Let’s talk about seggs
„Ein bisschen lustig und ein bisschen dystopisch“, so hat es die „New York Times“ treffend zusammengefasst: Immer wieder verwenden User:innen in den sozialen Medien seltsam aussehende Worte in den Untertiteln ihrer Videos. Statt „Sex“ schreiben sie „seggs“, statt „scheiße“ „sch€isse“. Speziell auf der chinesischen Plattform TikTok findet man oft diesen kuriosen Schreibstil, denn die Benutzer:innen fürchten, dass ihre Postings vom Algorithmus gelöscht oder in der Reichweite eingeschränkt werden, wenn die Software darin sexuelle oder politische Begriffe entdeckt.
So entstand dieser kuriose Schreibstil, genannt „Algospeak“, bei dem man Worte anders schreibt, um so allzu strenge Algorithmen zu umgehen. Auch österreichische TikToker:innen wenden diese Methode an: Auch österreichische TikToker:innen wenden diese Methode an: Die Influencerin Toxische Pommes schreibt „f*ccen“ statt „ficken“, „ Юmoseksuelle“ statt „Homosexuelle“. Auch sie tut das, um nicht vom Algorithmus benachteiligt zu werden. Nach welchen Kriterien große Plattformen Inhalte filtern, ist intransparent, aber man muss damit rechnen, dass die Software auch im deutschsprachigen Raum Beiträge zurückhält: Zum Beispiel haben Journalist:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland 100 Worte in Kommentaren auf TikTok getestet – zum Teil wurden Kommentare anderen Personen nicht angezeigt, die Worte wie „Porno“, „Auschwitz“ oder „Nationalsozialismus“ beinhalteten.
Ebenfalls wurden Worte mit LGBTQ-Bezug zurückgehalten, wie „schwul“, „queer“ oder „homosexuell“. Es spricht einerseits für menschliche Kreativität, dass viele User:innen die Existenz solcher Wortfilter mitbekommen – und dann auf spielerische Weise diese Einschränkung umgehen. Andererseits ist es tatsächlich dystopisch, dass einzelne wenige Unternehmen hinter Plattformen wie TikTok oder Instagram so viel Macht haben, dass sie beeinflussen, welche Sprache Milliarden von Menschen zu Gesicht bekommen – oder eben nicht. In den vergangenen Jahrzehnten wurde dafür gekämpft, Homosexualität zu enttabuisieren oder sexuelle Selbstbestimmung zu ermöglichen – solch biedere Software zeigt, dass dieser Kampf offensichtlich noch nicht vorbei ist.