Inflation und Teuerung: Sollen wir doch Kekse essen?
Das Leben in Österreich fühlt sich derzeit einigermaßen skandinavisch an, manchmal sogar ein wenig schweizerisch. Die Teuerung hat Ausmaße angenommen, die an die 1970er-Jahre erinnern. Die Preise wiederum sind Science-Fiction: Das Viertelkilo Butter hat im Supermarkt längst die Zwei-Euro-Schallmauer durchbrochen, das 10-Euro-Schnitzel ist stark vom Aussterben bedroht, von Benzin oder Fernwärme brauchen wir gar nicht erst anfangen. Im Mai betrug die Teuerung laut Verbraucherpreisindex acht Prozent, die Großhandelspreise liegen sogar 25,1 Prozent über Vorjahr.
Man kann es wohl so dramatisch formulieren: Unser Lebensstandard steht auf der Kippe. Auch wenn die sozialen Folgen der Teuerung politisch abgefedert und ihre ökonomischen Ursachen von den Zentralbanken bekämpft werden mögen, wird dieser Kampf nicht so rasch Früchte tragen (Erdbeeren übrigens: plus 8,4 Prozent!). Aber noch gibt es sie, die stabilen Preise. Und ja, sie stecken auch in dem Warenkorb, mit dem die Teuerungsrate in Österreich berechnet wird. Er enthält ein umfassendes (und alle fünf Jahre nach Maßgabe der Konsumerhebung neu geschnürtes) Bündel an Produkten und Dienstleistungen, die – unterschiedlich gewichtet – das heimische Verbraucherverhalten repräsentieren. Er hat auch zwei kleinere, deutlich übersichtlichere Brüder, die den täglichen (Mikrowarenkorb) beziehungsweise wöchentlichen Bedarf (Miniwarenkorb) widerspiegeln.
An einem statistisch standardisierten Konsumententag erwirbt ein genormter Durchschnittsösterreicher demzufolge (in ungefähr chronologischer Reihenfolge): Spezialbrot, Gebäck, Milch, Topfengolatsche, Pizza (tiefgekühlt), Putenbrustfleisch, Schinken (vom Schwein), Fruchtjoghurt, Gouda, Butter, Äpfel, Tomaten, Kartoffeln, Vollmilchschokolade, Mineral- bzw. Tafelwasser, Orangensaft, Flaschenbier, Tageszeitung, Melange (Kaffeehaus), belegtes Gebäck. Unterm Strich kommt dabei eine Teuerung von 7,7 Prozent heraus (und die Erkenntnis, dass sich der Durchschnittsösterreicher nicht ansatzweise vegan, aber doch halbwegs ausgewogen ernährt). Über die Woche kommen laut Miniwarenkorb noch 38 weitere Konsumgüter und Dienstleistungen hinzu, also etwa Kaugummi, Benzin oder Kinokarten, macht eine noch heftigere Teuerung von 14,4 Prozent im Vergleich zum April 2021.
Beim Blick in den (kompletten) Warenkorb könnte man freilich auf Ideen kommen: Wäre es denn vielleicht auch möglich, ohne Teuerung durch den Tag zu kommen oder wenigstens mit ganz geringen Preissteigerungen? Ja, wäre es. Man muss diesen Tag auch gar nicht ausschließlich im Bett verbringen, obwohl das zweifellos eine inflationäre Option darstellt. Denn der Rückzug ins Private erscheint erstaunlich preisstabil: Schlafzimmermöbel liegen im aktuellen Verbraucherpreisindex nur um 0,9 Prozent im Plus, Matratzen sind sogar um 4,5 Prozent billiger geworden, Bettwäsche um 0,6 Prozent, der Schlafsack liegt exakt auf Vorjahresniveau und Kondome bei plus 0,1 Prozent. Bei außerbettlichem Aktivitätsbedürfnis wäre Heimwerken eine gangbare Option, denn „größere langlebige Gebrauchsgüter für Freizeit in Räumen“ (alias: „Tischtennistisch“) schlagen schon mit 5,7 Prozent nach oben aus, Akkuschrauber dagegen: minus 7,2 Prozent, Bohrmaschine minus 2,1 Prozent. Gartenarbeit wäre dagegen die reine Preistreiberei: Blumen plus 12,8 Prozent, Blumenerde plus 11,2 Prozent, Grassamen plus 8,1 Prozent. Dann schon lieber Saubermachen: Geschirrspülmittel minus 4,3 Prozent, WC-Spüler minus 3,0 Prozent. Und wenn etwas schiefgeht: Pflaster minus 1 Prozent, Unfallversicherung plus 1,8 Prozent.
Aber ohne Frühstück macht natürlich auch das bestgeputzte Badezimmer keine Freude, und da fangen die Schwierigkeiten leider schon an. Es sind vor allem Verständnisprobleme. Beim Vergleich einzelner Warenkorb-Positionen kann man schnell ins Grübeln kommen, zum Beispiel wenn man Äpfel (plus 3,5 Prozent) mit Birnen (plus 17,0 Prozent) vergleicht. Stabil dagegen, allerdings auf hohem Niveau, zeigen sich Avocados (plus 1,1 Prozent). Dazu würde, wenn man es sich zwecks Krisenstimmungsbekämpfung noch einmal richtig gut gehen lassen will, ein Scheibchen Räucherlachs (plus 0,6 Prozent) passen, der braucht immerhin keine Butterunterlage, die bei einer Steigerungsrate von 25,7 Prozent schön langsam ins Unerschwingliche tendiert. Wesentlich weniger betroffen ist erstaunlicherweise ein naher Verwandter: Käse liegt (noch) bei vergleichsweise unaufgeregten plus 7,4 Prozent (Gouda), plus 4,3 Prozent (Emmentaler) beziehungsweise plus 1,3 Prozent (Bergkäse). Dass Frischmilch um 10,8 Prozent teurer ist als noch vor einem Jahr, ist in unserem Fall insofern unerheblich, als Kaffee (plus 11,4 Prozent) und Kakao (plus 7 Prozent) ohnehin nicht infrage kommen, was leider, und hier steht das Frühstück schön langsam auf der Kippe, auch für Brot (plus 9 Prozent) und Gebäck (plus 6 Prozent) gilt. Selberbacken ist leider auch keine Lösung (Weizenmehl: plus 24,4 Prozent), auf baldige Besserung hoffen auch nicht: Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise unterliegen einer geradezu galoppierenden Teuerung; die Tonne Mahlweizen war zuletzt um 118 Prozent teurer als vor einem Jahr.
Es bietet sich eine – aufgrund von galoppierendem Zynismus allerdings historisch stark umstrittene – Marie-Antoinette-Lösung an: Wir könnten auch Kekse essen (Kekse mit Schokoladeanteil, um genau zu sein: minus 0,9 Prozent). Überhaupt ist die nicht inflationshaltige Ernährung leider gar nicht gesund, stabile oder gar zurückgehende Preise verzeichnet vor allem der Junkfood-Sektor: Fertiggericht (tiefgekühlt) plus 3,6 Prozent, Fertiggericht (gekühlt) minus 2,3 Prozent, Fruchtgummi minus 4,5 Prozent, Speiseeis (Familienpackung) plus 2,3 Prozent. Nur bei den Kartoffelchips (plus 8,1 Prozent) bewegt man sich teuerungstechnisch auf Normalniveau, Ketchup ist sogar überdurchschnittlich stark betroffen (plus 10,7 Prozent). Gemüse wiederum erscheint dieser Tage durchwachsen: Paprika (plus 19,6 Prozent) und Blattsalat (plus 26,3 Prozent) gilt es jedenfalls zu vermeiden und stattdessen Rezepte für Karfiol- (plus 1,8 Prozent) und Karottengerichte (plus 3,5 Prozent) zu googeln. Ein Currygericht würde sich anbieten, zumal Reis verbraucherpreisentwicklungsmäßig unbedenklich erscheint (plus 1,9 Prozent). Zur Not kann man aufkommendem Vitaminmangel auch per Brausetablette vorbeugen (plus 0,7 Prozent). Wichtig jedenfalls, dass das Immunsystem einigermaßen fit bleibt, denn: Papiertaschentücher plus 7,5 Prozent!
Und was trinken wir dazu? Mineralwasser (plus 12,8 Prozent) wohl eher nicht; und Likör (minus 10,4 Prozent) soll für den großen Durst auch nicht das Allerbeste sein. Bier steht mit 6,9 Prozent im Plus, Radler dagegen: minus 5,9 Prozent. Auf die Fahrtüchtigkeit laut StVO müssen wir jedenfalls nicht groß achten, das Auto lassen wir – siehe Benzinpreis – in der Garage (Miete minus 1,4 Prozent) und fahren mit der Bahn (Ticket minus 7,9 Prozent) oder, noch besser, mit dem Reisebus (Buspauschalreise ins Ausland: minus 46,6 Prozent; kleiner Vorbehalt: Preissensible Reisende fahren besser nicht in die Schweiz). Unterwegs machen wir ein paar Fotos mit dem Handy (minus 0,8 Prozent), jausnen zur Freude unserer Mitreisenden eine Leberkässemmel (plus 2,2 Prozent) und lesen ein gutes Buch, wobei sich leider schon wieder kategorische Unerklärlichkeiten auftun: Belletristik hat zuletzt wesentlich stärker angezogen als Fachliteratur (3,2 vs. 1,7 Prozent), während Kinderbücher sogar billiger wurden (minus 0,9 Prozent). (Wir erlauben uns an dieser Stelle den nicht behördlich indexierten Hinweis, dass man mit seinem Handy (s. o.) auch auf profil.at gehen könnte (gratis), falls das WLAN im Zug halbwegs funktioniert.)
Und falls bei aller Verbraucherpreissensibilität immer noch ein Loch im Budget klafft: Lotteriespiele und Rubbellose kosten seit Jahren dasselbe. Alles ist möglich.
Wie bitte?? (Hörgeräte plus 30,1 Prozent).