Herbert Prohaska in der Wiener Staatsoper.
Interview

Herbert Prohaska über seine Liebe zur Oper: „Der dicke, kleine Italiener ist meine Numero uno“

Fußballlegende Herbert Prohaska, 67, ist leidenschaftlicher Opernfan. Im profil-Gespräch berichtet er von übergriffigen Fragen im Pausen-Foyer, musikalischen Erweckungserlebnissen und erklärt, warum er bei Sterbeszenen dann doch nicht weint.

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Mit Herbert Prohaska durch die Innenstadt in Richtung Oper zu spazieren, ist eine Stop-and-go-and-stop-Angelegenheit. Alle paar Meter eine "Selfie"-Bitte, der er freundlich lächelnd nachkommt, derzeitiger Schnitt "etwa 100 im Monat": "Das mit den Selfies find' ich eigentlich eh super. Früher mit den Autogrammen war das viel umständlicher. Aber es sind natürlich immer Horrorbilder, was mir aber wurscht sein kann." Dazwischen Anrufe auf dem Handy, ob er nicht doch VIP-Karten für ein Austria-Spiel besorgen könne. Auch da große Geduld.

Prohaskas extratrockener "Schmäh" (Herstellungsbezirk Simmering),der ihn seit über 20 Jahren zum "Fußballanalytiker" der Herzen im ORF macht, hat längst Kultstatus, das Netz quillt über vor Prohaska-Wuchteln: "Sein bester Pfiff war der Schlusspfiff" (über einen Schiedsrichter) oder "Wer Charakter hat, zeigt Siegermentalität." Und Bescheidenheit. Denn trotz einer Vita als Starkicker und Trainer, die ihm 2004 die Ehrung "Österreichs Spieler des Jahrhunderts" einbrachte, belustigen ihn solche Superlative bestenfalls: "Jahrhundertspieler? Aber auch nur in Österreich."

Diagnose nach unserem Frühstück in seinem Stammlokal "Zum schwarzen Kameel" (Stammkellner: "der Herr Martin") um die Ecke vom Wiener Kohlmarkt: Herbert Prohaska ist ein rundum zufriedener Mensch - abgesehen von ein paar Schmerzquellen, die der Hochleistungssport ("Ich bin seit meinem zehnten Lebensjahr geschätzte drei Mal um die Welt g'rennt") mit sich bringt. Er sei eine Art "Großglockner" der österreichischen Fußballhistorie, befanden Stermann und Grissemann über ihren damaligen Talk-Gast; er sei "an Eleganz" auf dem Spielfeld nicht zu übertreffen gewesen, so der ORF-Sportreporter Hans Huber; "ein Spieler, in dem sich Intuition und Intelligenz", so Kabarettist Alfred Dorfer, "außergewöhnlich ergänzten". Alte YouTube-Aufnahmen dokumentieren, wie Prohaska, damals mit ausuferndem Wuschelkopf, der ihm bekanntermaßen den Spitznamen "Schneckerl" einbrachte, federgleich, mit tänzerischer Leichtigkeit über den Rasen schwebt und mühelos die gegnerischen Kicker überspielt.

Ein Gespräch über seine Opernleidenschaft, Jahrhundertstimmen und den Snobismus mancher Opernbesucher.

Ihr Stil als Fußballer wurde oft mit dem eines Balletttänzers verglichen.
Prohaska
Na ja, mir hat mein Stil gar nicht so gefallen, ich fand ihn zu steif. Aber wenn das andere Leute so sehen, dann nehm ich das jetzt einfach so.
 Erzählen Sie über Ihr Opern-Erweckungserlebnis.
Prohaska
Ein Freund, der Mitglied bei der Austria war, hat einfach keine Ruhe gegeben und ständig gesagt: "Du musst in die Oper gehen." Damals war ich circa Mitte 20. Ich hätte eigentlich nach meiner ersten Vorstellung aufhören können, denn damit war die Spitze erreicht, besser ist es nie wieder geworden: Das war "La Bohème" mit Mirella Freni und Luciano Pavarotti, dirigiert von Carlos Kleiber, in der Staatsoper.
Ein Jahrhunderttenor. Hat der Jahrhundertspieler Prohaska ihn kennengelernt?
Prohaska
Kennengelernt ist übertrieben. Aber meine Tochter Barbara war ab ihrem siebenten Lebensjahr in der Ballettschule der Wiener Staatsoper, ein weiterer Grund für meine Liebe zur Oper. Sie war so ehrgeizig beim Tanzen wie ich beim Fußball. Einmal war sie als Kind Statistin in der "Tosca", und ich habe fragen lassen, ob der Pavarotti und ich in der Pause ein Foto mit meiner Kleinen machen könnten. Der ist natürlich als Italiener auch ein Schauspieler. Wir sind uns insgesamt drei Mal bei solchen Gelegenheiten begegnet, aber er hat danach immer vergessen, wo er mich hintun soll. Wenn ihn seine Managerin dann leise erinnert hat, hat er dann dramatisch mit erhobenen Armen "Campione" gerufen. Das Foto hängt noch heute bei uns zu Hause.
Kleiber wird von Kennern bis heute gottgleich gehandelt. Können Sie die Bedeutung des Dirigenten im Opernbetrieb nachvollziehen?
Prohaska
Ehrlicherweise nicht. Da sitzen die weltbesten Musiker im Graben, und die werden schon wissen, was zu tun ist. Aber der Kleiber war auch ein Sonderfall. Wenn dem an einem Abend zu heiß war, dann ist der Georg Solti im Sacher auf der Ersatzbank gesessen, um einspringen zu können.

Na ja, die Frage "Was macht ein Fußballer in der Oper?" wurde mir schon manchmal gestellt. Ich hätt' am liebsten mit einer Gegenfrage geantwortet: "Und, was sind Sie von Beruf? Und was macht ein Automechaniker, oder was immer der halt gesagt hat, in der Oper?"

Herbert Prohaska

Welche Oper würden Sie Beginnern als Einstiegsdroge empfehlen?
Prohaska
Donizettis "Liebestrank", da ist alles schön hell. Das ist auch eine meiner Lieblingsopern. "Tosca" ist schwierig, besonders wenn man müde ist, weil von Beginn an alles auf der Bühne so dunkel ist. Deswegen bin ich einmal, allerdings war ich damals auch echt fertig vom Training, eingeschlafen.
Die Plots vieler Opern sind oft fast kindlich-naiv und häufig auch noch sehr kompliziert.
Prohaska
Dafür habe ich dieses fette Buch, wo alle Handlungen übersichtlich aufgelistet sind.
Weinen Sie manchmal, wenn Mimi sich in den Tod hustet oder Tosca von der Engelsburg springt?
Prohaska
Nein. Dazu bin ich zu sehr Realist. Schließlich weiß ich ja, dass die jeweils betroffene Dame sich demnächst bei bester Gesundheit verbeugen wird können. Ich weine nur dann, wenn ich wirklich sehr traurig bin. Wie zum Beispiel beim Tod meines Vaters. Da ging ich allein spazieren und weinte.
Sind Oper und Fußball nicht insofern miteinander verwandt, als sie Emotionen freien Lauf lassen?
Prohaska
Ja, mit dem Unterschied, dass Opernbesucher nicht die Bühne stürmen wie beim Fußball. Ich habe erlebt, wie der Pavarotti im "Liebestrank" seine Arie bravourös abgeliefert hat und dann einfach noch einmal nach vorn gegangen ist und sie ein zweites Mal gesungen hat. 13 Minuten Standing Ovations. Er war offensichtlich gut drauf.
Ist er der beste Tenor, den Sie erlebt haben?
Prohaska
Ich mag da keine Ranglisten. Und es steht mir auch gar nicht zu, da ein Urteil abzugeben. Aber der dicke, kleine Italiener ist natürlich meine Numero-uno-Stimme. Allein schon durch meine Zeit als Profispieler in Italien. Dieser Klang in der Stimme, das ist Italien, das ist Weltklasse. Aber genauso toll sind der Plácido Domingo und der José Carreras, der sich übrigens extrem gut im Fußball auskennt.
Mit Domingo mussten Sie Fußball spielen.
Prohaska
Ja, das konnte er wirklich gar nicht. Na ja, ist ja auch wahrscheinlich sehr unbequem, in einem Mieder zu spielen.
Sind Sie nie eitel?
Prohaska
Nein, eigentlich nicht. Ich würde mir nie Haare transplantieren, nie was spritzen lassen, allerhöchstens die Lider heben, aber nicht wegen der Schönheit, sondern weil inzwischen mein Blickfeld eingeschränkt ist.
Niki Lauda hat einmal erzählt, dass in seiner Ferrari-Zeit die Italienerinnen auf der Straße vor ihm quasi niederknieten und ihm ihre Kinder zur Segnung hinhielten. Haben Sie so etwas in Ihrer Zeit in Rom oder Mailand auch erlebt?
Prohaska
Über einem Top-Fußballer steht in Italien nur der liebe Gott - kein Staatspräsident, kein Sänger, kein Schauspieler kann da mithalten. Da war es manchmal fast schwierig, am Boden zu bleiben. Wegen eines Familienbesuchs wurde nur für uns in Tivoli trotz Ruhetags die ganze Parkanlage aufgesperrt. Dabei habe ich bei AS Roma ja nur ein Jahr gespielt, aber wir wurden damals Meister. Dort kennen sie mich bis heute. Erst unlängst haben sie mir zu einem Jubiläum mein Leiberl mit Nummer und Namen sowie einem Dankesschreiben geschickt, Wäre ich nur ein Jahr bei der Austria gewesen und würde heute dort anrufen, würden die mich mit Sicherheit fragen: "Wer san Sie jetzt bitte genau, und was wollen Sie?"

Ich würde mir nie Haare transplantieren, nie was spritzen lassen, allerhöchstens die Lider heben, aber nicht wegen der Schönheit, sondern weil inzwischen mein Blickfeld eingeschränkt ist.

Herbert Prohaska

Waren Sie in Ihrer Italien-Zeit viel in der Oper?
Prohaska
Ein einziges Mal, weil wir als Mannschaft uns "Macbeth" anschauen mussten. Da war überhaupt keine Zeit. Wir waren ständig unterwegs. Es wäre nur am Montag gegangen, doch da wollte meine Frau immer einkaufen gehen.
Haben Sie als späterer Opernfan mit dem Vorurteil zu kämpfen gehabt, dass Fußballer ohnehin keine Ahnung von Kultur haben?
Prohaska
Na ja, die Frage "Was macht ein Fußballer in der Oper?" wurde mir schon manchmal gestellt. Ich hätt' am liebsten mit einer Gegenfrage geantwortet: "Und, was sind Sie von Beruf? Und was macht ein Automechaniker, oder was immer der halt gesagt hat, in der Oper?"
Hat Sie das gekränkt?
Prohaska
Nein, ich hab es eher lächerlich gefunden. Auch wenn dann in der Pause gefachsimpelt wurde, warum ein Sänger oder eine Sängerin heute so schlecht gesungen hat, hab ich mir schon gedacht: Woher wisst's ihr das eigentlich so genau? Die meisten von denen können doch nicht einmal "Hänschen klein" richtig singen. Bei mir muss eine Sängerin oder ein Sänger schon katastrophal singen, damit ich überhaupt was merke.
Ist das Wiener Publikum besonders gnadenlos?
Prohaska
Ich würde sagen, es ist ein spezielles Publikum. Manchmal werden ja die Regisseure arg ausgebuht. Und ich habe oft keine Ahnung, warum. In New York in der Met sitzt ein ganz anderes Publikum. Da rennen am Nachmittag, die haben oft Vorstellungen um die Zeit, viele mit Rucksack und im Leiberl herum. Da kriegt man auch den Champagner im Plastikglasl, der kostet aber auch 25 Dollar.
Und die Damen waren nicht vorher beim Friseur wie bei uns?
Prohaska
Nein, manche sicher schon seit Wochen nicht.
Sind Sie immer, wie man so schön sagt, anständig gekleidet in der Oper?
Prohaska
Selbstverständlich. Anzug und Krawatte.
Smoking bei Premieren?
Prohaska
Ich geh nie zu Premieren.
Aus Prinzip?
Prohaska
Nein, sondern weil man mich nicht einlädt. Aber ich bezahle alle meine Opernkarten, mir ist nur wichtig, dass wir gut sitzen. Da habe ich dann schon manchmal beim Holender (Anm. Ioan, ehemaliger Staatsoperndirektor), mit dem ich ja jede Woche Tennis gespielt habe, angerufen. Und der war immer sehr hilfsbereit und ist überhaupt ein sehr lieber, sehr charismatischer Mensch. Nur beim Tennis konnte es ein bisschen schwierig werden: Der Ioan ist jemand, der am Platz überhaupt nicht verlieren kann. Aber von Stimmen versteht er so viel wie kein Zweiter.
Berühmt die Geschichte, dass Holender nach dem Stimmverlust eines Sängers bei einer Wagner-Oper in der Pause einen Ersatzkünstler aufgetrieben hat, der gerade am Bahnhof am Würstlstand stand.
Prohaska
Echt? Großartige Geschichte. Wahrscheinlich hätt' er am liebsten selber gesungen.
Sie kommen aus einfachen Verhältnissen und haben daraus nie ein Hehl gemacht.
Prohaska
Ich bin in einer Zweizimmer-Wohnung aufgewachsen in der Hasenleitengasse in Simmering, mit meinen Eltern und meinem Großvater. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr hab ich in der Besucherritze im Ehebett meiner Eltern geschlafen.
Wann konnten die Armen sich dann näherkommen?
Prohaska
Wenn sie mich ins Kino geschickt haben, Eintrittspreis drei Schilling. Den "Koloss von Rhodos" hab ich mindestens sechs Mal gesehen.
Haben Sie als Kind diese finanzielle Eingeschränktheit als Mangel empfunden?
Prohaska
Nein, rundherum herrschten ja ähnliche Verhältnisse. Mein Vater war Hilfsarbeiter und ist jeden Tag nach der Arbeit mit mir zum Fußballkäfig gegangen. Da konnte er noch so müde sein. Urlaub gab's bei uns sowieso nie. Wenn meine Eltern gesagt hätten, wir fahren jetzt eine Woche an den Wörthersee, hätte ich zu weinen begonnen, weil ich zwei Monate nur im Käfig spielen wollte.
Der Vater war ja auch Jazzfan.
Prohaska
Ja, er hatte ein Foto vom Harry James (US-Trompeter der Swing-Ära, Anm.) an die Wand gehängt, das hat der Opa dann wieder abgehängt. Und er war ein fantastischer Tänzer. Er kannte jeden Tanz und hat alle Mädels auf jeder Hochzeit zu Tode getanzt.
Und Sie tanzten auf dem Rasen. Sowohl Fußballspieler als auch Opernsänger verpassen ja oft den richtigen Zeitpunkt: Haben Sie rechtzeitig aufgehört?
Prohaska
Ich würde heute noch gern spielen, aber ich musste mit 34 aufhören, meine Achillessehnen waren furchtbar bedient. Aber besser so, als wenn sie irgendwann über dich sagen: Der hätt' auch schon längst abtreten sollen. Das Schöne ist: Ich kann nichts anderes als Fußball und kann bis heute davon leben.
 Haben Sie schon irgendwann das Angebot bekommen, eine Opernübertragung für das Fernsehen zu kommentieren?
Prohaska
Nein, was auch so besser ist. Aber vielleicht für die Zuschauer auch ganz lustig. Weil da einer ist, der genauso wenig Ahnung hat wie sie selbst.

Herbert Prohaska, 67

Herbert Prohaska, gelernter Automechaniker, war insgesamt 14 Jahre bei der Wiener Austria, unterbrochen von drei Jahren bei Inter Mailand und AC Rom. Von 1974 bis 1989 war er Mitglied der Nationalelf und nahm an 84 Matches teil. Im Alter von 34 Jahren beendete er nach insgesamt 192 Toren seine aktive Karriere und wurde Trainer bei seinem violetten Stammverein und im Nationalteam. 2004 wurde er zum besten Fußballer der letzten 50 Jahre gewählt und kommentiert so trocken wie ironisch seit über 20 Jahren für den ORF große Fußballmatches.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort