Influencer Jing Chen wendet sich der Pho zu: Das „ănăn bistrot“
Eigentlich hat er Physik studiert, mit dem Kochen ist der 28-jährige Wiener Jing Chen aber so richtig erfolgreich: Auf Instagram folgen ihm 121.000 Menschen und schauen dabei zu, wie er kocht, in China eine Markthalle besucht, mit Staatssekretär und Spitzenkoch Sepp Schellhorn einen Eierreis zubereitet oder zu Wolfgang Puck nach Los Angeles jettet. Chen gibt es aber auch im echten Leben, da ist er an vier Lokalen mit asiatischer Küche beteiligt. Jetzt ist ein fünftes dazugekommen.
Unter bunten Lampions und zu Popmusik aus der Hölle wendet er sich im 7. Wiener Gemeindebezirk, genauer in der Kirchengasse, nun der vietnamesischen Küche zu. Grundriss und Ambiente im „ănăn bistrot“ führen ganz klar weg vom Social-Media-Bling-Bling, es ist eine Location für, sagen wir, Liebhaber des Rustikalen. Ein altbackener Raum mit ein paar Tischen und einer Theke, dann ein Gang, darin dann irgendwann die Küche und dann wieder ein Raum mit Tischen. Schnell weiter zum Positiven:
Die Sommerrolle (Bild oben) in der Variante mit Garnelen und Vermicelli, also dünnen Reisnudeln, wird lauwarm serviert, auf die hausgemachte Fischsauce von cremiger Textur haben sich Erdnusskrümel verirrt, passt. Heiß und für ihre Verhältnisse angenehm unfettig die veganen Frühlingsrollen „Cha Gio Chay“. Sie wurden mit den bereits bekannten Nudeln, Morcheln, Zwiebeln und Karotten gefüllt und haben Salat sowie Koriander dazugestellt bekommen. Für Begeisterung sorgt dann der frische, ohne viel Schnickschnack servierte Mango-Avocado-Salat (Bild unten). Er setzt, erwartungsgemäß, eine gewisse Liebe zum Koriander voraus. Ist diese vorhanden: zuschlagen!
Was den Besuch im „ănăn bistrot“ aber richtig interessant macht, sind die vietnamesischen Suppen. Für die ganz Argen (beziehungsweise für mehrere Personen) gibt es zum Beispiel eine „Bun XXL“ mit einem Kilo Nudeln (wahlweise wäre auch eine XXL-Pho erhältlich). An dieser Stelle muss aber ein kleineres Süppchen gekocht werden: Die „Bun Bo Hue Spezial“ (Bild unten) ist eine sehr geschmacksintensive Angelegenheit – und praktischerweise steht das Rezept mitsamt Zutaten in der Karte.
Abgespeckte Kurzfassung: Man kocht Rindermarkknochen mit Schweinestelze sechs Stunden lang. Zu der Brühe kommen dann allerlei Gewürze wie Pfeffer, Zwiebel, Ingwer und – geschmacklich am stärksten hervorstechend – Zitronengras. Die Brühe wird dann ohne Stelze noch mal zwei Stunden gekocht, abgesiebt und über die Reisnudeln gegossen. Dann kommen noch in Scheiben geschnittenes Rindsfilet sowie Schweinestelze, Rindfleischbällchen und vietnamesische Wurst dazu. Beim Servieren gibt’s einen Extrateller mit Limetten, Thai-Basilikum und Bohnensprossen sowie Hoisin- und Sriracha-Sauce zum Nachwürzen dazu. Ein ziemlicher Hammer, danach braucht man nicht mehr viel.
Außer vielleicht die für Anfänger etwas besser geeignete „Pho Ga Spezial“ (Bild ganz oben) mit Hühnerbällchen, Hühnerbruststücken und einer ganzen, in der Suppe schwimmenden Keule. Ein herrlich abgeschmeckter Hühner-Suppentopf mit Ingwer, Zimt und Koriandersamen ist das geworden.
Die Desserts (Bild oben) stehen hier nicht im Zentrum, machen aber auch nichts falsch. Die Mango-Kokos-Creme kommt im Glas und ist genau das, was der Name verspricht. Viel Karamell-Sauce hat der Matcha-Cheesecake abbekommen, der den Tee als Geschmacksträger sieht und ihn nicht zum Färbemittel degradiert.
Während der vietnamesische Kaffee am Tisch durch den traditionellen Filter tröpfelt, bleibt Zeit, um nachzudenken: Wegen Essen und Service kann man hier definitiv vorbeikommen. Das Lokal selbst ist, wie es ist. Auch wenn eine vollständige Renovierung mutmaßlich nicht machbar ist, könnte an ein paar Kleinigkeiten gefeilt werden: Der Ausblick auf den Putzkübel interessiert vielleicht nicht jeden Gast, Zahnstocher gibt es heutzutage schon hygienisch in Papier verpackt. Aber das passt irgendwie dann doch zu Chen: Trotz aller Aufmerksamkeit um seine Person wirkt er stets ruhig, bodenständig und unaufgeregt. Das „ănăn bistrot“ – ein Lokal ganz wie sein Miteigentümer.
Stimmung: Pho im rustikalen Ambiente
Empfehlung: Falls Sie über Musikgeschmack verfügen, besser vorher noch mal das Lieblingslied anhören
Preisverhältnis: Vorspeisen: 3,50–6,90 Euro, Suppen und Curry: 13,90–18,50 Euro, Desserts: 5,80–6,50 Euro
ănăn bistrot
Kirchengasse 28
1070 Wien
anan-bistrot.at