Homo-Ehe: Leben und Sterben lassen
Am 31. März 2001, kurz vor Mitternacht, bahnten sich vier VW-Käfer in Regenbogenfarben den Weg zum neuen Amsterdamer Rathaus. Hunderte Journalisten und Fotografen sammelten sich um die Autos, aus denen ein gleichgeschlechtliches Paar in Abendgarderobe ausstieg. In der Euphorie, die über dem Platz lag, wirkten die paar Demonstranten, die Plakate mit der Aufschrift "Zurück zu Gott“ schwenkten, wie absurde Relikte aus einer gesellschaftspolitischen Steinzeit. Kurz nach Mitternacht tauschten sechs Männer und zwei Frauen im Zeremoniensaal des Rathauses Ringe und Ja-Wörter aus. Eine Mischung aus Glück und Überforderung spiegelte sich in ihren Gesichtern, als sie gemeinsam eine rosarote Hochzeitstorte anschnitten. Das Bild ging um die Welt und markierte einen historischen Durchbruch in der Geschichte der "Gay Rights“-Kämpfe um gesetzliche Gleichstellung.
15 Jahre sind seit dem Tag der ersten lesbischen und homosexuellen Eheschließungen vergangen, über 20.000 Menschen taten es den vier Pionierpaaren seither allein in den Niederlanden gleich. Belgien, Norwegen und Spanien zogen bald nach. In zwölf der 28 EU-Mitgliedsländer ist die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare inzwischen legal; weitere neun erlauben eine eingetragene Partnerschaft mit eingeschränkten Rechten, wie sie ab 2010 auch in Österreich nach langen politischen Grabenkämpfen endlich durchgesetzt wurde.
In ganz Nordamerika, Neuseeland, Südafrika und selbst in konservativ und machistisch geprägten südamerikanischen Ländern wie Argentinien, Brasilien und Uruguay ist die gleichgeschlechtliche Ehe inzwischen gesetzlich verankert. Bahnbrechende Erneuerungen konnten auch in der Familienpolitik erreicht werden: Seit Anfang 2016 gilt selbst im lange rückständigen Österreich eine gesetzliche Gleichstellung bei künstlicher Befruchtung und Adoption.
Verfolgung noch in vielen Ländern gang und gebe
Doch während in der westlichen Zivilisation Gleichstellung mit wachsender Selbstverständlichkeit praktiziert wird, werden in vielen Teilen der Welt Homosexuelle noch immer verfolgt, gefoltert oder gar getötet. In knapp 40 Prozent aller Länder weltweit ist gleichgeschlechtliche Liebe illegal; im Irak, Nigeria und Somalia droht Homosexuellen nach Scharia-Recht die Steinigung. In neun Staaten steht die Todesstrafe auf homosexuelle Handlungen; in fünf davon (Mauretanien, dem Sudan, Saudi-Arabien, Jemen und dem Iran) wird sie auch tatsächlich praktiziert. Den Bildern von iranischen Teenagern, die mit verbundenen Augen am Galgen baumelten, wurde inzwischen eine neue Facette des Grauens hinzugefügt: Im Netz kursieren zahlreiche Videos von gefesselten Männern mit verbundenen Augen, die in Syrien und dem Irak von den Schergen der Terrormiliz "Islamischer Staat“ wegen ihrer Homosexualität vor johlender Menge von Hochhäusern geworfen wurden. Wer den Sturz überlebte, wurde zu Tode gesteinigt.
Doch nicht nur in den Kriegszonen islamistischer Barbarei eskaliert die Homophobie. Obwohl etwa in Ungarn die eingetragene Partnerschaft ebenfalls gesetzlich verankert ist, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen gegen Lesben und Schwule, wie man bei diversen Pride-Paraden beobachten konnte. Ein Sprecher der rechtsextremen Jobbik-Partei bezeichnete solche Veranstaltungen kürzlich als "schandhaft“ und "pervers“. Ein von der Regierung für den Unterricht empfohlenes Biologiebuch beschreibe Homosexualität "als psychische Krankheit, die unausweichlich mit HIV-Infektionen und Geschlechtskrankheiten verbunden ist“, so die ungarischen Gay-Rights-Aktivisten "Hatter“. Die "Istanbul Pride“-Parade wurde 2015 von der Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschoßen aufgelöst; in Jerusalem kam bei einer ähnlichen Veranstaltung im vergangenen Sommer ein Mädchen zu Tode.
In Ländern wie der Türkei oder Serbien kann schwules und lesbisches Leben nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Doch auch in Deutschland, in den Niederlanden und in Skandinavien berichten die Notrufzentralen immer öfter von Vorfällen, bei denen junge Schwule, die händchenhaltend oder küssend durch die Straßen gehen, von militanten Gangs (häufig mit Migrationshintergrund) krankenhausreif geprügelt wurden.
Es ist ein Faktum, dass gerade Jugendliche glauben, ihre Männlichkeit mit Homophobie stärken zu können. Dadurch werden feminine Männer zu ihrem Feindbild und zur Quelle ihres Hasses. (Louis Rogmans)
Louis Rogmans, früher Chefredakteur heute Pensionist, war einer derer, die am 1. April 2001 nachts im Amsterdamer Rathaus getraut wurden. Er ist der Mann mit der rosa Fliege in der Mitte auf dem Foto. Mit seinem Ehepartner Ton Jansen, der neben ihm steht, ist er bis heute zusammen, die beiden blicken inzwischen auf insgesamt 50 Jahre gemeinsame Beziehung zurück. Einen leisen gesellschaftspolitischen Umschwung registriert auch er: "Wir selbst waren nie mit Hass konfrontiert, Amsterdam ist prinzipiell eine sehr offene, liberale Stadt. Aber es ist ein Faktum, dass gerade Jugendliche glauben, ihre Männlichkeit mit Homophobie stärken zu können. Dadurch werden feminine Männer zu ihrem Feindbild und zur Quelle ihres Hasses. Die meisten, die auf der Straße Gewalt ausgesetzt waren, hatten sich vorher geküsst.“
Dass Europa zusehends in ein Klima abdriftet, in dem Schwule und Lesben ihre Beziehungen nicht mehr offen zur Schau stellen wollen, bestätigen auch Umfragen. In der jüngsten Studie der Europäischen Grundrechteagentur aus dem Jahr 2013 gaben 47 Prozent von 93.000 befragten homosexuellen Personen an, persönliche Diskriminierung oder Belästigung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung schon erlebt zu haben. Ein Viertel der befragten Homosexuellen erklärte sogar, innerhalb der vergangenen fünf Jahre körperlich oder verbal attackiert worden zu sein.
Die Landkarte der Homophobie wird in Europa von einem starken West-Ost-Gefälle geprägt. Sechs der sieben EU-Länder, in denen bis heute keine eingetragene Partnerschaft möglich ist, sind post-kommunistische Staaten: Bulgarien, Rumänien, Polen, Lettland, Litauen und die Slowakei. In Italien soll die eingetragene Partnerschaft demnächst Gesetzeskraft erlangen.
"Wir sind für die Normalbevölkerung Aliens"
"Homophobie ist in unserer Gesellschaft tief verwurzelt“, erklärt Vladimir Simonko, Geschäftsführer der litauischen NGO-Organisation LGL, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzt. Er kann die Angst der Bevölkerung sogar ein wenig nachvollziehen: "Es ist verständlich, dass es für viele ein Schock ist, wenn auf einmal Homosexuelle in der Öffentlichkeit auftauchen. Damit haben die Menschen nie umgehen gelernt. Wir sind für die Normalbevölkerung Aliens.“
Befeuert wird die grassierende Homophobie durch russische TV-Sender, die in Litauen äußerst beliebt sind und die Anti-Gay-Politik von Präsident Wladimir Putin propagieren. Dieser hatte im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi bekanntlich Homosexuelle mit Pädophilen auf eine Stufe gestellt und gefordert, man müsse das Land von solchen Kreaturen "reinigen“.
Simonko kämpft gegen Windmühlen. Medien, die Homosexualität in irgendeiner Form thematisieren, werden in Litauen streng zensiert. Gesetzliche Grundlage dafür ist ein Gesetz nach russischem Vorbild aus dem Jahr 2010, das Minderjährige schützen soll. Sämtliche Informationen, die "den Wert der Familie verunglimpfen“ oder "ein anderes Konzept von Familie und Ehe bestärken als das in der Verfassung festgeschriebene“, werden als schädlich eingestuft.
Valide Studien zur Diskriminierung Homosexueller existieren kaum, die Zahlen variieren - nicht zuletzt wegen unterschiedlicher Auffassungen, was die Definition homophober Gewalt betrifft. In einer einschlägigen Studie der Wiener Antidiskriminierungsstelle aus dem Jahr 2015 gaben 20 Prozent von insgesamt 3000 befragten Personen an, körperlich attackiert worden zu sein; drei Viertel aller Befragten erklärten, schon in der Öffentlichkeit beschimpft worden zu sein. Das typische Profil eines homophoben Gewalttäters erhob die Initiative "Gay Cops“ unter 550 Befragten im Jahr 2015: Er ist jung, männlich, heterosexuell und in der Gruppe unterwegs.
KIischee vom urban-liberalen Leben trügt
Gefährlicher sei noch immer das Leben in der Stadt, auf dem Land kämpften Homosexuelle "eher mit konservativen Verwandten und innerfamiliären Problemen“, so Johannes Walhala, Leiter der Beratungsstelle Courage. Im ländlichen Bereich wird schwules Leben meist nicht offen zur Schau gestellt, wie profil in der Reportage "Im rosa Winkel” (Nr. 28/2013) erhob - aus Angst vor Ausgrenzung. Das Klischee vom urban-liberalen Leben, in dem man sich nicht mehr fürchten muss, trügt jedoch: "Das offene Ausleben im urbanen Raum ruft in Folge auch mehr Aggression hervor“, sagt Walhala.
Isabella Fischer ging in ihrer steirischen Heimatgemeinde Bad Aussee offen mit ihrer Homosexualität um: Ob am Stammtisch oder beim Eisstockschießen, ihre Freundin war selbstverständlich dabei. "Hinterrücks wurde natürlich getuschelt, aber reden tun die Leute immer“, erklärt sie im Gespräch mit profil. Wie subtil Diskrimierung ausfallen kann, konnten Isabella Fischer und ihre Partnerin 2011 im Wiener Bezirksamt von Margareten mehrfach erleben: Erst beim dritten Anlauf hatten sie alle jene Stempel und Unterlagen dabei, die die mürrische Beamtin in Tranchen eingefordert hatte. Heute könnten sich die beiden dank eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs mit Ja-Wort und Trauzeugen verpartnern lassen; zuvor war nur die Unterschrift erlaubt gewesen. Das Standesamt sehen Homosexuelle aber nach wie vor bestenfalls als Gäste einer Hetero-Hochzeit. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner versprach vor zwei Jahren die Abschaffung dieser Regelung. Bis heute blieb es bei einem Lippenbekenntnis, eine Änderung der Gesetzeslage sei schwierig, heißt es.
"Da kann ich nur lachen. Es war möglich, dieses Parallelregime in wenigen Monaten aus dem Boden zu stampfen. Dass die Rückänderung Jahre dauern soll, ist absurd“, findet der Wiener Rechtsanwalt und Präsident des Lambda-Rechtskomitees, Helmut Graupner. Graupner brachte inzwischen zwei Klagen ein, die eine Öffnung zur Ehe erzwingen sollen. Gleichzeitig vertritt Graupner fünf homosexuelle Paare, deren Kinder beim Verfassungsgerichtshof Klage erhoben haben, als ehelich anerkannt zu werden. Da die Eheöffnung bisher mit der Begründung abgelehnt wurde, sie sei nur zur Familiengründung vorgesehen, aber dank der neuen Gesetzeslage nun dieselben Familiengründungsrechte für homo- und heterosexuelle Paare gelten, ist Graupner optimistisch: "Wenn den Verfassungsrichtern das Kindeswohl ein wesentlicher Wert ist, wovon ich ausgehe, dann können sie nur für die Aufhebung des Eheverbots entscheiden.“ Auch im politischen Diskurs ist die Debatte um die Rechte Homosexueller wieder aufgeflammt. Die von Graupner initiierte Bürgerinitiative "Ehe gleich“ sammelte vergangenes Jahr in drei Wochen 25.000 Unterschriften für die Öffnung der Ehe. Ende Juni wird die Initiative im Parlament angehört werden. SPÖ, Grüne und NEOS sprechen sich für eine "Ehe gleich“ aus, von ÖVP, FPÖ und Team Stronach gibt es ein klares Nein.
Dabei ist die Stimmungslage in der Bevölkerung eigentlich eindeutig: Laut einer Market-Umfrage von 2014 befürworten 73 Prozent die Ehe für Homosexuelle. Auffallend hierbei: Die Zustimmungsrate unter den Frauen liegt bei 81 Prozent, bei Männern nur bei 64 Prozent. Für Graupner ein klares Signal: "Wir brauchen uns nicht fürchten. Nicht Österreich ist homophob, sondern manche Parteien.“