frisch verheiratet und mit neuer 120-Quadratmeter-Wohnung, habe ich den Präsidenten um einen Vorschuss gebeten, damit ich Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer einrichten konnte.

profil: Heute würden Sie als Spieler von Inter Mailand zig Millionen Euro pro Jahr verdienen. Ärgerlich? Prohaska: Ärgerlich nicht, aber bedauerlich. Vom Sportlichen und Finanziellen her würde ich viel lieber heute spielen als damals.

profil: Aber Sie müssten mehr laufen. Prohaska: Das ist egal. Jeder gute Spieler von früher wäre heute auch ein guter Spieler.

profil: Können Sie sich an Ihr höchstes Monatsgehalt als Fußballprofi erinnern? Prohaska: Nein, das weiß ich nicht mehr.

profil: Fällt Ihnen das niedrigste Gehalt noch ein? Prohaska: Als ich mit 17 Jahren zur Austria gekommen bin, habe ich 3000 Schilling Fixum bekommen. Darüber musste ich aber schweigen, weil angeblich nur 1500 erlaubt waren. Als Automechaniker habe ich 1000 Schilling verdient, bei der Austria mit Prämien 6000 bis 7000 Schilling. Ich habe mich damals reich gefühlt.

profil: Später, als Spieler in Italien, sollen Sie sich eine Rolex um 100.000 Schilling geleistet haben. Prohaska: Nein, sie hat nur 75.000 Schilling gekostet und hätte 120.000 kosten sollen. Ich wollte sie mir eigentlich gar nicht kaufen, aber ich habe sie zum Einkaufspreis bekommen.

profil: Der deutsche Bundestrainer Jogi Löw sagte während der Corona-Krise: "Die Welt stemmt und wehrt sich gegen die Menschen und deren Tun. Machtgier und Profit standen im Vordergrund." Prohaska: Die Welt ist auf dem falschen Dampfer. Ich glaube nicht, dass das Coronavirus eine Strafe ist, aber der Klimawandel ist hundertprozentig eine. Wir sollten - wenn Corona überstanden ist-einmal Anleitungen kriegen, was wir gegen den Klimawandel tun können. Das sollte in der Zeitung stehen.

profil: Sind Sie eigentlich religiös? Prohaska: Nein - obwohl ich auf jeder Reise in eine Kirche gehe. Aber ich bete nicht, glaube auch nicht an ein Leben nach dem Tod. Das macht aber nichts. Wir haben hier in Österreich auch ein super Leben.

profil: Als ORF-Analytiker haben Sie derzeit Sendepause. Vermissen Sie Ihren Moderatoren-Kollegen Rainer Pariasek? Prohaska: Ja, unglaublicherweise vermisse ich ihn. Ich hätte nicht gedacht, dass mir der so abgeht. Wir haben eine Freundschaft, haben uns wöchentlich gesehen. Jetzt sehe ich ihn nur im Fernsehen, wenn er bei ORF Sport Plus moderiert.

profil: Er erntet vom Publikum viel Kritik. Tut er Ihnen manchmal leid? Prohaska: Nur gute Leute werden kritisiert. Wenn der Rainer den Menschen wurscht wäre, würden sie nichts posten oder kritisieren. Man muss das positiv sehen.

Mittlerweile wird mir das auf der Straße zugerufen: 'Schneckerl, da san a poa Huankinda dabei.'

profil: Sie werden für Ihre Grammatikschwäche kritisiert. Nehmen Sie das sportlich? Prohaska: Ich soll den Menschen Fußball erklären und nicht Deutsch. In Simmering wurde zu meiner Zeit nicht Hochdeutsch gesprochen. Im Dialekt verwechselt man die Fälle eben oft. Natürlich will ich keine Fehler machen, aber ich bin kein Perfektionist. Ich muss ja keinen Vortrag auf der Universität halten.

profil: Ein legendäres Hoppala passierte Ihnen, als Sie vor laufender Kamera "Da san a poa Huankinda dabei" sagten. Prohaska: Wir wurden am Moderatorenpult von Kindern mit Papierfliegern beschossen. Dann ist dem Moderator ein Flieger auf den Kopf geflogen. Er hat mir nicht gesagt, dass wir schon auf Sendung sind. In dem Moment habe ich den Satz gesagt. Mittlerweile wird mir das auf der Straße zugerufen: "Schneckerl, da san a poa Huankinda dabei."

profil: Einmal war Ihr Image ernsthaft angeknackst, nachdem Sie in einer Fernsehdiskussionsrunde statt dem Schweizer Marcel Koller einen Österreicher als Teamchef gefordert hatten. Ein Fehler? Prohaska: Zufällig habe ich diese Diskussion vor ein paar Tagen gesehen und mir gedacht: Warum habe eigentlich ich das Fett abbekommen und nicht der Polster und der Schinkels, die da reingefahren sind wie die Einser? Ich habe damals gesagt: "Der Koller hat seit zwei Jahren keinen Job, wie sind wir auf den gekommen?" Und habe angefügt: "Ich hoffe, dass ich mich irre und er den bestmöglichen Erfolg hat." Ich habe mich beim Koller fünf bis sechs Mal entschuldigt und mir jedes Mal gedacht: Warum hat das so große Wellen geschlagen? Ich habe ja nichts gesagt, außer dass mir der Andi Herzog lieber gewesen wäre.

profil: Sie haben in dieser Sendung auch beschrieben, wie Sie Ihrem Freund Andreas Ogris einen Posten beim ÖFB besorgen wollten. Mit Freunderlwirtschaft haben Sie kein Problem, oder? Prohaska: Diese Woche habe ich gelesen, dass bei Bayern München 30 oder 40 Leute arbeiten, die mit dem Hoeneß oder dem Rummenigge verwandt sind. Die sind stolz darauf und sagen: "Mia san mia." Das ist deren Philosophie. Das wollte ich auch für den Ogris haben.

profil: Sie werden im August 65. Wie geht es Ihnen damit? Prohaska: Ich habe mit dem Älterwerden kein Problem, aber die Wehwehchen werden mehr. Ich brauche eine neue Hüfte und kann derzeit keinen Sport machen. Mit dem Fußballspielen habe ich schon vor zwei Jahren aufgehört, weil ich nach jedem Match drei Tage in Quarantäne war und mich nicht rühren konnte.

profil: Was wird im Alter besser? Prohaska: Ich hoffe, dass ich ein bisschen gescheiter geworden bin.

profil: Wo wären Sie heute ohne Fußball? Prohaska: Ich wäre in Pension, hätte gerade den Automechanikerjob an den Nagel gehängt und hätte viel schwerer arbeiten müssen. Aber ich hätte auch gelebt.

Herbert Prohaska, 64 Der gebürtige Wiener absolvierte eine Lehre als Automechaniker und begann seine Karriere als Spieler beim SC Ostbahn XI; 1972 wechselte er zur Wiener Austria. Nach sieben Saisonen und vier Meistertiteln ging Prohaska zu Inter Mailand (Cupsieg 1982) und schließlich zur AS Roma, mit der er 1983 italienischer Meister wurde. Von 1983 bis 1989 spielte Prohaska wieder bei der Austria und gewann weitere drei Meistertitel. Mit der Nationalmannschaft nahm er als Spieler an den WM-Endrunden 1978 und 1982 teil; als Trainer erreichte Prohaska mit der Austria zwei weitere Meistertitel und mit dem Nationalteam die WM-Endrunde 1998. Seit 20 Jahren fungiert Österreichs "Spieler des Jahrhunderts" als Fachkommentator für den ORF, häufig im kongenialen Duett mit Rainer Pariasek.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.