Homeoffice nach Corona: Ja oder nein?

Homeoffice or not Homeoffice, das ist jetzt natürlich die Frage. Die Zukunft wird beides vereinen, meint Angelika Hager.

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Der Lippenstift sollte knallrot sein wegen der Signalwirkung. Für das lange Zoom-Meeting ist farbiges Gloss besser geeignet, das hält. Alexandria Ocasio-Cortez, die charismatische 31-jährige US-Demokratin und Kongressabgeordnete, gibt auf Initiative der „Vogue“ via YouTube Schminktipps, die Frauen für die oft brutale Optik von Zoom- oder Teams-Videokonferenzen wappnen sollen. Natürlich ist ein Kaliber wie AOC (wie sie in der Politszene heißt) nicht  im Tutorial-Tussiland von YouTube verkommen, sie nutzt die Pinselei-Anleitungen auch für feministische Kampfparolen.   

Nach gut 15 Monaten in der neuen Normalität, sprich: in der Isolation des Homeoffice, wo viele mit nervlichen Zusatzzerreißproben in Form von Homeschooling und gefühlten Ewigkeiten im Videokonferenzmodus bei überlastetem Netz („Hört ihr mich?“ – „Nein, du klingst ganz abgehackt!“ – „Moment. Ich geh ins Bad. Jetzt?“) gefordert waren, stellt sich manchen die Frage: Was jetzt? Raus aus dem kuscheligen Idylle-Chaos, wieder an den ordentlichen, vergleichsweise total überwachten Arbeitsplatz und dann einfach so weitermachen wie bisher? Sich plötzlich wieder ganz für das bebaute Gebiet anziehen und nicht mehr als zweigeteilter Mensch (unten Pyjamahose mit Häschenaufdruck, oben ob der Corona-Pfunde ein etwas knapp sitzender, aber Seriosität atmender rebhuhnfarbener Business-Blazer) vor dem Computermonitor totales Engagement simulieren, während man nebenbei seine Mails abarbeitet? Erwiesen ist übrigens inzwischen, dass Zoom-Meetings jenseits der 45 Minuten die menschliche Aufmerksamkeitsspanne übersteigen und wenig bringen. Also wieder den Gesichtern in der überfüllten U-Bahn auf der nach oben offenen Mürrischkeits-Skala insgeheim Noten vergeben? Wieder aus dem Firmenautomat diesen Kaffee trinken, der geschmackstechnisch eher nicht den Helsinki-Konventionen entspricht, statt dem Blubbern aus der vertrauten Bialetti zu lauschen, aus der sich der Duft von  frisch gebrühtem Kaffee über das Homeoffice, sweet Homeoffice legt? 

Homeoffice oder kein Homeoffice?

Homeoffice or not Homeoffice, das ist natürlich jetzt die Frage, die sich vielen, sowohl Arbeitnehmer*innen als auch Arbeitgeber*innen, stellt.

Wir sprechen hier natürlich von einem relativ luxuriösen Problem. Arbeitnehmer*innen, die überhaupt die Alternative hatten, ihre Erwerbstätigkeit nach Hause zu verlegen, sind meist gut ausgebildet, verfügen über längere Berufserfahrung und sind auch „wesentlich weniger gefährdet, gekündigt zu werden“, so die „New York Times“ nach Auswertung einer einschlägigen Studie. Laut dieser Studie wird sich die Anzahl jener US-Berufstätigen, die auch in Zukunft großteils nur virtuell für ihre Bosse vorhanden sein werden, im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie verdoppeln bis verdreifachen.

Laut einer Umfrage der internationalen Plattform „Statista“ vom vergangenen Jänner arbeiteten 41 Prozent aller 800 Studienteilnehmer*innen in Österreich zumindest teilweise in den eigenen vier Wänden, 21 Prozent davon ausschließlich; 26 Prozent hatten keine Möglichkeit, sich im Homeoffice zu installieren, 33 Prozent hatten die Option ohne Angabe von Gründen nie für sich beansprucht.  

Die österreichische Agentur für  die Erforschung von Arbeitswelten teamgnesda erhob, dass acht von zehn Österreicher*innen (für die  Homeoffice überhaupt möglich war) zu Heim-Arbeiter*innen mutierten. Der Gründer der Agentur, Andreas Gnesda, prognostiziert, dass sich der „Arbeitsplatz Büro, wie wir ihn bisher kannten“, grundlegend verändern wird: „Büroimmobilien müssen auf weniger  Fläche mehr leisten, denn das Büro muss jetzt noch viel mehr zum Magneten für Unternehmenskultur werden.“ 

Tatsächlich adaptierten große, verhältnismäßig junge  Konzerne wie Facebook, Google oder Microsoft schon lange vor dem Corona-virus ihr Ambiente in diese Richtung und schufen Arbeitswelten, von denen wir hierzulande nur träumen können: mit Yogaräumen, Smoothiebars, Ausruhoasen, Tischtennistischen und Gesprächskojen für Sitzungen im intimen Rahmen, um den Mitarbeiter*innen zu signalisieren, dass deren Wohlbefinden dem Unternehmen eine Herzensangelegenheit ist – was bekanntlich deren Produktivität, Firmenloyalität und Einsatzbereitschaft stärkt. Fixe Schreibtische, wie man sie bisher kannte, dekoriert mit Familienfotos, Maskottchen und Belohnungs-Schoko, werden zunehmend aus dem Firmenalltag verschwinden; das Konzept des „hot desks“ wird den klassischen, personalisierten Arbeitsplatz ersetzen: Jeder Mitarbeiter bekommt ein Kästchen, um Persönliches verschlossen verstauen zu können, gearbeitet wird an jenen Tischen, die gerade frei sind. 

In Europas größter Bank, der HSBC, wurde im Londoner Hauptquartier eben die Vorstandsetage adaptiert: Statt Büros für große Tiere wird es dort demnächst Räume für Kundentreffen und Besprechungszimmer geben. Die Mächtigen wollen mit gutem Beispiel vorangehen und auch die First-come-first-serve-Schreibtischmethode praktizieren. Der „Financial Times“ erklärte Vorstandschef Noel Quinn, dass mit der Verschwendung von Büroflächen jetzt Schluss sei: „Schließlich reisen die meisten von uns ständig um die ganze Welt. Unsere Büros standen die meiste Zeit leer.“ Um rund 40 Prozent werde man in der nächsten Zeit die Büroflächen und Kosten von Immobilien senken.  

Das hybride Arbeitsmodell als Konzept von morgen

Das hybride Arbeitsmodell, also eine Mischform aus der Arbeit von zu Hause und physischer Präsenz im Unternehmen, so sind sich Soziologen und Zukunftsforscher einig, wird das Konzept von morgen, wenn nicht schon heute  sein. Die Firma wird zum Ort für Teambesprechungen, soziale Tuchfühlung, eventuell auch zur Flirt-Arena, denn bislang war der Arbeitsplatz noch vor dem Netz die erfolgversprechendste Anbahnungs-Location zwischen den Geschlechtern und natürlich auch eine Gefahrenzone für sexuelle Belästigungen, beflügelt durch das entsprechende Machtgefälle, meist zuungunsten der Frauen. Was allein erledigt werden kann, wird in Zukunft zu Hause gemacht werden. Österreichische Topmanager*innen würden ihre Dienstnehmer*innen gerne häufiger im Büro sehen als diese sich  selbst: Eine teamgnesa-Umfrage ergab, dass sie maximal zwei, besser nur einen Tag in Heimarbeit genehmigen wollen, während die Arbeitnehmer*innen zwei bis drei Tage anstreben.

Der Mensch ist ein soziales Tier, deswegen ist er gut damit bedient, sich das Beste aus beiden Konzepten zu holen. Die sicherste Methode gegen das Erreichbarkeits-Burnout: Das Arbeiten von zu Hause muss an klare Regeln und Strukturen gebunden sein.  Irgendwann werden die Kommunikationsgeräte abgestellt, E-Mails müssen nicht innerhalb von 20 Minuten beantwortet werden, man kann schon einmal drüber schlafen. Zwischen Arbeit und Freizeit sowie Familienleben muss eine klare Demarkationslinie gezogen werden, die auch von den Vorgesetzten zu respektieren ist.

Das Prinzip Homeoffice wird von manchen Arbeitgebern, besonders im deutschsprachigen Raum, noch immer mit Argwohn beäugt. Denn viele fürchten den Produktivitätsverlust, wenn ihre Untergebenen auf sich allein gestellt sind, die Work-Life-Balance in Richtung mehr Lebensqualität kippen und sich vielleicht, statt konzentriert bei der Sache zu sein, doch noch zwei Folgen der angesagten Netflix-Serie reinziehen oder mit ihren Kindern am Lego-Schiff weiterbasteln. 

Dieser Misstrauensvorschuss liegt in der irrigen Annahme, dass physische Anwesenheit gleichzeitig ein Garant für Produktivität und Kreativität ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.

Tatsächlich gibt es inzwischen  schon eine große Vielfalt von Überwachungssoftware, mit der Bosse die Aktivitäten ihrer Schäfchen im firmeneigenen Netzwerk überprüfen lassen. Einmal zu viel Duftkerzen bei Westwing oder die Nigella-Lawson-Rezepte sondiert – und schon könnte eine ganze Karriere in Trümmern liegen. Rechtlich befindet man sich damit in einer Grauzone. Ist nicht schriftlich geregelt, dass das Internet ausschließlich für berufliche Zwecke benutzt werden darf, hat ein Arbeitgeber kaum Handhabe. Ist die private Nutzung des Firmennetzwerks explizit verboten, darf ein Arbeitgeber den Browserverlauf auswerten. 

Kleines Paradoxon am Rande: Im englischsprachigen Sprachraum existiert der Begriff „Homeoffice“ in der von uns benutzten Bedeutung nicht. Im britischen Englisch bezeichnet er das Ministerium für Inneres; der fachgerechte Terminus lautet „remote work“, wobei die Bedeutungen des Adjektivs „remote“ laut Wörterbuch zwischen „entfernt“, „abgelegen“ und „isoliert“ changieren.  

Womit wir schon bei einem neuralgischen Punkt sind, denn genauso wie nicht jedes Kind für den gleichen Schultyp geeignet ist, sind auch nicht alle Menschen für das Arbeitsmodell Home-office geeignet: Tatsächlich ist das Gefühl der Isolation und der Einsamkeit eine Gefahrenhürde für jene, die aus ihrer Prädisposition heraus ohnehin anfällig sind für Verunsicherungen, erschwerte Kontaktaufnahme, Schüchternheit, Depressionen oder auch Angststörungen. „Zoom-Burnout“ und „Social Paranoia“ sind neue, in „Heimarbeit“ hergestellte psychologische Phänomene: Ersteres kommt verstärkt bei Frauen vor, die bei Zooms oder Teams laut einer Studie der kalifornischen Stanford-Universität zusätzlichen Stress entwickeln: Stereotype männliche Kommunikationsstrategien wie Unterbrechungen, die Unfähigkeit, zuzuhören, und ein dynamisches bis unhöfliches Durchsetzungsvermögen „machen sich bei Videokonferenzen noch mehr bemerkbar als im analogen Leben“. 

Beruflich bedingte Paranoia entstehe dann, wenn man von der Angst getragen ist, nicht mehr zur DNA seiner Firma zu gehören, und sich ausgeschlossen fühlt. Sich selbst ein schönes privates Umfeld zu schaffen, schütze dagegen die Seele. Der japanische Automobilhersteller Nissan trägt diesem Bedürfnis Rechnung: In seinem neuesten Caravan-Modell hat er ein „Office Pod Concept“ eingebaut, das bei guter Witterung auch ins Freie gezogen werden kann. Angesichts der wachsenden Mietpreise für die Nomaden von morgen vielleicht schon bald die allerneueste Normalität.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort