Wellness ohne Erholung

ImPuls Tanz: Florentina Holzinger - die österreichische Extrem-Performerin

Tanz. Die österreichische Extrem-Performerin Florentina Holzinger

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Wenn sich Sprechtheaterkritiker in Performances verirren, erleben sie mitunter ein blaues Wunder. "In diesem Jahr hat die Verstörung einen Namen: Florentina Holzinger“, notierte Egbert Tholl im Vorjahr in der "Süddeutschen Zeitung“ sichtlich irritiert. In der Produktion "Wellness“, für Tholl die "bizarrste Aufführung seit Langem“, wälzen sich nackte, mit Öl beschmierte Körper am Boden, gleiten meditativ in buntem Techno-Licht übereinander, bis sie als Einzelwesen nicht mehr wahrnehmbar sind. Danach lässt sich Holzinger mit einem leuchtenden Strap-On-Glasdildo von einer Kollegin penetrieren, deren überdimensionale Fake-Brüste zuvor angestochen wurden, um die Bühne mit Unmengen an fettigem Gleitmittel zu überziehen.

Trotz vollem Körpereinsatz war bei "Wellness“, im Vorjahr auch im Wiener Koproduktionshaus brut zu sehen, aber eine gewisse Müdigkeit zu spüren. Diese Arbeit markierte den Endpunkt einer kurzen, aber äußerst intensiven Zusammenarbeit zwischen der Wienerin Florentina Holzinger, 28, und dem Niederländer Vincent Riebeek, Jahrgang 1988. Die beiden hatten sich während des Studiums an der School für New Dance Development in Amsterdam kennengelernt und wurden international auf Anhieb als radikal-glamouröses Bühnenpaar gefeiert. Bereits ihre erste gemeinsame Arbeit "Kein Applaus für Scheiße“ (2011) machte deutlich, warum die beiden so hoch gehandelt werden. Popkulturelle Lässigkeit traf da auf eine ironische Neuinterpretation klassischer Body-Art aus den 1960er-Jahren. Was damals schockierte, überraschte plötzlich durch eine neue Lockerheit, über die man sogar schmunzeln konnte. Wenn Riebeek blaue Flüssigkeit auskotzte, sah das seltsam schön aus. Wenn Holzinger wie ein verspieltes Kind durch eine Urinpfütze ihres Kollegen rutschte, wirkte das absurderweise ansteckend naiv. Selten machte Provokation mehr Spaß. "Wir haben keine Angst davor, unser Publikum zu unterhalten“, erklärt Holzinger im profil-Gespräch. "Es geht darum, uns selbst herauszufordern, aber auch ein Spektakel auf die Bühne zu bringen.“

"Kein Applaus für Scheiße“ (2011)

Darin unterscheiden sich die beiden wohltuend von Kollegen, die bloß sperrige choreografische Skizzen produzieren. Holzinger und Riebeek sind ein exzentrisches Gesamtpaket. Die akribische Recherche der Tanz- und Performancegeschichte ist ihnen ebenso wichtig wie voller Körpereinsatz, der wiederum oft von kitschig schönen Bildern durchbrochen wird. Berührungsängste kennen sie nicht: Sie spielen sogar mit in der coolen Performance-Szene verpönten Zirkus- und Varieté-Elementen. In "Spirit“ (2012) etwa turnte Holzinger an Seilen - "Aerial Silk“ nennt man diese Form der Akrobatik, die man eher mit dem Cirque du Soleil assoziiert. Bei einem ihrer Auftritte auf der norwegischen Lofoten-Inselgruppe löste sich im Vorjahr ein Haken aus der Decke, und Holzinger krachte während einer Vorstellung aus mehreren Metern Höhe mit voller Wucht auf ihr Gesicht: Eine Gehirnerschütterung, ausgeschlagene Zähne und eine gebrochene Nase waren die Folgen. Bereits sieben Wochen später stand die Performerin wieder auf der Bühne.

Keine Frage: Florentina Holzinger ist eine Kämpferin. Genau diesen Aspekt wird sie nun auch in ihrem ersten Solo, das im Rahmen des laufenden ImPulsTanz-Festivals uraufgeführt wird, ins Zentrum rücken. In "Agon“ - der Titel bezieht sich auf den gleichnamigen Ballettklassiker von George Balanchine und Igor Strawinski von 1957 - geht es um Wettkampf, körperliche Heilung, aber auch um feministische Fragen: Holzinger hat sich in der Tanzgeschichte umgesehen, ob es denn ein von zwei Frauen getanztes Pas de deux gebe. Und sie hat sich von einer Mixed-Material-Arts-Trainerin zur "Kampfmaschine“ ausbilden lassen.

"Zwischen Tanz und Fitness gibt es sehr viele Berührungspunkte“, sagt Holzinger, die nach der Schule zuerst internationale Betriebswirtschaft studierte. Die Eltern waren anfangs skeptisch, als ihre Tochter beschloss, Tänzerin zu werden. Allerdings nicht, weil sich Holzinger auf der Bühne dermaßen radikal exponierte, sondern weil es für sie unvorstellbar war, dass man davon seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Zumindest diese Zweifel haben sich schnell zerschlagen. Schließlich stellt sich Holzinger vor jeder neuen Arbeit eine ziemlich altmodische Grundfrage: "Was macht es heutzutage für ein Publikum noch wert, ins Theater zu gehen?“. Die Antwort darauf gaben Riebeek und Holzinger schon mit dem Titel ihrer ersten Arbeit: Es gibt keinen Applaus für Scheiße. Man muss schon etwas bieten.

"Agon“, 9.8. und 11.8. im Kasino am Schwarzenbergplatz, Wien

Infos: www.impulstanz.com